Das Matriarchat in der Oasenkultur Zentralasiens – Karakum

Immer wieder bringt die Arbeit der Wissenschaftler Kulturen an den Tag, die unser traditionelles Bild von der Anfangszeit der Zivilisation erweitern und verändern. So erforschte der russische Archäologe Viktor I. Sarianidi – vom Westen völlig unbemerkt – seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in der zentralasiatischen Wüste eine in der Bronzezeit versunkene Kultur. Die hier entdeckten Städte – alle an den Handelswegen der späteren Seidenstrasse – waren bisher im Dunkel der Geschichte verborgen. Sie hatten ihre Anfänge vor 6000 bis 9000 Jahren in der Zeit des Matriarchats. Es gab  Paläste und Tempel; zur Zeit ihres Unterganges vor 4000 Jahren waren sie mit Mauern, Toren und Türmen bewehrt, was auf die Gefahr und den Schutz vor den Überfällen der Indo-Europäer hinweist, die den ersten Krieg der Weltgeschichte in Nordsyrien (Hamoukar) auslösten. (s. Der erste Krieg der Weltgeschichte)

Sarianidi bezeichnete dieses Gebiet jenseits des Kaspischen Meeres, als ›Bactria-Margiana Archaeological Complex‹ oder BMAC. Die versandete Großregion erstreckte sich von Zentralasien bis tief in den Süden, über den westlichen Iran und ins vorderindische Belutschistan, im Grenzgebiet von Iran, Pakistan und Afghanistan.

Bis die Arbeiten Sarianidis anfangs der 90er Jahre im Westen übersetzt vorlagen und auf dem illegalen Antiken-Kunstmarkt fremdartige Artefakte auftauchten, hatten wir in West-Europa keine Ahnung von dieser alten Kultur. Jetzt begannen sich auch internationale Archäologenteams für die Fundstelle zu interessieren; unter ihnen der Italiener Gabriele Rossi Osmida. Seine jahrelange Zusammenarbeit mit Sarianidi in den Ruinen der Städte Gonur Tepe und Adji Kui und den dazugehörigen Nekropolen mit Tausenden von Gräbern, brachte Relikte einer bis heute völlig unbekannten Kultur zutage. Die Archäologen berichten, dass es sich um eine eigene Kultur handelte, die sich durch filigranes Kunsthandwerk und weibliche Steinstatuetten von großer schöpferischer Kraft auszeichnete. Dazu wurden künstlerisch fortgeschrittene, hoch stehende Töpferwaren, Artefakte und Schmuck aus Gold, Silber, Bronze und Halbedelsteinen gefunden. Auf den Spuren der über 5000 Jahre alten Totenstadt förderte die Grabung ganze Berge von Tongeschirr zutage. Die Gefäße und Schalen, welche für Grabbeigaben und Lebensmittel bestimmt waren, sind fein gearbeitet und verziert. Die klaren, originellen Formen zeugen von hoher Kunstfertigkeit.

Ein typisches Merkmal neolithischer Kulturen sind Gegenstände für Kosmetik und Körperpflege. Sie sind zahlreich und stets äußerst raffiniert und kostbar gearbeitet. Das Kunsthandwerk nimmt einen breiten Raum ein.

Bei allen matriarchalen Völkern wurde eine ausgeprägte Körper- und Schönheitspflege und die Liebe des sich Schmückens feststellbar. Zu einem Flakon aus Bronze mit einem dazu passenden Applikator, wahrscheinlich zum Auftragen von Augenschminke, meint der Archäologe, dass solche Fundstücke in einem Grab vorkommen, lässt erahnen, welchen Stellenwert die eigene Schönheit bei den Bewohnern von Adji Kui einnahm.

Wir erkennen auch hier eine erstaunlich friedfertige Welt: Tatsächlich wurde in den Hunderten von freigelegten Gräbern keine einzige Waffe gefunden. Offenbar sorgte sich dieses Volk mehr um die Schönheit und das Leben als um die ›Kriegskunst‹, meint Rossi Osmida.

