Symbole schreiben Urgeschichte
Aus dem Inhalt:
- Symbole – die Bildersprache der Steinzeit
- Das Primat weiblicher Symbole
- Die heiligsten aller Ursymbole sind Symbole weiblicher Schöpfungsmacht
- *Der Kuhkopf – Symbol des Uterus
- ⁑Der Kreis und der Kreis-im-Kreis (der Punkt-im-Kreis) –
Symbol für den Urschoss der Göttin⁂ Das Udjat-Auge - Die Augengöttin – Symbol für ›die Überströmende‹
- Das Ankh-Kreuz – Symbol des Lebens
- Das matriarchale Kreuz des Lebens
- Das Isisblut Da-t – Symbol für das heilige Menstruationsblut
- Der weibliche Blutfluss in der Mythologie
- Das Blut der Frauen – Quelle und Symbol des Lebens
- Die weiblichen Symbole sind universell:
Die Dreizahl und das heilige Dreieck - Das Dreieck in der Kunst der neolithischen Keramik
- Isis – die Göttin des Dreiecks und des Nil-Deltas
- Isis – die Göttin der sakralen Pyramiden von Gizeh
- Die Große Göttin der Pyramiden-Berge
- Heilige Wasser, heilende Quellen
- Muscheln und Schnecken – Symbole der Vulva, des Schoßes und der Wiedergeburt
- Die aggressive Usurpation und Perversion weiblicher Symbole im Patriarchat
Symbole – die Bildersprache der Steinzeit
Symbole sind die kreative geistige Leistung der Menschen der Steinzeit; es sind ›Hierogramme‹, heilige Zeichen und Ausdruck des Religiösen, welches nicht vom Profanen, dem Irdischen, dem täglichen Leben und dem leiblichen Sein getrennt war. In der Symbolik ist nichts zufällig oder unwesentlich, nichts daran ist oberflächlich oder banal, immer verbirgt sich hinter der Abstraktion eine tiefgründige Bedeutung, die sich aber dem gewohnten Blick und dem voreingenommenen – in der heutigen Zeit verhafteten – Denken nicht leicht zu erkennen gibt. Symbole sind oft verschlüsselt, von außerordentlicher Kraft und Magie, komplex und geheimnisvoll und der Interpretation meist schwer zugänglich. »Symbole bringen die Bildgedanken der menschlichen Erlebnisweise in eine feste Ausdrucksform, über die innerhalb bestehender Kulturen eine allgemeine Übereinkunft besteht. Doch ihre Bedeutung wandelt sich mit jeder Bewusstseinsveränderung. Darum ist es geboten, Symbole von ihren Anfängen her zu deuten und jede rückwärts gerichtete Projektion von unserem modernen Bewusstsein her in die Vergangenheit zu vermeiden«, schreibt Gerda Weiler. Und Carola Meier-Seethaler ergänzt: »Auf der Basis der jungpaläolithischen und neolithischen Tradition haben die frühen Hochkulturen die Symbole des Kreislaufs von Leben, Tod und Wiedergeburt mit Hilfe kostbarsten Materials und perfektem handwerklichem Können zur Vollendung gebracht. Es gibt kaum eine Geste, kein Ornament, kein Gestirn-, Tier- oder Pflanzenmotiv, das nicht einen kosmisch-symbolischen Bezug hätte, das nicht verbunden wäre mit göttlichen Gestalten. So hat die matrizentrische Kultur der Menschheit einen nicht wegzudenkenden Schatz an emotionalen und religiösen Symbolen geschenkt, von dem alle späteren patriarchalischen Kulturen bis heute zehren.« (Carola Meier-Seethaler ›Hochkulturen der Göttin – durch Vatergötter gestürzt‹ in ›Chronik der Frauen‹ 1992, S. 62)
»Die Göttin symbolisierte in ihren sämtlichen Erscheinungsformen die Einheit allen Lebens in der Natur.
Ihre Macht wohnte dem Wasser, den Steinen, den Grotten und Höhlen, Säugetieren und Vögeln, Schlangen und Fischen, Bergen, Bäumen und Blumen inne.« (Marija Gimbutas ›Die Sprache der Göttin‹ 1995, S. 321)
Nicht erst die Kunst der letzten 40’000 Jahre, die u.a. durch die beeindruckenden Höhlenmalereien bekannt geworden ist, bezeugt die künstlerische Meisterschaft der Menschen der Urgeschichte. Die Fähigkeit zur Abstraktion und zur Schaffung von Symbolen ist wesentlich älter.
Im Gegensatz zu den heute überbewerteten ›Hochkulturen‹ war die schriftlose Zeit keine ›Niederkultur‹, sondern eine höchst kreative Epoche. Die geistigen und künstlerischen Fähigkeiten der urgeschichtlichen Menschen werden jedoch von der patriarchalen Wissenschaft unterschätzt. Erwin Wagenhofer bemerkt in seinem Film ›Alphabet‹, dass 98 Prozent der Kinder als Hochbegabte zur Welt kommen, dass aber am Ende der Schulzeit nur noch 2 Prozent davon übrig bleiben. Die Kinder der Altsteinzeit lebten offenbar in einer Atmosphäre von Freiheit, die eine künstlerische Begabung unterstützte und förderte. Sie brauchten nicht auf Schulbänken ihre natürliche Neugier, ihren Wissensdrang, ihre Kreativität und Talente einzuschränken, um das zu erlernen, was sie nicht interessierte und bei uns vor allem den Interessen der Wirtschaft dient.
»Das Symbol«, so konstatierte der französische Psychologe Théodule Ribot bereits 1915 in der ›Revue philosophique‹ »hatte sein goldenes Zeitalter in der prähistorischen Periode. Seitdem wurde es zurückgedrängt und unter dem Druck des antagonistischen, rationalen Denkens geschwächt, das – verstärkt durch Erfahrung und Vernunft – stetig zunahm. Die raison d’être der Symbolisierung besteht in dem menschlichen Verlangen darzustellen, was im Grunde nicht darstellbar ist.« (zit. von Giedion ›Ewige Gegenwart – Die Entstehung der Kunst‹ 1964, S. 77)
Der Kunsthistoriker und Symbolforscher Siegfried Giedion bedauert die Folgen der unterschätzten Dimension in seiner umfassenden Darstellung der urgeschichtlichen Kunst: »Heute, da die Frage nach der inneren Bedeutung der Erscheinungen langsam in den Vordergrund tritt, wo Geschichte viel mehr als menschliches Schicksal, als eine Reihenfolge von Geschehen aufgefasst wird, fehlt uns für den Unterbau das nötige wissenschaftliche Material. Die Symbolforschung weist seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts keine Kontinuität auf.« (Giedion ibd. S. 74) Gründe für die Vernachlässigung der Symbolforschung liegen u.a. in der Verketzerung als ›nicht-wissenschaftliche Disziplin‹ einerseits, in der Dominanz der Naturwissenschaften und der philologischen (Sprach- und Literatur-) Forschung anderseits. Ein weiterer Grund kann in der materialistischen Geschichtsauffassung vermutet werden. »Zu lange galt das Verlangen, Mythen und Symbole zu deuten als unvereinbar mit der Würde eines ernsthaften Forschers. Sein Ethos gründete sich auf »unbeeinflussbarer Wahrheitsliebe und uninteressierter Hingabe an alle Probleme der Antike«, schreibt Giedion. »Diese Auffassung ist der Grund, warum die Untersuchung der Symbole mehr als ein Jahrhundert unterdrückt wurde. Diese Konzeption brachte es mit sich, alle Versuche zu verneinen und ihre Anhänger unmöglich zu machen.« (E. Howald, 1926, S. 23, zit. von Giedion S. 73 f.) Die Symbolforschung wurde von der patriarchalen Lehre – ähnlich wie heute die Matriarchatsforschung – nicht als ernst zu nehmende Wissenschaft akzeptiert. Dabei wäre gerade dieser Forschungszweig erhellend für die Urgeschichtsforschung. Doch Wissenschaftler verschiedener Provenienz wissen oder ahnen es zumindest, die Erforschung der Symbolik der Urzeit bringt für viele ganz und gar unerwünschte Resultate ans Licht, welche die Grundfesten des Patriarchats und die Überzeugungen patriarchaler Forscher und Denker erschüttern, ja ad absurdum führen würden. Denn:
»Die Vormachtstellung der Frau ist unverkennbar, obgleich sich nirgendwo Herrschaft,
immer nur natürliche Dominanz ausdrückt.« (Helmut Uhlig)
»Es wird behauptet, dass die Entwicklung beim ›ungeistigen‹ Frühmenschen zum logisch denkenden Vollmenschen ansetzte.« (Marie E.P. König ›Am Anfang der Kultur – Zur Zeichensprache des frühen Menschen 1973, S. 12) Diese falsche Prämisse beeinflusste, ja bestimmte die gesamte Urgeschichtsforschung und wurde bis heute kaum korrigiert. Doch: »Offensichtlich sind es die weiblich geprägten Frühkulturen, die ein Höchstmaß an Kreativität zur Bildung sinnhaltiger Symbole entwickelten. Ohne dieses Erbe besäßen wir nur einen Bruchteil unserer ornamentalen und architektonischen Formen, unserer mythischen Bilder, Sakramente und Feste.« (Carola Meier-Seethaler ›Von der göttlichen Löwin zum Wahrzeichen männlicher Macht: Ursprung und Wandel großer Symbole‹ 1993, S.12)
Die wissenschaftliche Anerkennung dieser Tatsache fehlt in weiten Kreisen. Zur Symbolik des Alten Europa schreibt Marija Gimbutas, dass die für eine Untersuchung verfügbaren Zeugnisse so zahlreich sind, »dass das bisherige Desinteresse daran mehr als erstaunlich ist. In dem reichhaltigen Fundmaterial ist die Kollektion an Kultgefäßen und anderen mit Symbolen markierten Objekten besonders umfassend. Die Figurinen, die kleinen Skulpturen, die in großer Zahl an fast allen neolithischen Siedlungen und Begräbnisstätten gefunden wurden, sind von unschätzbarem Wert für die Rekonstruktion nicht nur der religiösen Symbolik, sondern auch der Religion.« (Gimbutas ›Sprache‹ 1995, S. XVI) Das Patriarchat hat aus naheliegenden Gründen kein Interesse daran, die weibliche Religion zu erforschen.
