Die vergebliche Suche nach einem Urgott, u.a. im anatolischen Göbekli Tepe

Im Internet finden Sie eine Fülle von Fotos von Göbekli Tepe

Der eifrigste Verfechter der zwei Millionen Jahre der grossen Jäger ist Klaus Schmidt, der Entdecker und Archäologe von Göbekli Tepe.  Sein Buch: ›Sie bauten die ersten Tempel – Das rätselhafte Heiligtum der Steinzeitjäger‹ 2006, S. 271 ist sein patriarchales Credo. Ohne Entdeckung und Arbeit von Göbekli Tepe schmälern zu wollen, sind die rund 11’000 Jahre alten Bauten von Göbekli Tepe nicht die ›ersten Tempel‹! Die ersten Tempel waren jungpaläolithische Höhlenheiligtümer, zu denen u.a. die nahezu 300 Höhlen Südfrankreichs und Nordspaniens gehören. Die Grotte Chauvet in der südfranzösischen Ardèche ist eine der ältesten bisher entdeckten Höhlentempel. Er wurde mindestens 26’000 Jahr früher, vor 37’000 Jahren gebaut und während einer Dauer von 6’000 Jahren genutzt. Noch ein paar Jahre älter ist die entdeckte Höhle von Abri Castanet in Südfrankreich. Deutbare Symbole in den Höhlen dieser Zeit und Region sind die durchaus typischen Abbildungen von Vulven. Was diese mit den Jägern zu tun haben sollen, bleibt allerdings der Phantasie überlassen. Dann, so glauben einige Urgeschichtler und mit ihnen Klaus Schmidt, hätten sich die ›gesellschaftstragenden (halb-) nomadisierenden Jäger‹ vor 10-12′000 Jahren angesiedelt und seien Ackerbauern und Viehzüchter geworden. Begründet wird das von Matthias Schulz damit, dass »die Jäger das Biotop leer geschossen hatten. Es begann der Aufstieg der Bauern (›Wegweiser ins Paradies‹, Der Spiegel 23/2006) Schmidt schreibt: »Die Jägergesellschaft war einer bäuerlichen Gesellschaft gewichen, und die Menschen waren sesshaft geworden. Die Siedlungen der Bauern lagen fortan in den Tälern im Bereich der fruchtbaren Böden, die den Ackerbau erlaubten.« Dort waren sie jedoch vermutlich schon immer, denn Schmidt hatte festgestellt, dass Göbekli Tepe nie eine Siedlung war, dass die Erbauer nie in dieser Anlage gewohnt haben. Es müssen längst sesshafte Bäuerinnen und Bauern der näheren und weiteren Umgebung gewesen sein, die Göbekli Tepe erbauten; Göbekli Tepe war während Jahrtausenden religiöser Ritualplatz, Friedhof und Pilgerstätte für die Menschen der näheren und ferneren Siedlungen. Mattthias Schulz  schreibt im Spiegel: »Mit dem Aufstieg des – von Männern getragenen – Bauerntums verlor das alte Mutterrecht seine Kraft… der Mann stieg zum Agrartechniker und Pflanzenzüchter auf, zum Macher und Schöpfer von Dingen, er nahm sein Schicksal nun selbst in die Hand« (ibd). Eine erstaunliche Aussage: Brauchten die fleißigen Männer, die vermeintlich ja schon als große Jäger für die Ernährung und Erhaltung des Clans allein zuständig gewesen sein sollen nun die Frauen oder ihre Mitarbeit nicht mehr ?

Man kann davon ausgehen, dass auch Göbekli Tepe ein Pilgerort der Göttinnenverehrung war

image002image004Darauf weist schon die Architektur hin; die Form der Rundbauten erinnert an die Architektur der 44 megalithischen Tempel von Malta. Der Archäologe Gulio Magli sagt dazu, dass die Tempel eine Abfolge von runden Formen, die miteinander verbunden sind, nichts anderes als die Verkörperung der göttlichen Mutter sind.