Diese Zivilisation wurde während Jahrhunderten, ja sogar Jahrtausenden, von Menschen geschaffen, in der die Frauen über großes Ansehen und materielle Güter verfügten. Als erstaunlichste Entdeckung in Zentralasien, bezeichneten die Archäologen den Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Gräbern. Rossi Osmida berichtet, dass die Gräber von Frauen mit den reichsten Grabbeigaben ausgestattet waren und die meisten Prestigeobjekte aus Metall und Stein – im Durchschnitt mehr als doppelt so viele wie die Gräber von Männern – enthielten. Objekte mit beträchtlicher administrativer oder funktioneller Bedeutung erschienen ausnahmslos in weiblichen Gräbern. Die Konzentration des Reichtums zeigte, dass Ansehen, Rang und die Position der Frau beachtlich waren. Dies ist nicht nur charakteristisch für Baktrien, sondern eine zentralasiatische Tradition (nach R. Biscione, L. Bondioli ›Bactria‹ 1992, S. 67 ff.). Stempel- und Rollsiegel, die zur Kennzeichnung von Besitztum verwendet wurden, fand man ausschließlich in Frauengräbern. Das bedeutet, Macht und die Verwaltung von Besitz, sowie der Handel lagen in weiblichen Händen. In einem ungeplünderten Grab fand man das Skelett einer Frau. Sie lag wie alle Toten in der rituellen Fötusstellung – ein untrügliches Zeichen für den matriarchalen Wiedergeburtsglauben. Es musste sich um eine hochgestellte Persönlichkeit handeln: Sie trug einen bronzenen Stirnreif und Armbänder aus Fayence, die typisch sind für die Harappa-Kultur des Industales. Dieses liegt immerhin 1000 km entfernt. Da die bestattete Frau laut anthropologischer Untersuchung zu der homogenen Bevölkerung gehörte, muss der Fayence-Schmuck durch Handel hierher gebracht worden sein. Die Fayenceverarbeitung wurde gleichzeitig im neolithischen Ägypten, in Mesopotamien der Djemdet Nasr-Zeit und in der Induskultur festgestellt, wobei sich die Gelehrten nicht vorstellen konnten, »dass ein derart komplizierter Herstellungsprozess unabhängig voneinander in verschiedenen Kulturen erfunden worden sein sollte« (Jansen 1986, S. 227). Dies bezeugt die weiträumigen Handelsverbindung zwischen den Kulturen .

Die Grabbeigaben der Oasenkultur bestanden aus vielen feinen, zerbrechlichen Tonwaren. In einem der Gräber fand man die Steinfigur einer außerordentlich anmutig gearbeiteten Muttergöttin mit der typischen Kleidung aus Ziegenleder, einem sogenannten Kaunake. Die Muttergottheit ist an ihren üppigen Formen erkennbar. Die Forscher stellen fest, dass diese Entdeckung auch die Bedeutung der anderen in den Gräbern gefundenen Figuren zeigt: Sie sind alle weiblich und stellen die verschiedenen Bildnisse ein- und derselben Muttergottheit dar. Alle diese sakralen Bildnisse positionieren sie in den Mittelpunkt der Religion und offenbaren die Verehrung, die diese Kultur dem Bild der Frau dargebracht hat (nach dem Filmtext von ›Karakum – Geheimnisse der schwarzen Wüste‹ und ›Vergessene Wüstenstädte‹ von Marc Jampolsky).

Rossi Osmida betrachtet es  als zweifelsfrei, dass die früheste Gottheit in der Menschheitsgeschichte eine Grosse Göttin war. Vom Paläolithikum bis zum Neolithikum und dem Beginn der Bronzezeit – also bis gegen Ende des 4. Jahrtausends – findet man Bildwerke, die auf die Verehrung einer Muttergottheit hindeuten (›Dea Madre‹, Electa – Mondadori, Milano 2006).