Mysteriöse Zeichen in der Höhlenmalerei
»In zahlreichen, bis zu 30’000 Jahre alten Höhlenmalereien finden sich Zeichen, die offenbar über weite Regionen Südeuropas [ja, der ganzen damaligen Welt] verbreitet waren – womöglich ein Wendepunkt für die Kulturen dieser Epoche. Nur wenige Wissenschaftler haben sich bislang ernsthaft mit den relativ kleinen und unauffälligen Zeichen im Umfeld der Höhlengemälde befasst. Genevieve von Petzinger von der University of Victoria im kanadischen British Columbia legte nun zusammen mit April Nowell eine neue Vergleichsstudie vor. Von Petzinger erfasste hierbei alle [ca. 5000 meist geometrische und lineare Zeichen von Strichen, Punkten, Kringeln usw.] aus 146 französischen Höhlen in einer Datenbank, die den Zeitraum von 35’000 bis 10’000 Jahren vor unserer Zeit abdeckt. Resümee der Anthropologin: ›Die unglaubliche Vielfalt und der durchgängige Gebrauch der Zeichen legen nahe, dass die symbolische Revolution schon vor der Ankunft der ersten modernen Menschen in Europa begonnen hatte‹. Die französischen Höhlen sind für prähistorische Felsenkunst berühmt. Um die archaischen Gemälde herum untersuchten Archäologen 26 Symbole, die an zahlreichen Stätten auftauchten – über Zeiträume von 25’000 Jahren.« (›Spektrum der Wissenschaft‹, mit einem Steinzeit-Grafitti nach Genevieve von Petzinger und April Nowell, Februar 2011) Petzinger und Nowell waren erstaunt über das klare Muster der 26 Symbole über alle geografischen Räume und Zeiten hinweg; einige der Höhlen wurden während 20’000–25’000 Jahren benutzt. Die 26 Zeichen könnten früheste Spuren eines grafischen Codes darstellen, welche diese Menschen kurz nach ihrem Eintreffen aus Afrika schufen oder von dort mitbrachten. Sollte dies zutreffen, würde dies darauf hinweisen, dass Kunst schon zehntausende Jahre früher als bisher vermutet entstand. Die beiden Wissenschaftlerinnen versuchen nun die Bedeutung der Symbole zu erforschen.
Giedion betont, dass rationales, einseitig männliches Denken nicht genüge, um die Symbolsprache vergangener Kulturen zu erforschen und zu verstehen, es brauche ebenso die Intuition. Das Zusammenbringen von Intellekt und Intuition scheine jedoch Frauen näher, als das von Männern bevorzugte einseitig rationale Denken.
»Jeder kreative Wissenschaftler ist auf die Intuition angewiesen.
Viele glauben, sie überlegen sich etwas mit dem Verstand,
aber da kommt nicht wirklich was Neues heraus.«
(Hans-Peter Dürr, Quantenphysiker)
»Überall geht ein frühes Ahnen dem späteren Wissen voraus«, wusste Alexander von Humboldt. Intuition und Emotion, Gefühl und Gespür sind für viele Forscher ›unwissenschaftlich‹, emotionale Intelligenz unangebracht, wertlos, verpönt, obwohl Intuition und Gefühle oftmals schlauer als der Verstand sind; eine Art von höherer Intelligenz oder Weisheit. Plato hielt Gefühle für eine Art Krankheit und Gefühle für Dämonen, die es durch Denken zu zähmen gilt. Daran hat sich das Gros der Wissenschaftler bis heute gehalten. »Entscheide, bei denen Menschen auf ihre Intuition, ihre Bauchgefühle vertrauen, stehen nicht in gutem Ansehen. Zu Unrecht, meint Professor Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin« (NZZ Standpunkte vom 28.9.2014) ›Kopf oder Bauch: Wer entscheidet besser?‹ Desgleichen vertritt Maja Storch von der Uni Zürich die Meinung, dass wir unseren Verstand und unser Bauchgefühl zu gleichen Teilen für unsere Entscheidungsfindung heranziehen müssen. Ganz ähnlich drückte es Meret Oppenheim für die Kunst aus:
›Aus dem Intellekt kommt nichts – er ergreift die Seele des Beschauers nicht.‹ Und:
›Die Eigenschaften, von denen ich spreche, heißen: Gefühl, Intuition, Weisheit.‹
Das Primat weiblicher Symbole
Die Dominanz weiblicher Symbole der Urzeit ist eindeutig und offensichtlich. Wo dies nicht geleugnet oder ignoriert werden kann, werden die Zeichen oft als ›rational unerklärbar‹ oder sogar als ›Pornographie‹ gedeutet.
Frauen wurden lange an der höheren Bildung gehindert und von Wissenschaft und Forschung fern gehalten und dies bis Ende des 19. Jahrhunderts. Bildungsmäßig hatten Frauen ein enormes Defizit. Doch sie begannen, sich gegen die ihnen aufgezwungene Benachteiligung zu wehren, forderten immer lauter Gleichberechtigung in Bildungsfragen, was aber erst nach dem Ende des 1. Weltkrieges in breiteren Kreisen erreicht wurde. Dann aber setzten sie zum Überholsprung an. Was Frauen in wenigen Jahrzehnten in Wissenschaft und Forschung geleistet haben, ist, trotz aller Widerstände der universitären männlichen Autoritäten und jenen nicht minder gebieterischen Vertretern der patriarchalen Religionen, immens. Eines ihrer bevorzugten Gebiete war und ist die Suche nach den Möglichkeiten einer ›anderen, einer besseren Welt‹ für sich und ihre Kinder, als die patriarchale Welt der Machtmenschen mit ihrer Anfälligkeit für Eitelkeiten, Korruption und Ausbeutung, ihrer Grausamkeit, Härte und Gewalt. Die Suche führt weit zurück in die matriarchale Urzeit und ihre Symbole und zu den Anfängen der menschenverachtenden geschichtlichen Zeit des Patriarchats.
›Wenn die afrikanischen Symbole aus der Urzeit der Menschheit stammen, könnte es sehr wohl das afrikanische Erbe gewesen sein, das die ägyptische Kultur hervorgebracht hat.‹ (Gerda Weiler)
Die heiligsten aller Ursymbole sind Symbole weiblicher Schöpfungsmacht
⁎ Der Kuhkopf – Symbol des Uterus
Das Uterus-Symbol ist ein Aspekt der ›Roten‹ Göttin – in Ägypten der Großen Göttin I-Set – bekannt unter ihrem griechischen Namen Isis und der menstruierenden ›roten‹ Frau, die fähig ist, schwanger zu werden und zu gebären. Sie steht deshalb mit dem Mond, dem weiblichen Mondkalender und dem weiblichen Dreieck in Verbindung. Solche Darstellungen fand man in großer Zahl bereits bei den Grabungen in der südwestlichen Türkei. James Mellaart, der Ausgräber von Çatal Hüyük und Hacilar (8. bis 6. Jahrtausend) bezeichnete irrtümlicherweise die auffallenden Rinderschädel (Bukranien) mit echten Hörnern als ›Stierköpfe‹. Dorothy Cameron fand jedoch heraus, dass Bukranien weiblich sind und als Symbole für die weiblichen Schöpfungsorgane stehen. Damit sind die Rinderschädel in der matriarchalen Urgeschichte völlig anders zu interpretieren als es Wissenschaftler tun, welche die Rinderschädel gerne als ›Stierköpfe‹ bezeichnen. Der Stier kann jedoch niemals ein Symbol für den Uterus sein und als Symbol männlicher Potenz kann er nicht vor der Entdeckung der biologischen Vaterschaft verehrt worden sein.