Die T-Pfeiler in Göbekli könnten eine architektonische Umsetzung des Pfeil-Symbols – des Ti  – das Leben gebend bedeutet, sein (s. D. Wolf ›Der Irrtum mit den Pfeilspitzen‹). Hinzu kommen die vielen Schlangenbilder – eindeutige Symbole der Schlangengöttin, die später zum Drachen dämonisiert und in unzähligen Kampftmythen ermordet wird. Jedoch falle gleichzeitig »das weitgehende Fehlen von typisch weiblichen Motiven und Frauenfigurinen auf. Zu den besonderen Ausnahmen gehört die Gravierung einer gebärenden Frauenfigur mit gespreizten Beinen, die auf einer Bankplatte im Löwenpfeilergebäude der jüngeren Schicht des Göbekli Tepe zum Vorschein kam. Es würde sicher zu weit führen, daraus folgern zu wollen, dass Frauendarstellungen grundsätzlich erst in der jüngeren Nutzungsphase dieses Ortes eine allmählich größere Bedeutung zukam; all das wird eine umfassenden Endauswertung der Ausgrabungen dieses Platzes zeigen.« (Parzinger ibd. s. 133) Was Parzinger nicht erkennt, ist dass die Figur mit »gespreizten Beinen« eine ›Leben gebende‹, eine gebärende Göttin ist. Es ist zu hoffen, dass bei einer ›umfassenden Endauswertung‹ auch weniger patriarchal voreingenommene Prüfungen und Deutungen vorgenommen werden.
Bedauernd meint Schmidt, sein Favorit, der all seine Bubenträume verkörperte: Der mannhafte Jäger »hatte an Bedeutung verloren und als seine Bedeutung schwand, schwand auch die Bedeutung seiner religiösen Riten und Zwänge, und mit ihnen verschwanden auch seine Kultanlagen.« Pathetisch kündet er das Ende: »Die Feuer der Jäger, die so lange um das Heiligtum gebrannt hatten, waren für immer erloschen,« und er lässt die eitle Idee von den jägerischen Helden der Altsteinzeit noch einmal mit einem Abgesang aufleben, bevor die phantasierte »Machtelite der jägerischen Gesellschaft des Göbekli Tepe« endgültig begraben werden muss. (Schmidt ibd, S. 255-257 passim)

Der Grund für das beinahe vollständige Fehlen männlicher Statuetten ist eindeutig:
Vor der Entdeckung der Vaterschaft vor nur 5000–6000 Jahren gab es überhaupt
keine männlichen Götter; keine göttlichen Männer, keine Ur-, keine Schöpfer-
und keine Vater-Götter.

Es waren weibliche Formen und Werte, die Schöpfungsmächtigkeit ausdrückten. In der matriarchalen Zeit wurde die Urahnin, die Ur-Mutter, aufgrund ihrer Schöpferinnenkraft verehrt und vergöttlicht. Männliche Statuetten wurden nur sehr selten gefunden (s. Doris Wolf ›Die verzweifelt Suche nach dem Mann, dem Phallus und einem Urgott‹, in ›Das wunderbare Vermächtnis der Steinzeit und was daraus geworden ist‹ 2017, S. 254 ff). Als die Vaterschaft noch nicht bekannt war – oder falls der Zusammenhang von Sex und Schwangerschaft bekannt war, aber dem Erzeuger keine Wichtigkeit beigemessen wurde – gab es keinen Grund, einen Mann zu vergöttlichen. (Siehe beispielsweise die Unwichtigkeit der biologischen Väter im heutigen Matriarchat der Mosuo.)
Natürlich konnten Männer die patriarchale Ideologie und Religion erst nach der Entdeckung oder der Kenntnisnahme der biologischen Vaterschaft erfinden. Daraufhin konstruierten sie die Geschichte der Göttlichkeit der Männer und vergöttlichten den Phallus und das Spermienejakulat (s. die biblische Geschichte von Onan, Genesis 38. (s. auch: Doris Wolf ›Der Vater ist nicht blutsverwandt‹ auf der Seite ›Die Entdeckung der Vaterschaft‹).
Als die indoeuropäischen Rinderzüchter den Anteil der Bullen bei der Zeugung von Nachwuchs erkannt hatten, schlossen sie auf ihren eigenen Beitrag in Form des Spermienejakulats. An diesem Punkt entstand das männliche Überheblichkeitsgefühl, der Größenwahn, der direkt in den patriarchalen Gotteswahn führte. Die patriarchalen arischen Priesterkasten erhöhten den zeugenden Mann zum Gott und ermunterten ihn, die Macht der Frauen zu brechen, sie zu unterdrücken, zu verachten, zu demütigen, zu misshandeln und zu tyrannisieren. Damit verbunden begann die patriarchale Propaganda, die freie Sexualität als ›Sünde‹ zu ächten – besonders jene der Frauen – und bei Verstoß hart – bis heute im gesetzlich barbarischen muslimischen Patriarchat durch Steinigung – zu bestrafen.
Bei der patriarchalen Machtnahme wurde die Sexualität der Frau zum bevorzugten Thema der Verfolgung und des Hasses der männlichen Gesetze und Kontrollen und des religiösen patriarchalen Machtwahns. Bis heute konnten nur wenige Darstellungen von (nackten) Männern gefunden werden und zum Teil waren diese, selbst mit der Hervorhebung ihres besten Stückes nicht besonders vorteilhaft, was ihre künstlerische Gestaltung betrifft. Eine der frühesten Darstellungen eines nackten Mannes dürfte aus dem 10./9. Jahrtausend stammen, der bei image002Ausgrabungen in der Südostürkei, in Göbekli Tepe, gefunden wurde.