Die wunderschönen weiblichen Skulpturen, die durch ihre Einzigartigkeit und  Eleganz  auffielen, werden im Internet mit einem unglaublich abwertenden Kommentar eines Neiders, eines Göttinnen- oder Frauenfeindes oder eines simplen Kulturbanausen erwähnt. Er schreibt: »Plastische, plump wirkende, sitzende Stein-Figuren mit aufgesetzten Steinköpfchen, die in Gräbern deponiert wurden und als Muttergottheiten gedeutet werden.« (Eine der zauberhaft schönen weiblichen Figuren einer Fürstin oder Göttin finden Sie unter:  File: Kaunakes Bactria Louvre AO31917.jpg und Wikipedia Bilder)

Bei allen urgeschichtlichen Kulturen des Neolithikums, die von den Indo-Europäern überwältigt wurden, handelte es sich laut archäologischer Forschung ausnahmslos um herrschaftsfreie, egalitäre, friedliebende Gesellschaften, die – unbewaffnet und unbefestigt – eine leichte Beute der Eroberer wurden.

Der Übergang in die Zeit der Machtnahme durch indo-europäische Eroberer bis zum Untergang der ca. 10 Hektar großen Stadt Gonur wird durch eine bewehrte Zitadelle mit einem herrschaftlichen Palast gekennzeichnet. Der Palast war durch eine massive, durchgehende Außenmauer geschützt. Ausgelöst wurde der Umbruch und der darauf folgende Zusammenbruch wahrscheinlich durch Indo-Europäer, vermutet auch der Indo-Europäer-Forscher J.P.Mallory (›Encyclopedia of Indo-European Culture‹ S. 73). Schutzmauern wurden erst mit dem Auftauchen der kriegerischen Indo-Europäer mit ihren Waffen in der Bronzezeit notwendig. In diesen befestigten Städten entwickelte sich sukzessive das patriarchale Regierungssystem. Der politische Führer war von nun an ein König, bzw. ein Häuptling oder Chef: Im mesopotamischen Uruk und Ur, im elamischen Reich Susa, im westlichen Iran, in Mohenjo Daro und Harappa an den Ufern des Indus und nicht zu vergessen, in Ägypten, regierten nach diesem Umbruch regelrechte Dynastien.

In den Städten der Karakum ist der Übergang vom Matriarchat ins Patriarchat auch durch das Auftauchen männlicher Tonfiguren dokumentiert. Gabriele Rossi Osmida stellt fest:

Dass wir männliche Statuetten in einer Region mit vorwiegend weiblichen Darstellungen finden, ist eine absolute Neuheit.

»Männerfiguren, vielleicht sind sie das Zeichen für die damalige Veränderung in der Oasen-Gesellschaft. Ihre merkwürdig stilisierten, vogelköpfigen Gesichter gleichen ganz denen der weiblichen Gottheiten, die bereits an verschiedenen Orten der Oasenkultur gefunden wurden. Kein Zweifel, es handelt sich in der Tat um das männliche Pendant zu den weiblichen Figuren. Nachdem die Menschen in der Wüste Karakum lange Zeit nur Göttinnen verehrt hatten, fügten sie ihrem Pantheon, einen männlichen Gott hinzu. Diese Veränderung im Glauben spiegelt den Wandel wieder, der sich innerhalb der Kultur selbst vollzieht, den fortschreitenden Übergang vom Matriarchat zu einem System das von Männern beherrscht wurde« (Marc Jampolsky). Die weiträumige Kultur Zentralasiens stand den Kulturen Ägyptens, Mesopotamiens und des Industales in nichts nach.

Mehr über die Kulturen Zentralasiens und ihre Rolle bei der patriarchalen Machtnahme lesen Sie im Buch Seite: 42, 49, 51, 125, 192

Wie alles begann, nachlesen bei Doris Wolf:

Der Kampf gegen Weisheit und Macht der matriarchalen Urkultur Ägyptens

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