Nachdem der männliche Anteil bei der Zeugung von Nachwuchs erkannt war, vergöttlichten die ›ersten Väter‹, die Patriarchen, ihr Spermienejakulat und erschufen den ersten Vater- und Schöpfer-Gott und sich selbst als seine göttlichen Vertreter auf Erden. Ihre Potenz verglichen sie mit der eines ›göttlichen Stieres‹.
»Bukranien waren mit dem Kult der Mondgöttin verbunden und gewöhnlich an den Kultbildern der Kuhgöttin Hera, Astarte, Io, Isis oder Hathor angebracht« (Ranke-Graves 1986, S. 200). Isis, die ägyptische Himmelsgöttin ist die himmlische Kuh, die alles gebar, die ›Schöpferin des Alls‹. Herodot berichtete, dass »unter den heiligen Tieren keines eine so große und allgemeine Verehrung geniesse, wie die Kuh« (Hans Bonnet ›Reallexikon der Ägyptischen Religionsgeschichte‹ 1971, S. 402). Sie wurde dann auch als Mutter des arischen Sonnengottes der Invasoren, Ra, bezeichnet: die ›Kuh, die Re gebar‹, er ist das ›schöne Kalb aus dem Urgewässer Nun‹, das aus dem Fruchtwasser ihrer Gebärmutter geboren wurde. Die Kuh vertritt neben der Gebärmutter und der gebärenden Mutter auch die Nährende, die milchgebende Mutter und ist ein typisch matriarchales Symbol. Jede Rinderherde ist ein mutterbezogenes soziales Gebilde – das wie bei den Elefanten – von der ältesten, erfahrensten und weisesten Leitkuh geführt wird, welche die Herde lenkt. Sie ist die ›Königin der Kühe‹ und Verantwortliche der Herde. Als Kuh-Göttin symbolisiert sie die Matriarchin und die Königin. (s. D. Wolf 2009, S. 193 und S. 257)
Der älteste Nachweis für die Verehrung des Uterus in Ägypten ist das von Christiane Desroches Noblecourt im Tal der Königinnen dokumentierte ›Uterus-Heiligtum‹ (›Les Dossiers d’Archéologie›, 149–150, 1990).
Wie in Sakkara wurden auch anderenorts Anzeichen der Verehrung von Tierschädeln gefunden, zum Beispiel in der Nähe von Hamburg, im Stellmoor–Ahrensburg. Alfred Rust fand hier einen Holzpfahl mit dem Rentierschädel eines weiblichen Rentiers aus der Zeit um 8000. Auch hier geht es eindeutig um die Darstellung des Uterus und der Eileiter, wie beim Bukranion (s. D. Wolf 2009, S. 257 f.).
In Schwärzenbach (Baden-Württemberg) fand der Wirt Frank Benz im Gebälk seines Dachbodens einen wahrscheinlich ca. 360 Jahre alten, mumifizierter Kalbskopf. Frank Ebner, ein Fachmann für historische Gasthäuser sagte: Es handele sich um einen Schutzzauber, der die Bewohner vor bösen Einflüssen bewahren sollte. (Badische Zeitung vom 18.07.2014) Man darf wohl davon ausgehen, dass der Glaube an den Schutz der Kuhgöttin aus der sogenannt heidnischen Zeit überdauert hatte.
Links: Holzpfahl mit dem Rentierschädel eines weiblichen Rentiers aus der Zeit um 8000 (Abb. nach S. Giedion 1964, S. 213).
Der Stier und der Penis des Stieres – nicht der Stierkopf – wurden, nachdem die indoeuropäischen Rinderzüchter die Rolle des männlichen Tieres bei der Zeugung verstanden hatten, zum Sinnbild männlicher Potenz und Macht. Folgerichtig schlossen die Männer aus ihrer Erkenntnis auf ihren eigenen Beitrag bei der Zeugung von Nachkommen und ihre eigene ›Wichtigkeit‹. Das war wahrscheinlich erst zwischen dem 6. und 4. Jahrtausend der Fall; davor war die Vaterschaft unbekannt.
Sie entdeckten die Vaterschaft und erfanden die menschenfeindliche Ideologie
und den religiösen Kult der Väter, das Patriarchat.
Im Überschwang ihrer Entdeckung begannen erste patriarchale Männer sich einzubilden, sie seien nicht nur Beteiligte, sondern die eigentlichen Schöpfer der Nachkommen, ja der Welt. Und – deshalb seien sie den Frauen weit überlegen! Sie begannen die Frauen zu diffamieren und zu unterdrücken, die friedlichen matriarchalen Völker zu überfallen und über sie zu herrschen, z.B. Mesopotamien, Ägypten, Indien mit dem Industal, Alt-Iran, Alt-Europa usw.
Zeus vermännlichte das weibliche Bukranion zum Uterus-Stierkopf, aus dem er die Göttin Athene ›gebar‹. Die Häuptlinge der indoeuropäischen Eroberer Ägyptens nannten sich ›Starker Stier‹. Ein Stier- oder Widder-Kult machte erst nach der Entdeckung der Vaterschaft Sinn.
Die Große Göttin ist Anfang und Ende – Alpha und Omega
Der Kuhkopf, Uterussymbol und Sinnbild des Ursprungs, wurde zum ersten Buchstaben der Alphabete; »in Babylon war der Buchstabe A ein Name der Göttin des Ursprungs. In Südostasien gilt das Alpa Akshara – der Buchstabe A – als Mutter aller Weisheit und spirituelle Gebärerin aller erleuchteten Menschen« (L.A. Waddell ›Tibetan Buddhism‹, zit. von Walker 1997, S. 61). Im Griechischen ist der Rinderkopf ebenfalls der Geburtsbuchstabe Alpha und das dreifache Alpha war ein Schutz-Talisman für gebärende Frauen. Wir wissen vom indoeuropäischen, altgriechischen Zeus, dass er sich das matriarchale Bukranion-Symbol der Göttin aneignete. Er verwandelte sich in einen Stier und gebar absurderweise aus seinem ›Stierkopf-Uterus‹ die Göttin Athene. Bachofen deutete diesen Umbruch als Sieg des Vaterrechts über das alte Mutterrecht. »Denn Athene war nicht durch eine Frau geboren worden, sondern dem Kopf ihres Vaters Zeus entsprungen. Deshalb klagt der Chor der Erinnyen (den mutterzentrierten Rachegöttinnen) in der Tragödie des Aischylos:
›Oh neue Götter, altes Gesetz und uraltes Recht.
Ihr reißt sie nieder, reißt sie fort aus meiner Hand.‹
»Die neuen Götter, das sind Apoll und Athene. Und das alte Recht ist das Mutterrecht. Bachofens Deutung ist richtig. Das hatte vor ihm noch niemand gesehen«, schreibt der Rechtshistoriker Uwe Wesel (›Im Reich der Mütter‹, Zeit online 2011/19) Die Darstellung der Großen Göttin im Symbol der Kuh und des Kuhkopfes und die Ähnlichkeit mit den lebenspendenden Fortpflanzungsorganen des weiblichen Körpers zeigt uns, dass im Neolithikum ein ungeheures anatomisches und medizinisches Heilwissen und chirurgisches Können vorhanden war.
Das Omega-Zeichen Ω ist das Symbol für den Uterus, »wahrscheinlich ein Symbol des Mutterschoßes.« (Othmar Keel/Silvia Schroer ›Eva – Mutter alles Lebendigen‹ 2004, S. 106) Alpha und Omega, der erste und der letzte Buchstabe des klassischen griechischen Alphabets, sind Symbole für Anfang und Ende, sind Symbole der Großen Göttin und nicht biblischen Ursprungs.; auch wenn im Buch des Jesaja Gott mehrmals als ›Erster und Letzter‹ bezeichnet wird und in der Offenbarung des Johannes (Kap. 22,13) Jesus sich als das ›Alpha und Omega‹, als ›Erster und Letzter‹ bezeichnet.