Göbekli Tepe, (›ithyphallic man‹, Neolithic in Turkey The Cradle of Civilization‹ ›Sculpture of a ithyphallic man‹ Mehmet Özdoğan, Nezih Başgelen 1999, Fig. 33)

Das  Symbol männlicher Macht von ›Gottes Gnaden‹ wurde gefunden. Es ist die »Skulptur eines Mannes mit erigiertem Penis, aber ohne Gliedmaßen«. Dieses Artefakt des Ausgräbers Schmidt erwähnt Herrmann Parzinger gar im Plural – er schreibt: »Die menschlichen Köpfe und Figuren mit in der Regel männlichem Habitus erreichen teilweise sogar Überlebensgröße« – denn Schmidt interpretiert die Pfeiler als menschliche Skulpturen. Unter ›Figuren mit männlichem Habitus‹ scheint Parzinger wohl – mit erigiertem Penis – männliche Potenz symbolisierende ithyphallische Motive zu verstehen. Eine einzige Phallus-Figur genügt ihm, um die Frage zu stellen, ob es sich hier um einen »Beleg für einen männlich geprägten Fruchtbarkeitskult« handelt.
Männer sind, wenn es um ihren Penis geht – ›dieses interessante Organ‹, wie es der Arzt und Ägyptologe A.P. Leca nennt – und seine bewundernswerte Bedeutung geht, relativ einfach gestrickt, da genügt ein bisschen Phantasie. (s. ›Wunderwerk Penis – Neues vom männlichen Zentralorgan‹ – Scobel, 3sat). Ob Parzinger nicht etwas hoch greift, wenn er glaubt, dass sich bei der Skulptur des Mannes mit erigiertem Penis »eine äußerst komplexe geistig-religiöse Vorstellungswelt ihrer Schöpfer erahnen lasse, die sich in vielfältigen kultisch-rituellen Handlungen geäußert haben dürfte«? (Hermann Parzinger ›Die Kinder des Prometheus – Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift‹ 2014 S. 130, 133) Parzinger fährt fort: »Gleichzeitig fällt das weitgehende Fehlen von typisch weiblichen Motiven und Frauenfigurinen auf.« Er nimmt nicht zur Kenntnis, dass die einzige, eindeutig erkennbare Gesamtfigur weiblich ist. Es ist die ›Gebärende Frau‹. (Göbekli Tepe, Neolithic Turkey, H. 28,2 m) Dieses unübersehbare Flachrelief einer Gebärenden, die Parzinger gezwungenermaßen erwähnt, und das tut er, wo er schreibt: »Zu den besonderen Ausnahmen gehört die Gravierung einer Frauenfigur mit gespreizten Beinen.« (ibd. S. 133) Man könnte nach dieser Beschreibung von einer obszönen Darstellung einer Frau ausgehen, wüsste man nicht, dass es sich bei der Figur effektiv um die Darstellung einer Gebärenden und damit um die Betonung der weiblichen Schöpfungsmacht handelt! (›Neolithic in Turkey – The Cradle of Civilization‹, ›Löwenpfeilergebäude. Carving of a woman on a stone slab‹, Mehmet Özdoğan, Nezih Başgelen, H. 28,2 m. 1999, Fig. 35) Ein anderes, bestens bekanntes Symbol der Gebärenden Göttin wird in Göbekli Tepe als ›Tier-Relief‹ verkannt. (›Neolithic in Turkey. The Cradle of Civilization‹, 1999, Fig. 27, ›T-Pillar with animal-relief‹ Mehmet Özdoğan, Nezih Başgelen) Beide Bilder siehe im Kapitel ›Die nackte Göttin‹.