Der Kreis steht ursprünglich für die alles umfassende ewige Göttinnenkraft; als Symbol für die kreative Energie, den kosmischen Schoß der Göttin, aus dem heraus sie die Schöpfung schuf. Der Kreis-im-Kreis ist das Symbol für Kreation, Genesis, Ursprung, Entstehung, Mittel-Punkt und Schwangerschaft, für das sich stets wiederholende Wunder der Schöpfung aus der Frau und der Natur, für alles, was im Innern geschützt heranwächst: für das Ei, die größte einzellige Zelle des Menschen im Eierstock, für den Embryo in der Fruchtblase, das Kind im Uterus, das werdende Leben im Mutterleib, die Perle in der Muschel, das Samenkorn in der Erde.
Unter den Pharaonen wurde dieses Symbol des weiblichen Urschoßes von der Priesterschaft usurpiert und einem der ersten erfundenen männlichen Götter, dem indoeuropäisch/arischen Sonnengott Ra zugeschrieben. Das Kreissymbol sollte seine fehlende ›weibliche Schöpferinnenkraft‹, den weiblichen Schoß ersetzen und damit den Beweis der männlichen Schöpfungskraft erbringen. Über Schöpferkraft verfügt aber nur die Natur und die Frau, kein Gott hat einen weiblichen Uterus. Aus diesem Grund wurden all die skurrilen Schöpfungsmythen erfunden – bei denen auf die Frau verzichtet werden konnte –, die Mythenerfinder waren gezwungen, den Göttern durch völlig widernatürliche Methoden Schöpferkraft zuzuschreiben. In der Bibel, dem Buch der Sagen und Untaten des Patriarchats, wurde der Mythos von der Schöpfung durch das Wort – ursprünglich die Legende des babylonischen Stadtgottes Marduk – übernommen.
Obwohl Ra relativ spät als Gott der Eroberer in Ägypten auftauchte, wusste die arische Priesterschaft, die sie begleitete, noch um die außerordentliche Bedeutung des Kreis-Symbols für weibliche Schöpferinnenkraft. Diese Kraft, die nur die Frauen haben, usurpierten die Priester, um ihren eigenen Göttern Schöpferkraft zu attestieren, welche sie einfach nicht haben. Ra mit dem ihm zugeordneten ›Kreis-im-Kreis‹-Symbol ›ist gekommen als Sonnenscheibe‹ – heißt es. »Die Inschriften auf ägyptischen Sonnenheiligtümern der V. Dynastie stellen die Sonne als flache Scheibe dar. Wie weit sie zeitlich zurückgreifen, steht nicht fest. Sie waren dargestellt als Scheibe, als Scheibe mit einer Punktuation, als Scheibe umgeben von einem Rand«, schreibt Giedion und fährt fort:
»Diese verschiedenen Darstellungen sind bekannte prähistorische Symbole,
die auch auffallend oft in der neolithischen Periode vorkommen.«
»Die Ägyptologen stehen in Bezug auf die Deutung dieser Symbole vor ähnlichen Ungewissheiten wie die Prähistoriker. Heinrich Schäfer meinte: ›Für den Ägypter ist die Sonne eine etwa linsenförmige Scheibe, nicht ein Ball. Warum ihr Schriftzeichen nicht nur als glatte Scheibe erscheint, sondern auch mit einem Punkt, oder besser mit einem kleinen Kreis in der Mitte, oder einem ringartigen Rand, wissen wir nicht‹. Der Form und auch der Bedeutung nach sind diese Hieroglyphen den Symbolen der Urzeit verwandt, aber sie entziehen sich wie diese einer präzisen Festlegung« (zit. von Giedion 1964, S. 123) Wenn wir die Form aber als Ursymbol des kosmischen weiblichen Schoßes der Schöpfergöttin anerkennen, ist eine präzise Bestimmung eindeutig möglich. Das Leben kommt aus dem weiblichen Schoß, das ist nicht zu leugnen. Ra »gilt sowohl als Schöpfer des Himmels und der Erde, wie auch als der, der die Götter, bzw. die Großen erschuf. Er wird daher Vater der Götter genannt.« Doch Ra ist »seinem Wesen nach Sohn einer Muttergottheit, weshalb ihm die Eigenschaft eines Urgottes erst sekundär zugewachsen« ist (Barta ibd.). Ra ist die Eigenschaft eines Urgottes auch nicht einfach ›zugewachsen‹, sondern ist aktiv und mit Absicht von der arischen Priesterschaft auf ihn projiziert worden. Trotz all der prahlerischen Zuschreibungen als ›dem Größten‹, ›dem Ältesten‹, ›dem Mächtigsten‹ der Götter, dem ›Ur-Schöpfer‹, akzeptierte ihn die matriarchale Bevölkerung nicht als einen der ihren. (s. Barta ibd). Die Zuschreibungen wurden nahtlos auf die Götter der drei Mono-Religionen übertragen. Dem Problem, dass die indigenen ÄgypterInnen die fremden Götter verständlicherweise nicht haben wollten, begegnen wir mehr als einmal.
Dem Kreis-im-Kreis anverwandt ist das erstaunlichste und am wenigsten verstandene Zeichen, das sich in die Reihe der kunstvollen Allegorien für die weiblichen Fortpflanzungsorgane einordnet:.
⁂ Das Udjat-Auge
Wörtlich ›Heilauge‹. Das Udjat-Auge gehört zu den geheimnisvollsten Symbolen der ägyptischen Kunst. Es symbolisierte ursprünglich das ›Allessehende Auge der Göttin‹ Isis, der ›Seherin‹, die ›klüger war als alle Götter‹. Es steht für Schutz, Kraft, Heil, Gesundheit, Leben und Glück und wird als besonders zauberkräftiges Augenornament betrachtet. Das Symbol wurde von der damaligen Priesterkaste usurpiert und zum ›Auge des Horus‹, des Gottes der Eroberer gewandelt. »Da dieses Auge nach der Legende seine Heilkraft erstmals bei der Wiederbelebung des toten Osiris bewies, spielte es auch eine Rolle im ägyptischen Totenkult.« (Joachim Rehork ›Enzyklopädie der Archäologie‹ 1990, S. 460) Das Auge ist ein Symbol für ›Öffnung‹, weshalb das Udjat-Auge ebenfalls ein Symbol für den offenen Muttermund ist; offen für die Wiedergeburt durch die Schöpferinnenkraft des weiblichen Schoßes. In einem der zahlreichen Mythen setzt sich die Göttin Isis auf den Phallus des toten Osiris, wobei ihre zauberträchtige offene Vulva/Vagina ihn ›heilt‹, d.h. wiederbelebt und sie schwanger wird.
Die Bezeichnungen ›Udjat‹, ›Wadjet‹, ›Ua-Set‹ usw. sind verschiedene Übertragungen aus der Hieroglyphenschrift (s. Wolf ›Zur Transkription und Transliteration‹) für den Namen der Göttin, die im griechischen ISIS genannt wird. Dies gilt auch für die transkribierten Namen für die Kobragöttin der Urzeit, die man als Schöpferin der Welt verehrte und ebenfalls ›das Auge‹ nannte.
In der matriarchalen Zeit Ägyptens war das ›Auge der Isis‹ ein außerordentlich bedeutsames Symbol. Schon deshalb wurde es von den klerikalen Mythenerfindern usurpiert und den ersten männlichen Göttern der dynastischen Zeit in manchen Augen-Mythen zugeeignet. Das Auge wurde als Amulett der Isis bereits für die neolithische Badari-Zeit Ägyptens (5500–4000) nachgewiesen, als es überhaupt noch keine männlichen Götter gab. Die vielen kruden Legenden und Sagen der indoeuropäisch/arischen Göttermacher und Mythenerfinder verwirrten und erschwerten die Entschlüsselung des Symbols außerordentlich. Es blieb rätselhaft, eröffnete den Ägyptologen seine tiefe Mystik und geheimnisvolle Symbolkraft nicht. Bei der Suche nach der Lösung dieses mystischen Rätsels erinnern wir uns, dass die bedeutendsten Symbole der Urzeit die Schöpfungspotenz der Frau repräsentieren. Wie der Kuhkopf, der den Uterus symbolisiert, steht auch das Auge für einen Aspekt der weiblichen Schöpfungsorgane:
Das Udjat-Auge ist das Symbol für die Öffnung der Gebärmutter, den Cervix
Der Cervix, die Öffnung, das untere Ende der Gebärmutter, der äußere Gebärmuttermund und Eingang in den Uterus hat effektiv eine erstaunliche Ähnlichkeit mit einem ›Auge‹. Das kann sehr einfach mit einem Vaginalspekulum, das in der Gynäkologie verwendet wird, festgestellt werden.
Links: Kein Keulenkopf, sondern das Symbol der Öffnung des Muttermundes (Metropolitan Museum of Art NY 1986)
In ihrem Buch ›Die weise Wunde Menstruation‹ kommen Penelope Shuttle und Peter Redgrove zum gleichen Schluss: »Das Auge gleicht dem Muttermund, dem ›Geburtskegel‹ der Gebärmutter, dessen Öffnung wie die Pupille eines Auges aussieht. Dieser Kegel befindet sich am Ende des zylindrischen vaginalen Gewölbes und sieht aus wie eine in einem sichelförmigen Mond ruhende Kugel, wie ›der alte Mond in den Armen des neuen Mondes‹… Das Einauge als Sinnbild der Göttin ist in den Kulturen des Altertums weit verbreitet und könnte seinen Ursprung in der Ähnlichkeit mit der ›inneren‹ Vagina haben.« (›Weise Wunde Menstruation‹ 1980, S. 191 f.) In der Augenbraue des Udjat-Auges wird möglicherweise der spiralförmige, hörnerartige Eileiter angedeutet. Von Giedion stammt der Hinweis, dass es immer einige unvoreingenommene Ethnologen, Kunsthistoriker, Symbol- und Urgeschichtsforscher gab, die sich bemühten, die Denkart der frühen Menschen besser verstehen zu können und ein Einfühlungsvermögen für die geheimnisvollen und tiefgründigen Zeichen der Symbolik zu entwickeln. Effektiv sahen auch einige von ihnen »das Auge als ein Bild für die Vagina« (Giedion ibd. S. 184). E.A. Wallis Budge sah im Symbol des Auges die ursprüngliche, weibliche Personifizierung der ›feuchten Materie‹, welche die Substanz der Welt geformt hat, eine Form des uranfänglichen, weiblich-schöpferischen Prinzips. Es ist anzunehmen, dass im Symbolismus des Auges die genauen Kenntnisse der inneren Anatomie, das detaillierte Wissen um die Schöpfungsorgane, bestätigt wird, was wir schon beim Uterus-Symbol, dem gehörnten Kuhkopf sahen. Während sich die Männer auf die Jagd und ›jagdmagische Aspekte‹ konzentrierten, beschäftigten sich die Frauen mit der Anatomie und der inneren Medizin zum Wohlergehen der schwangeren und gebärenden Mütter!
Frauen wussten um die Geheimnisse von Leben und Tod und waren fähig, die ›magische Kunst des Heilens‹ auszuüben, weil sie den menschlichen Körper kannten. Das Öffnen des toten Körpers wurde nicht erst durch Mumifizierung in der patriarchalen Zeit der ägyptischen Dynastien erfunden, sondern war längst bekannt. ›Mumien – schon in der Jungsteinzeit‹ titelte ›bild der wissenschaft‹ am 13.8.2014. (s. Wolf ›Die Beiträge der Frauen – der Ursprung der Kultur‹)
Schon lange müssen Frauen die inneren Organe untersucht haben, um Krankheiten, wahrscheinlich aber vor allem, um das Mysterium von Schwangerschaft und Geburt und damit zusammenhängende Probleme besser verstehen und behandeln zu können.
Die Augengöttin – Symbol für ›die Überströmende‹
Marija Gimbutas erforschte die auffallende Augensymbolik in Alteuropa und erkannte, dass die Augen der Göttin ›als Quell göttlicher Flüssigkeit‹ galten. Darstellungen von Göttinnen-Figuren der ›Allsehenden‹ mit strömenden Linien von Flüssigkeit, die aus ihren Augen fließen, wurden bereits aus dem Jungpaläolithikum, dem Mesolithikum und Neolithikum gefunden. Tausende von Kleinskulpturen mit übergroßen Augen wurden sowohl in Mesopotamien, in Ägypten, als auch den andern vorderasiatischen Kulturen entdeckt, wo die Augengöttin verehrt wurde.
Links: Statuette aus dem Jungpaläolithikum mit schlitzförmigen Augen, aus denen Ströme auf die schweren Brüste hinabfließen. Höhe 11 cm, Ton und Knochenmehl gemischt, aus Dolni Vestonice, Mähren, um 24’000, nach Gimbutas ›Sprache‹ 1995, S. 61.
Die Augengöttin ist ›die Urflut‹, ›die Große Flut‹, die ›Große Fülle‹, die ›Überströmende‹. Sie ist die Mächtige, die Üppige, die aus ihrer Gebärmutter Überfluss Verströmende, die unerschöpfliche Quelle jeder Art. Marija Gimbutas sieht einen Zusammenhang von ›Augen als Quelle göttlicher, lebensspendender Flüssigkeit‹ und den geheimnisvollen Näpfchen oder Cupules, den in Stein gekerbten kleinen Kuhlen, die wir in Europa seit dem Moustérien (120’000–40’000), vor allem aber in der Zeit des Aurignacien (28’000–20’000) finden. Immer wieder begegnen wir dem ausdrucksstarken Augensymbol, den Näpfchen. »Gelegentlich ist ein anthropomorpher Stein – die Göttin – ganz und gar von ihnen bedeckt.« Nicht selten sind die kleinen runden Gefäße – Näpfchen oder Cupules – mit einem Kreis umgeben und »haben eine unverkennbar metaphorische Funktion – als Augen, die der Quell göttlicher Flüssigkeit, des Lebenswassers selbst sind und zugleich dessen Gefäße, die es beim Niederrinnen auffangen.« Marija Gimbutas sieht in den Näpfchen ›Miniaturbrunnen‹, »mit dem heiligen Wasser der Göttin/Lebensspenderin gefüllte Vertiefungen. Als Quelle des Lebens und der Gesundheit stehen sie in Beziehung zum göttlichen Auge, zu Quellen und Brunnen« (Gimbutas ›Sprache‹, 1995, S. 61 und 322). Die meisten Forscher sind sich einig, dass es sich bei den Näpfchen um Wiedergeburtssymbole handelt, wenn sich auch ihre Erklärungen und Deutungen unterscheiden. Klar ist jedoch allen, dass eine Geburt und eine Wiedergeburt nicht aus einem Mann, auch nicht aus einem männlichen Gott kommen kann. Das ist der Grund, weshalb die patriarchalen Priester dem Wiedergeburtsglauben ein Ende setzten und eine raffinierte Geschichte vom ›ewigen Leben im Jenseits‹ erfanden.
›Wir kommen alle aus dem weinenden Gottesauge‹
dichteten die Propagandisten der patriarchalen Religionen, die Mythen-Erfinder und Usurpatoren. Sie stellen sich auf beiden Augen blind für die weibliche Symbolik der Urzeit. Zum ›tränenden Gottesauge‹ bemüht die Ägyptologin Brunner-Traut die These vom ›Wortspiel‹: »Der Vorstellung, dass die Menschen ›aus dem Auge des Re‹ entstanden sind, »liegt das Wortspiel zugrunde, dass ›Träne‹ und ›Mensch‹ ähnlich lauten. So sind die Menschen Tränen Gottes. Wenn das Auge des Re sich gegen die Menschen wendet, so als Sonnenglut, als sengende Hitze. Dass Hathor ihre Sache ›macht durch das Auge‹, beruht auf der Wortgleichheit zwischen ›Auge‹ und ›machen‹. Sie ›macht‹ es für den ›Macher, Erzeuger‹, welches Wortspiel hier im ›Allmächtigen‹ aufzufangen versucht ist.« (Brunner-Traut ›Altägyptische Märchen‹ 1989, S. 300) Im gleichen kruden Sprachstil wie Brunner-Traut legen auch andere Exegeten der monotheistischen Religionen ihre Verdrehungen, Vertuschungen und Ungereimtheiten der patriarchalen Religionsgeschichte aus. Wir kommen eben nicht aus den Tränen Gottes sondern aus dem Blut des Mutterleibes.