Weder Schmidt noch Parzinger scheinen von Symbolik Genaueres zu wissen, auch nicht, dass die häufigsten Bildzeichen in Göbekli weiblich sind: Schlange, Skorpion und Geier sind eindeutig kultisch-weiblich-sakrale Zeichen. Sie überdauerten Jahrtausende und erscheinen wohl nicht zufällig in Sumer und Ägypten wieder: in Göbekli »wimmelt es von Schlangen« (Schmidt). Die Schlange – als Kobra der Göttin Wadjet/UaSit/I-Seth/Isis, der Mutter und Schöpfergöttin oder als ›serpent cornu der sumerischen Göttin Ningizzida (André Parrot ›Sumer‹ 1960, S. 319). Die Schlange, auch als dämonisierter Drache,  war die göttliche Schlange der Urzeit. »Mythenspezialist Dr. phil. Andreas Gößling, studierter Literaturwissenschaftler und Autor eines Buches über ›Drachen‹, sieht die Schlange als zentrale Gestalt der vorbiblischen Glaubenswelt: „Sie (die Schlange) ist das älteste Symbol und Geisttier der matriarchalen Großen Göttin vieler Kulturen. Die Schlange steht für den Anbeginn de Schöpfung, als die Kreaturen noch nicht in männlich und weiblich geschieden waren. Später wurden die von der Schlange repräsentierten Attribute der matriarchalen Göttin (Heilkraft, Fruchtbarkeit, Wandelbarkeit) teils dämonisiert (etwa im Schlangenhaar der schrecklichen Medusa), teils in den männlichen Götterhimmel integriert (Schlangenstab des  Heilgottes Äskulap).“ (zit. von Walter-Jörg Langbein  ›Als Eva noch eine Göttin war‹ 2015, S. 47) Der Skorpion war das heilige Tier der Göttin Selket in Ägypten und der Schutzgöttin der heilkundigen Frauen und als Attribut der sumerischen Göttin Ishara (Parrot ibd). In Oberägypten trat der Geier in Gestalt der Geiergöttin Nekhbet, der Göttin für Tod und Wiedergeburt zuerst in Erscheinung.
Zu dem als Löwenpfeilergebäude‹ bezeichneten Teil der Ausgrabung ist noch anzumerken, dass LöwInnen (z.B. die Sphinx von Gizeh), wie auch LeopardInnen, z.B. die gebärende Panther-/Leopardengöttin von Çatal Hüyük, heilige Tiere der Stärke und Kraft mütterlicher Weisheit, Würde und Macht der Göttin symbolisierten, bevor sie von den patriarchalen Eroberern gejagt, später usurpiert und zu einem männlichen Symboltier patriarchaler Macht wurden.

image002Bei der frustrierenden Suche nach dem Mann und seiner Wichtigkeit in der Urgeschichte ist der Beitrag von Jacques Vandier interessant. ›Cherchez l’homme‹ muss ihn bei seiner Suche nach der Präsenz des Mannes in der Kunst Ägyptens motiviert haben. Er beschreibt die Abbildung links als: ›Très jolie tête d’homme‹ (trouvée par Brunton à Badari‹, Jacques Vandier ›Manuel d’Archéologie égyptienne 1 les époques de formation * la préhistoire‹ 1952, S. 432 f.) Vandier war von 1936 bis 1945 Chefkonservator der Abteilung Ägyptischer Altertümer im Louvre. Der, wie Vandier behauptet, ›sehr attraktive Kopf‹ sei den Männern gegönnt. Männer wurden in dieser Zeit, d.h. bis vor 5000 Jahren nur selten dargestellt, was Vandier bestätigt: »C’est une des très rares représentations d’hommes, modelés en argile.«