Erik Hornung bemüht das ›Wortspiel‹ ebenfalls und bedient sich Brunner-Trauts Eingebung: »Dass die Menschen aus den ›Tränen‹ und damit aus dem Auge des Schöpfers entstehen, beruht auf einem Wortspiel zwischen den Wörtern für ›Mensch‹ und ›Träne‹. Wie jedes ägyptische Wortspiel, öffnet auch dieses den Blick in tiefe Zusammenhänge, zeigt uns die ›Stimmigkeit‹ der Welt, die sich in der Sprache spiegelt. Blitzartig wird unsere zwiespältige Herkunft aufgehellt – ›wir kommen alle aus seinem Auge‹, aus dem weinenden Gottesauge, das von vorübergehender Blindheit getrübt war«. (Hornung ›Der Eine und die Vielen‹) Die ›Tiefe der blitzartigen Aufhellung‹ vermag jedoch nicht zu erhellen, dass Ra in der frühen Mythologie aus dem ›Udjat-Auge‹, der Gebärmutter der Göttin, geboren, und dass er von ihr mit dem ›Auge‹ ausgestattet wurde. Lana Troy nennt das Udjat ›das uterine Auge des Re‹. Dass ein männlicher Gott nie einen Uterus hatte, ist nicht zu bezweifeln.
Etwas skurril ist die Interpretation schon, dass alle und alles aus dem ›weinenden Gottesauge‹ entstanden sei, aber aufschlussreich ist der Grund seines Weinens: »Wenn das Auge des Re sich gegen die Menschen wendet, so als Sonnenglut, als sengende Hitze«, ist es, weil die Menschen schlecht sind, sie haben sich aufgelehnt gegen Gottes heilige Ordnung, vernehmen wir von Brunner-Traut. Das Volk will diesen Gott nicht, es rebelliert gegen ihn, hat Anschläge gegen ihn geplant. Der Aufstand der Ägypter im Frühjahr 2011 gegen ihren tyrannischen Herrscher ›Pharao‹ Mubarak und seine Schergen tönt wie das Echo aus damaliger Zeit. Der vermeintliche ›Urgott‹ klagt: ›Weinen musste ich wegen des Wütens gegen mich. Die Menschen gehören der Blindheit, die hinter mir ist‹. Und Hornung folgert: »Gott hat die Trübung seines Auges wieder überwunden, aber den Menschen hat ihre Herkunft das Schicksal mitgegeben, niemals am klaren Götterblick teilzuhaben, ihnen ist in allem, was sie schauen, denken und tun Trübung beschieden.« (Hornung ›Der Eine und die Vielen‹ S. 142)
Zum Sammelsurium der vielen absurden Augensagen, die nur ein Ziel hatten, von der weiblichen Schöpfung und der ursprünglichen Symbolik abzulenken, schreibt Eberhard Otto etwas hilflos: »Es ist unmöglich und wäre methodisch falsch, die Augensagen irgendwie als eine ursprüngliche Einheit verstehen zu wollen. Die zahlreichen Assoziationen und Gleichsetzungen entsprechen nicht einem einheitlichen Konzept, sondern müssen als Aufsummierung verschiedener Vorstellungen und Denkprozesse verstanden werden. In der intellektuellen Möglichkeit solcher Aufsummierung aber begreift der Ägypter die Vielfältigkeit der Erscheinungen als eine verborgene, aber entdeckbare Einheit«. (LÄ, I S. 566 ›Augensagen‹) Zwar ›entdeckbar‹, aber von der patriarchalen Wissenschaft noch nicht entdeckt – bzw. noch nicht einmal wahrgenommen! Das ›Verborgene‹ ist aus der eingeschränkten Sichtweise der Voreingenommenenheit kaum zu begreifen.
»In den bildlichen Darstellungen Südost- und Westeuropas tritt das Augenmotiv sehr häufig in Verbindung mit der Schlange auf und Augen werden durch Schlangenspiralen symbolisiert… Nach alter Überzeugung bezog die Schlange ihre Kraft aus dem Wasser und der Sonne… Diese phantasievolle archaische Metapher, welche die magische Kraft der Schlange mit der schöpferischen Kraft der Natur zusammenbringt, muss sich sehr früh aus einer natürlichen Intuition herausgebildet haben.« (Gimbutas ›Die Sprache der Göttin‹ 1995, S. 58). Im antiken Griechenland hatte die Schlange oder der Drache seherische Fähigkeiten und lebte an dem Ort, der später Delphi ›Mutterschoß‹ heißen sollte.
Interessanterweise geht die Metaphorik der Augen in Ägypten die gleiche Verbindungen mit der Schlange und der Sonne ein. Die Kobra wurde in Ägypten auch ›das Auge‹ genannt. Udjat war ein Symbol für mystische Erkenntnis und Weisheit. Die lautliche Ähnlichkeit ›Udjat/Wadjet‹ für das weibliche Symbol der Schlange und der Name Uadjet/Ua-Zit, der Göttin ISIS, und das Augen-Symbol für den Muttermund sind nicht bloßer Lautklang, nicht Zufall und nicht ›Wortspiele‹. »Die Uräus-Schlange ist stets weiblich und nur mit weiblichen Gottheiten verbunden« (Martin LÄ, VI, S. 867). Die aufgerichtete Kobra, die auch ›das Auge‹ repräsentiert, ist, wie Budge es ausdrückte, das
›uranfängliche, weiblich-schöpferische Prinzip‹.
Wenn Ra im ägyptischen Mythos von der Himmelskuh behauptet, die Menschen seien aus seinem ›Auge‹ entstanden, aus seiner Tränenflüssigkeit, muss man sich fragen, warum er dann seine Schöpfung durch den Mund ›gebären‹ muss. Wir wissen, dass die indoeuropäische Priesterkaste im eroberten Ägypten alles daran setzte, die Frauen und Göttinnen und ihre lebenspendende Fähigkeit zu diskriminieren und für sich zu usurpieren. Es war ihnen wichtig, den von ihnen geschaffenen Göttern zuzuschreiben, dass sie selbst – ohne weibliches Dazutun – Leben schaffen, selbst schwanger und ganz normal ›wie eine Frau‹ gebären könnten. (s. D. Wolf 2009, S. 295–299).
Der ägyptische ›Reformer‹ Echnaton ließ sich mit einem schwangeren Frauenkörper darstellen; ultimativer Ausdruck eines aufgeblähten männlichen Egos. Danach wurde der Totengott Osiris im Grab des Tutanchamun ebenfalls mit schwangerem Bauch dargestellt. Männer wollen sein wie Frauen! Keine Spur von Penisneid, Gebärneid war von allem Anfang an das Problem des patriarchalen Mannes, weil ihm und selbst den Göttern ganz einfach die weibliche Schöpferinnenkraft fehlt! Der deutsche Arzt, Schriftsteller und Wegbereiter der Psychosomatik Georg Walther Groddeck erkannte wohl als erster diese Tatsache: den Neid des Mannes auf die Frau und speziell den ›Gebärneid‹, den Neid auf die ihm versagte Eigenschaft naturaler Produktivität.« (Erich Fromm ›Liebe, Sexualität und Matriarchat‹ 1994, S. 69)
Den Mangel versuchten die damaligen Priester und die heutigen Apologeten in ihren Verteidigungsreden mit unglaublicher Denkakrobatik umzudeuten und glaubhaft zu machen. Nicht anders versuchen heutige Kleriker etwa die Jungfrauengeburt Marias, die leiblichen Himmelfahrten, die (w)irren Geschichten von Hölle, Dämonen, Teufeln, Teufelsbesessenheit und ähnliche Absonderlichkeiten zu ›erklären‹, die allesamt Projektionen klerikaler Paranoia und Angstmache sind. Exegese ist das hochtrabende Wort, das die neurotischen Meister der Deutelei und Verdrehung dafür verwenden; ›Hirnwäsche‹ von Verwirrten wäre die treffendere Vokabel.
Das Auge als Symbol der Ur-Göttin und das weibliche Dreieck haben die Christen usurpiert. Wir finden es in christlichen Kirchen wieder, dargestellt als ›Gottesauge der Vorsehung‹ oder als das ›Allessehende Auge Gottes‹. Es taucht auch in der indischen Mythologie in Form der Gottheit Surya auf, im Zoroastrismus als Auge des Mithra.