Aus dieser Zeit, am Übergang vom Matriarchat ins Patriarchat und von der Großen Göttin zu männlichen Göttern findet ein Wandel statt, der bei den Statuetten deutlich erkennbar wird. Ab dem 2. Jahrtausend fällt eine Vermännlichung bei den Skulpturen auf. »Die Bronzezeit scheint ihre materielle und geistige Welt mit männlichen Helden und Gottheiten bevölkert zu haben.« (›Der Große Bildatlas der Archäologie‹ 1991) Die kleinen weiblichen Statuetten verschwinden und die männlichen werden zunehmend größer, entsprechend dem überheblichen Größen- und Machtanspruch des patriarchalen Aufstieges.

der-mann-aus-ugaritEtwa um 2000 tauchen in Ugarit erste vollständige männliche Figuren auf.

Eines von zwei in Ugarit gefundenen Silberfigürchen. Ein typisches Beispiel des von Ägypten nicht beeinflussten nordsyrischen Stils. Die Figur ist aus Silber, der Schurz aus Gold. (Nationalmuseum Aleppo, Höhe der Figur 28 cm.)

Diese Figürchen »sind grotesk-primitive Erzeugnisse rein lokaler Herkunft«, die beweisen, dass Ugarit jetzt unter den Einfluss der Hurri geraten ist.« (Leonard Woolley ›Mesopotamien und Vorderasien‹ 1961. S. 108) Woolley schreibt über die Hurri (Hurriter/Horiter): »Die Hurri hatten sich zu verschiedenen Zeiten über ein Gebiet verbreitet, das von den Bergen Persiens bis zum Mittelmeer und von Armenien bis Palästina reichte.« (S. 15). Woolley wusste damals noch nicht, dass die Hurri bis nach Ägypten vorgedrungen waren – bekannt geworden als Shemsu-Hor – und dort die Herrschaft übernommen hatten. (s. ›Die indoeuropäisch/arischen Eroberer aus dem Norden‹) »Im Norden Syriens war das Hurri-Element vorherrschend« (Woolley ibd. S 17).

image002Der Urgeschichtler Hermann Müller-Karpe steht beispielhaft für den üblichen Umgang religiös voreingenommener patriarchaler Wissenschaftler mit den Zehntausenden weiblichen Statuetten, die er als ›Menschenfiguren‹ und ›Menschendarstellungen‹ bezeichnet. Hingegen interpretiert er die Abbildung einer winzigen männlichen Figur auf der Tarkhan-Vase als ›Götterfigur‹. Er schreibt dazu: »Wenn wir von den Darstellungen der ersten Könige absehen, ist das älteste Bild, das als namentlich zu bestimmender Gott in Menschengestalt angesprochen werden kann, die Zeichnung auf einem Alabasternapf von Tarkhan (Tafel 15.5), der in die Zeit der 1. Dynastie, vermutlich näherhin in die Zeit des Königs Djet, gehört. Angesichts der typologischen Übereinstimmung dieser männlichen, im Profil gegebenen Gestalt unter dem Baldachin mit späteren Darstellungen des Gottes Ptah besteht an der entsprechenden Deutung des Bildes von Tarkhan kein Zweifel. Dass der Bildtypus, mit dem der in Memphis verehrte Gott Ptah auch später noch wiedergegeben wurde, sich durch eine besondere Altertümlichkeit auszeichnet, ist schon immer hervorgehoben worden.
»Es darf als sicher gelten«, behauptet Hermann Müller-Karpe, »dass dieses Götterbildnis den ältesten in Ägypten geschaffenen Bildtypus einer Göttergestalt verkörpert« (›Geschichte der Steinzeit‹ 1974, S. 331, Hvhb. DW). Wenn wir an seine vernichtende Interpretation der Göttinnen-Statuetten denken, geht diese Sicherheit vielleicht doch etwas weit. Ptah, dessen Namen für ›Vater/Pater/Patriarch‹ steht, ist ein von den indoeuropäischen Eroberern mitgebrachter Gott, bzw. Von ihnen in Ägypten erfundener Gott, der zum ›Ur- und Schöpfergott‹ von Memphis gemacht wurde. Wie auch der indoeuropäisch/arische As-Ari/Osiris wurde Ptah mehrmals schwanger dargestellt und galt deshalb als mann-weiblich. Die Priesterkasten versuchten ihre neu erfundenen Götter mit weiblicher Schöpfungsmacht auszustatten. Schwanger zu werden und gebären zu können ist der Wunsch vieler Männer (s. D. Wolf 2009, S. 295 f.).