Ankh-Kreuz und Isis-Zepter im Tempel von Medinet Habu
Das Ankh-Kreuz – Symbol des Lebens
Das heilige Ankh- oder Henkelkreuz ist ein matriarchales Zeichen aus dem Neolithikum und ist ein Ur-Symbol der sakralen Kunst. Wie alle großen Errungenschaften der matriarchalen Zeit wurde es von den Eroberern übernommen und wie wir auf dem Bild von Medinet Habu sehen, mit der Kartusche des Königs verbunden. Auf dem Bild ist das Ankh-Symbol als weibliche Figur zu erkennen, die das Ua-Set-Zepter in den Händen hält, das Symbol weiblicher Mächtigkeit. Das Symbolpaar für ›Leben und Heil‹ ist die Abstraktion der Göttin des Lebens, oder wie Carola Meier-Seethaler es ausdrückt:
»Das Zeichen des Kreuzes ist die bildliche Kurzformel für die Göttin.«
Wie auf dem Bild von Medinet Habu deutlich wird, wurde das weibliche Ankh-Kreuz oft zusammen mit dem Ua-Set-Zepter als Symbolpaar für ›Leben und Heil‹, für ›weibliche Mächtigkeit‹, ›Beständigkeit, Wohlergehen und Glück‹ dargestellt. Für Heil und Glück fand der geniale Außenseiter der Paläolinguistik, Richard Fester, weltweit 160 Worte, die miteinander verwandt – und alle auf die weibliche Ursilbe KALL zurückzuführen sind. (Fester ›Weib und Macht – Fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau‹ 1979)
Das Ankh-Kreuz der Isis wurde zum Emblem verschiedener späterer Göttinnen, z.B. von Venus, Ishtar, Aphrodite, Tanit und Athene; sie alle sind mit diesem Symbol verbunden, das bis heute das biologische Symbol des Weiblichen ist. Meistens sind männliche Symbole, wie Giedion betont, »oft so abstrakt gehalten, dass ihre Interpretation zweifelhaft werden kann.« Diese Ansicht lässt allerdings sehr fragwürdige Auslegungen zu. Carola Meier-Seethaler weist darauf hin, dass beim Kreuz Längs- und Querbalken sexualsymbolisch interpretiert werden, »wonach die Senkrechte phallisch gedeutet und die Waagrechte mit dem Passiv-Weiblichen in Zusammenhang gebracht wird.« Beim Symbol der Weiblichkeit ist eine solche Deutung geradezu absurd. Dies seien ›späte Deutungen‹, schreibt sie, die »klar aus dem patriarchalen Dualismus hervorgegangen sind. Das vorpatriarchale Weltbild kennt weder die Spaltung zwischen Himmel und Erde noch die einseitige Zuordnung der Geschlechter zum Prinzip des Geistes oder der Natur.« (Meier-Seethaler ibd. 1993, S. 119)
Auch Ägyptologen sprechen beim Ankh-Zeichen gern von einem weiblich-männlichen Symbol, einem ›Symbol des Androgynen‹, einer ›Verbindung von Männlichem und Weiblichem‹, oder von ›Sandalenriemen‹, einer ›Halteschlaufe‹, von einem ›Gürtel, der ursprünglich die männlichen Schamteile schützte und stärkte‹, vom ›Gürtel eines Fischers, der um seine Hüfte geschlungen ist, dessen Ende lose herunterhängen‹ oder von einer ›Abstraktion des Phallus‹ usw. Dazu schreibt E.A.W. Budge, von allen Interpretationen, die zu diesem Symbol gemacht wurden, ist eine phallische Deutung die am wenigsten wahrscheinliche (›Egyptian Magic‹ S. 58). Der Phallus wird in Ägypten nicht abstrahiert, sondern realistisch als Phallus dargestellt und als solcher erkennbar, z.B. im Zeichen ›utet‹ für zeugen. (Budge ›Egyptian Language‹ S. 58) Die weibliche Symbolik wird unterschätzt, wo die Ansicht vertreten wird, die Schlaufe des Ankh-Zeichens scheine »sekundär zu sein und nur dazu zu dienen, als Amulett getragen oder um den Hals bzw. Leib gebunden zu werden.« (Wolfhart Westendorf ›ZÄS‹ 1967, S. 148)
Das Ankh-Kreuz, das ägyptische Symbol für ›Leben‹, ist ein doppeltes Symbol für weibliche ›Schöpferinnenkraft und Leben‹. Es enthält die tropfenförmige Yoni/Vulva auf einer T-Form. Weibliche Statuetten in Form des Ankh-Kreuzes wurden als Amulette getragen.
Aus Zypern stammen sogenannte Kreuzidole aus dem 3. Jahrtausend: »Sie zeigen deutlich die Formung eines Kopfes am oberen Ende des Längsbalkens und die durch eine Kerbe angedeutete Zweiteilung der Beine am unteren Ende des Längsbalkens. Nimmt man den Querbalken als Andeutung ausgebreiteter Arme hinzu, so haben wir im Kreuz das schematisierte Bild der großen Göttin vor uns, wie es bereits in Çatal Hüyük im großen Doppelrelief der Göttin angedeutet ist, wenn auch dort mit zwei Köpfen und zwei Längsbalken.« (Meier-Seethaler 1988, S. 67)
Links: ›Kreuzidol aus Zypern. Sitzende Figur mit quergelegter Figur auf ihren Armen (H. 3,9 cm, ca. 3000 v.u.Z. Sammlung Zintilis Amsterdam‹)
Immer wieder begegnen wir dem Versuch moderner Wissenschaftler, dem Männlichen, dem Mann und seinem ›interessanten Organ‹ eine Bedeutung zuzuschreiben, die ihm damals einfach nicht zukam. Es mag Neid, Ignoranz oder pure Fassungslosigkeit sein, dass er, der ja vermeintlich den eigentlichen ›Menschen‹ vertritt, außen vor bleibt und seine Wichtigkeit laut den Zeugnissen der vergangenen zwei Jahrmillionen kaum berücksichtigt wurde.
Auch Siegfried Giedion glaubt, einen phallischen Anteil im Ankh-Kreuz zu erkennen, dem er ›Zeugungskraft‹ zuschreibt: »Das Lebenszeichen dürfte in seinen Bestandteilen den prähistorischen Fruchtbarkeitssymbolen, der Vulva und dem Phallus, am nächsten verwandt sein. Sein Oberteil gleicht der herzförmigen Form, die dem Vulvasymbol im Aurignacien gegeben wurde, und die hier mit einer Abstraktion des Phallus verbunden erscheint, ein Symbol des Androgynen, ewig sich erneuernder Zeugung, eine Verbindung von Männlichem und Weiblichem, der eine besondere magische Kraft innewohnt.« (Giedion ibd. 1964, S. 184) Auch Giedion ist in Bezug auf den phallischen Anteil verwirrt. Ohne jeden Beweis schreibt er: »Das höchste Fruchtbarkeitssymbol war die Darstellung der Bisexualität; die Vereinigung der beiden Geschlechter in einem Symbol als kontinuierlicher Erneuerung« (Giedion ibd. S. 17). Doch diese Symbolik findet sich nicht, oder kaum je in der urzeitlichen Kunst. Mangels solcher Beweise führt er dann als Beispiel ausgerechnet den ithyphallischen ägyptischen Gott Min aus den Anfängen der patriarchalen geschichtlichen Zeit an; Min ist ein junger Gott und auf keinen Fall ›urzeitlich‹. Und es ist nun wirklich keine symbolische, sondern eine etwas übertriebene Darstellung des erigierten Organs des männlichen Gottes. Zur Sexprotzerei der ithyphallischen Götter schreibt Giedion aber auch: »Die hypertrophe Betonung des Sexuellen ist eine Degenerationserscheinung. In der Urzeit war es weit mehr die Idee der ewigen Erneuerung, die die Symbole schuf. Dazu mündeten die Vorstellungen ins Kosmische.« (Giedion ibd. 1964, S. 178)
Im Aurignacien (ca. 40’000 bis 28’000) kannte man wohl die ›magische Kraft‹ des sexuellen Aktes, sonst wäre die Menschheit ausgestorben, doch dass der Zusammenhang vom Zeugungsanteil des Mannes damals schon bekannt war, ist mehr als zweifelhaft. Ein Zusammenhang zwischen Geschlechtsakt und Geburt ist schwer erkennbar, die Zeit der Schwangerschaft ist lang. Sichtbar wird das Kind erst bei der Geburt – dem überwältigendsten Ereignis der Menschwerdung – aus dem weiblichen Schoß.
Es ist eine seltsame Eitelkeit patriarchaler Wissenschaftler, immer und überall phallische Symbole und phallische Zeugungskraft zu sehen. Die dreisteste Usurpation des Symbols erlaubte sich Echnaton. Er vermännlichte das Symbol und übernahm es für seine neue Sonnen- bzw. Vaterreligion. Nicholas Reeves schreibt: »Die Sonnenscheibe, die das Anch, das hieroglyphische Zeichen für ›Leben‹ an die Nasen der königlichen Familie hält, wurde als Gott aufgefasst – und zwar als Gott ›Aton‹.« (›Echnaton – Ägyptens falscher Prophet‹ 2002, S. 19) Aton entspricht dem indoeuropäischen Wort ›Ati‹ (griechisch Athothis, schweizerdeutsch Ätti) mit der Bedeutung ›Vater‹, ›Altvater‹ und ›Herrscher‹.