Die Bücher von Müller-Karpe und sein Interesse, das sich mit der ›Geschichte der Gottesverehrung von der Altsteinzeit bis zur Gegenwart‹ und der ›Religionsarchäologie‹ befasst, dürfte die Erklärung sein für seine altpatriarchalen Ansichten und die Abwertung der Göttinnen-Darstellungen und der Göttinnen-Religion. Müller-Karpe gehört zu den religiösen und wissenschaftlichen Autoritäten mit großem, weltweitem Einfluss; ihre Interpretationsmacht verteidigen sie mit allen Mitteln. Sie glauben an ihre ›gottgegebene Autorität‹, auch wenn es sich nur um persönliche Eitelkeiten, Interessen, Vorurteile, Interpretationen und Behauptungen handelt. Er schreibt zu den [auffallend nackten!] weiblichen Figurinen (z.B. von Hacilar), dass »in der bisherigen Forschung die Ansicht vertreten wurde, es könne sich bei diesen Statuetten um die Wiedergabe einer Muttergöttin, vergleichbar der späteren [ebenfalls nackten!] Astarte, handeln, so ist diese Deutung vor dem Hintergrund der archäologischen Befunde rein hypothetisch und recht unglaubwürdig. Nichts spricht dagegen, dass hier normale, sterbliche Frauen in den für sie besonders wichtigen Situationen ihres Daseins dargestellt sind.« (›Geschichte der Steinzeit‹ 1974, S. 324)
Warum aber normale, sterbliche Frauen ›in besonders wichtigen Situationen ihres Daseins‹ nackt dargestellt werden und warum es kaum männliche Statuetten gibt, obwohl es doch auch ›normale sterbliche Männer‹ gegeben haben muss – darüber schweigt sich Müller-Karpe aus. Zu den aus der Zeit vor der indoeuropäischen Eroberung Mesopotamiens, aus der matriarchalen Halaf-Kultur stammenden weiblichen Tonstatuetten, die in der Regel mit den Händen ihre milchgebenden Brüste halten, schreibt er, könne »eigentlich nicht in Zweifel gezogen werden, dass es sich dabei – wie bei denjenigen des Altneolithikums und den Figuren der zeitlich entsprechenden Wand- und Gefäßmalerei – um normale Menschen handelt, nicht etwa um Göttergestalten.« (Müller-Karpe ›Geschichte der Steinzeit‹ 1974, S. 325, Hvhb. DW) Der Autor nimmt nur ungern zur Kenntnis, dass gegenüber den Zehntausenden von weiblichen Darstellungen männliche Darstellungen außerordentlich selten zu finden sind. Er kämpft immer wieder dagegen an, dass man ihnen deshalb eine ›religiöse Wichtigkeit‹ zugestehe. Er gesteht den Frauen jedoch auch keine Wichtigkeit im Alltag zu. So schreibt er etwas später: »Was bei den von Lagerplätzen stammenden Menschenfiguren auffällt, ist die Tatsache, dass weibliche Statuetten entschieden überwiegen. Dies wurde bisher zumeist mit der Annahme erklärt, die Frau habe in der Gesellschaftsordnung, bzw. das weibliche Prinzip habe im religiösen Vorstellungs- und Erlebnisbereich der Jungpaläolithiker eine überragende Stellung eingenommen. Derartige Erklärungen und Rückschlüsse sind in Anbetracht der Quellenlage jedoch nicht überzeugend«. (Müller-Karpe ibd. S. 271)
Wäre die Überzahl der gefundenen Figuren männlich, würden sie mit jeder Garantie als Götter bezeichnet und niemals angezweifelt. Im Gegenteil würde man sie als Beweis dafür nehmen, dass Gott ›schon-immer‹ ein Mann war. Seine voreingenommene patriarchale Deutung betont Müller-Karpe nochmals an anderer Stelle: »Aus dem Überwiegen von weiblichen Statuetten auf den jungpaläolithischen Lagerplätzen gegenüber den männlichen wird mitunter geschlossen, dass die Frau in dieser Zeit sozial eine bevorzugte oder gar beherrschende Stellung eingenommen hat, wobei gewisse Bachofen’sche Theorien eines mutterrechtlichen Urzustandes menschlicher Gesittung mit hineinspielen. Diese Ausdeutung der Fundstatistik erweist sich bei Anlegen kritischer Maßstäbe jedoch als nicht begründet.« (Müller-Karpe ibd. S. 143)
Die Frage der Interpretation der überwiegend weiblichen Statuetten ist dabei – auch von Müller-Karpe – nicht beantwortet. Hier spricht unverkennbar der patriarchal-christliche Wissenschaftler, der sich keine andere Ordnung, weder im Himmel noch auf Erden, als die heutige – patrisrchale – vorstellen kann, in der ein männlicher Gott und der Mann hierarchisch oben stehend, die Welt und die Frauen unten, dominiert und diskriminiert.
Müller-Karpe, der gottgläubige Christ, ist nicht nur Verfasser zahlreicher religiöser Bücher, er ist auch ein leidenschaftlicher Vertreter der patriarchalen Kriegstheorie. Er ist überzeugt, dass es sich bei den pfeilförmigen Feuerstein-Artefakte um Speerspitzen und dolchartige Waffen handelt, die eine »kriegerische Haltung und Gesinnung zum Ausdruck bringen« und »erstmalig eigens als Waffen für den Kampf Mensch gegen Mensch ersonnen« worden seien. Seine kriegsverherrlichenden Ansichten gipfeln in der Behauptung, dass ›mehr noch als die Jagd der Krieg das Heroische und seine Wertschätzung‹ weckte (ibd. S. 36 und 146). Durch Gewalt werden Männer im Patriarchat zu Helden.

Im Gegensatz zur Abwertung der weiblichen Statuetten hat noch nie jemand nackte Männerstatuen als ›profan-pornographisch‹ bezeichnet, wie dies bei weiblichen Statuetten geschieht.

der-nackte-von-tarutIn Mesopotamien taucht der nackte Mann ebenfalls auf – zwar spät – aber immerhin. Michael Rice schwärmt vom Bild links: ›An extremely handsome example of Early Dynastic Sumerian-style Statuary, a male figure carved in a fine white limestone, ca. 2700 BC from Tarut. (Rice ›Search for the Paradise Land‹ 1984, S. 216. Museum of Archaeology and Ethnography, Riyadh) Die Geschmäcker sind auch unter den Wissenschaftlern verschieden. Das zeigt der Autor auch in seinem Buch ›Who’s Who in Ancient Egypt‹. Seine Ankündigung verrät seine angestrengte Suche und Zufriedenheit über die endlich zutage tretende, nackte, Männlichkeit in der Bronzezeit: ›Clear, concise entries on over 1000 figures, from monarchs and warriors to high priests, painters and writers‹. Männer interessieren diesen Mann ganz offensichtlich mehr als Frauen! Die Göttinnen werden allesamt unter ›The gods of Egypt‹ aufgelistet. Man stelle sich einmal vor, Götter würden unter ›Göttinnen‹ zusammengefasst!

Der deutsche Altorientalist Gernot Wilhelm zeigt Bilder von nackten Männern aus der Uruk-Zeit in ›kultischen Handlungen‹. »Für den En [Herr oder Herrscher] in völliger Nacktheit, wie er in drei Statuetten unbekannter Herkunft im Louvre und im Archäologischen Institut der Universität Zürich dargestellt ist, gibt es unterschiedliche Interpretationen. Mehrere der heute gültigen Erklärungen für die Darstellung männlicher Nacktheit im alten Orient sind hierfür herangezogen worden: Gefangenschaft, Tod oder kultische Nacktheit.« (Gernot Wilhelm ›Der Mann im Netzrock und kultische Nacktheit‹ Beiträge zur vorderasiatischen Archäologie‹ 2001, S. 478 – 483) Es sieht so aus, als ob der Kult der nackten Göttin von den patriarchalen Herrschern und der Priesterkaste nach den Eroberungen der verschiedenen Länder übernommen bzw. imitiert wurde. Es ist kein Zufall, dass Männer und Götter in den griechischen Mythen und Bildern fast ausschließlich nackt, reale Frauen dagegen jetzt immer bekleidet dargestellt wurden.

»Im alten Athen war die (halb-) öffentliche Nacktheit den Männern vorbehalten und galt nur bei Frauen als anstößig.« (Wikipedia)

image002Die Figur des bärtigen nackten Mannes aus Uruk gehört zeitlich wahrscheinlich in die erste Dynastie (ca. um 2770) oder kurz davor. Erstaunlich ist dabei: Keiner der Autoren erinnert sich an die unzähligen nackten weiblichen Statuetten aus dieser Gegend aus der gleichen und aus noch viel früherer Zeit. Auch will sich niemand an die frühesten Bilder des Auftretens des seltsamen Bärtigen mit dem Hut erinnern, den wir als aggressiven Invasoren kennen. (s. Doris Wolf ›Die indoeuropäisch/arischen Eroberer aus dem Norden‹). Der nackte Bärtige wird mit dem göttlichen Herrschertitel als ›En‹ oder ›Priesterkönig‹ angesprochen, dessen Titel aber »immer in Verbindung mit der Hauptgöttin Inanna, ›Himmelsherrin‹, verwendet wird« (Wikipedia ›En‹), eine Allianz, die man aber gerne zu bemerken vermeidet.
Wie wir bei Gernot Wilhelm sehen, wird die Nacktheit des Bärtigen nicht wie bei den weiblichen Statuetten pornographisiert, sondern sofort als ›kultisch‹, als religiös bezeichnet. Zu solchen Ehren sind die (verfemten) nackten weiblichen Darstellungen nur selten gekommen, obwohl die Gestaltung einer nackten Männlichkeit wahrscheinlich nur als das Nachäffen der weiblichen Figuren, die das Göttliche repräsentieren, verstanden werden kann. Darauf lässt vor allem die Armhaltung des Mannes schließen: während die Göttinnen ihre milchgebenden Brüste halten, bleibt diese zwar die gleiche, seine Hände aber sind ohne den nährenden weiblichen Körperteil leer.

»Die Chronologie ist und bleibt das Rückgrat der Geschichtsschreibung.« (Dietz Otto Edzard)

Dies betrifft auch die Darstellung des nackten Männlichen. Der Ägyptologe Wolfgang Helck betont, gerade bei den Figurinen sei die Wichtigkeit der Chronologie zu beachten. Es sei notwendig, »die einzelnen historischen Schichten in der Entwicklung genau zu prüfen und zu untersuchen, was alt und was neue Interpretation ist, um nicht Gedanken, die erst in hellenistischer Zeit gedacht worden sind, an den Anfang der Entwicklung zu stellen.« (Helck (›Betrachtungen zur Großen Göttin und den ihr verbundenen Gottheiten‹ 1971, S. 292) Helcks Mahnung ist begründet, wurde jedoch kaum je beachtet!
Die Existenz von nackten Göttinnen kann ab den sogenannten ›Hochkulturen‹ der Bronzezeit, dank ihrer prominenten, schriftlich, bildlich und namentlich bezeugten Anwesenheit nicht mehr ignoriert werden.  Sie waren jedoch schon viel früher da. Dies führte aber nicht zur Rehabilitierung und Anerkennung der schon Zehntausende Jahre älteren nackten Statuetten als Göttinnen. Auch Helck erklärt nicht, warum ihnen der gebührende Status versagt bleibt. Alles weist darauf hin, dass WissenschaftlerInnen bewusst oder unbewusst von einer der heute herrschenden, monotheistischen Vater-Gott-Religionen beeinflusst sind. Wir sind alle Opfer der seit Jahrtausenden andauernden Gehirnwäsche patriarchaler Propaganda.

Doch was geschah eigentlich später, viel später, mit den Göttern des Patriarchats? Mit Amen, Zeus, Jupiter, Mars, Wotan und allen andern? Alle verschwanden sang- und klanglos, jedoch die Anhänger der drei monotheistischen Religionen beenden ihre Gebete noch immer mit der Anrufung des altägyptischen Gottes AMEN (Amon/Amun); sie haben also selbst noch ein bisschen des von ihnen verachteten ›Heidentums‹ und der ›Götzenanbeterei‹ beibehalten. Wenn der Chor im vierten Satz der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven Schillers Ode an die Freude jubelt, denke ich mir:

 Es würde genügen, wenn alle Männer Brüder würden,
dann könnten alle Menschen in Frieden und Freude leben
.


Print page