Das Kreuz ist das universale mythologische Symbol der Weltachse
und das tragende Prinzip des Kosmos – und es ist weiblich!
Das matriarchale Kreuz des Lebens
Links: Kreuzförmiger weiblicher Anhänger aus . (Ausstellungskatalog der Prähistorischen Staatssammlung München, Museum für Vor- und Frühgeschichte, Foto Claus Hansmann)
Kreis, Dreieck, Quadrat und Kreuz gehören zu den frühesten Gravierungen in Felswände. Das Kreuz war – wie wir jetzt wissen – ursprünglich keineswegs ein christliches Kultsymbol; sondern wurde von der matriarchalen Symbolik usurpiert. Es ist »das uralte Ordnungsschema, die erste Orientierungshilfe der Menschen, mit der sie ihre Welt einteilten, die sie schon vor unendlich langer Zeit in die Höhlenwände ritzten.« (Lucie Stapenhorst ›Die Drächin und der Held – Vom Kampf gegen die weibliche Urmacht in Mythen, Märchen und Tiefenpsychologie‹ 1993, S. 62)
Wie steinzeitliche Felsgravierungen beweisen, hatte das Kreuzzeichen seit Menschengedenken eine eminente Bedeutung; im Christentum wurde es, gerade wegen seiner Bedeutung usurpiert. Patriarchale Kleriker erfanden nichts Neues, sie machten sich nur bereits bestehende weibliche Symbole aus der matriarchalen Zeit zu eigen und nutzten den Vorteil, dass diese bereits weltweit bekannt und verehrt wurden. Die Erfinder des Christentums stahlen die Symbole der verhassten Heiden, der VerehrerInnen der Göttin, wandelten sie und bauten auf diesem Raubgut des geistigen Eigentums ihre patriarchale Lehre, ihren Kult, ihre Mysterien und ihr Symbol des ans Kreuz genagelten Jesus auf. Das Kreuz wurde erst im 4. Jahrhundert zum Symbol des Christentums gemacht.
Rechts: Kreuz-Göttin, Bronze, afrikanisch, H. 9 cm D. Wolf
Carola Meier-Seethaler trug in ihrem Beitrag zur Symbolik des Kreuzes eine Fülle von Bildern zusammen, die den weiblichen Ursprung des Kreuzes dokumentieren. Sie schreibt: »Beide sakralen Bildgestaltungen, die Präsentation der Göttin in matrizentrischen Kulturen und die bildliche Darstellung des Kreuzzeichens, sind uralt. Beide reichen bis ins Jungpaläolithikum (jüngere Alsteinzeit zw. Eiszeitkultur) ca. 30’000 Jahre vor heute zurück, und beide begegnen uns in vielfältigen, jedoch streng typisierten Bildgestaltungen. Dabei erscheinen sowohl die typischen Varianten der Göttinnen-Idole als auch diejenigen der Kreuzsymbolik im Laufe der Kunstgeschichte auf zwei Ebenen: auf einer konkret bildhaften Ebene als figürliche Darstellung der Göttin oder des Kruzifixus und auf einer abstrakten Ebene als kosmisches Zeichen einer weltumspannenden göttlichen Wirklichkeit…
Es ist augenfällig, dass die Körperhaltung mit ausgebreiteten Armen am meisten mit dem Zeichen des Kreuzes in seiner uns vertrauten Form korrespondiert… Einhellige Meinung herrscht auch darüber, dass alle Kreuzformen auf vorchristliche Ursprünge zurückghen, und zwar einschließlich derjenigen, die von der christlichen Ikonographie übernommen und christliche interpretiert wurden. Die außerchristlichen Ursprünge der Kreuzzeichen sind sowohl archäologisch für alle Teile der Welt belegt als auch ethnologisch für außereuropäische Völker und historisch für die vorchristlichen Epochen der abendländischen Geschichte«. (Carola Meier-Seethaler ›Von der göttlichen Löwin zum Wahrzeichen männlicher Macht – Ursprung und Wandel großer Symbole‹ 1993, S. 77, 80)
Das weibliche Ankh-Kreuz wird ohne das Vulva-Symbol über dem Längs- und Querbalken zum T-förmigen ›Tau-Kreuz‹. Das bekannte Tau-Kreuz, das im ägyptischen Ankh-Zeichen für Leben enthalten ist, wird auch deutlich sichtbar in den T-Pfeilern von Göbekli Tepe, einer sakralen Wiedergeburts-Stätte, die der Göttin geweiht war.
Der Kulturanthropologe und Afrikanist Peter Fuchs berichtet, dass das T bei den Tuareg überlebte und dort als Schmuck-Amulett getragen wird. Die vom Buchstaben T abgeleitete Ornamentik bildet auch die Femininform und geht auch bei ihnen nicht auf christliche Einflüsse zurück. (›Sahara‹, o. Jahrgang, S. 147)
Dass die Erinnerung an die alte weibliche Schöpfungssymbolik des Buchstabens T auch noch im Judentum wach war, erzählt eine jüdische Legende. Hier sollen sich die 22 Buchstaben des Alphabets vor Gott versammelt haben als er die Welt durch das Wort, also aus Buchstaben schöpfen wollte. Den Buchstaben T, der die Leben spendende weibliche Mächtigkeit repräsentierte, wies Gott ab mit der Begründung, dass er es von nun an als Zeichen des Todes auf die Stirne der Menschen drücken werde (Louis Ginzberg ›The Legends of the Jews‹ 1968, I, S. 5 f.).
Die patriarchalen Kleriker wandelten das weibliche Kreuz des Lebens, des Heils und des Glücks zum Marterpfahl, zum patriarchalen Symbol des Leidens und des Todes. Geradezu erschreckend ist die Freude an drastischen Darstellungen der christlichen Künstler und ihrer Auftraggeber am Foltertod Christi am Kreuz; eine voyeuristische Veranschaulichung einer ausgesprochen sadistischen Freude am Quälen und Leiden, ein Kennzeichen der patriarchalen Nekrophilie.
Nicht nur das matriarchale Kreuz, auch den durch und durch ›heidnischen‹ Lebensbaum haben die patriarchalen Kleriker für sich usurpiert. Bäume, Säulen, Pfähle und Kreuze repräsentierten als ›Teile vom Ganzen‹ die Göttin. Carola Meier-Seethaler schreibt: »Zur Symbolik der Säule wäre zu sagen, dass sie in allen vorpatriarchalen Kulturen die Göttin als das tragende Prinzip des Kosmos repräsentiert. Dies wird schon an jungsteinzeitlichen Idolen deutlich, deren Körper häufig als Säule gebildet ist, und wird vollends evident in Kreta und Mykene, wo die Säule als solche stellvertretend für die Göttin steht,« zum Beispiel »wo die Göttin in Gestalt der Säule über dem Löwentor thront. Verwandt mit dem Motiv der Säule ist das Motiv des Weltenbaums, das sich in allen frühen Hochkulturen mit der Göttin verbindet.« (Meier-Seethaler ›Von der göttlichen Löwin zum Wahrzeichen männlicher Macht. Ursprung und Wandel großer Symbole‹ 1993, S. 119) Diese Säulen werden irrtümlicherweise regelmässig als ›Phallus‹ gedeutet, z.B. im Bild der wiedergebärenden Göttin von Kilisik oder in ›Phallic shape, female sex as Easter island Moai‹.
Das Isisblut Da-t – Symbol für das heilige Menstruationsblut
›Das Blut und die Stärke, die Kraft und die Zaubermacht gehören Dir, ISIS‹
Links: Isisblut-Symbol aus dem Totenbuch des Ani, um 1250 v.u.Zt. (British Museum, London)
Wie Jutta Voss in ihrem Buch ›Das Schwarzmond-Tabu‹ nachweist, ist DA-t – mit der weiblichen T-Endung – die Silbe für das weibliche Blut. Das Isisblut-Amulett wurde den Toten als Vorbereitung auf die Wiedergeburt aus dem weiblichen Blut mitgegeben und war im allgemeinen aus rotem Jaspis, Karneol, roter Fayence oder rotem Glas. In Spruch 156 des Totenbuches, der über einem solchen Amulett gesprochen wird, heißt es:
»Das ›Isisblut‹ ist das Symbol der Kraftfülle des Menstruationsblutes der Göttin.«
(E. A. Wallis Budge)
Budge wurde wegen seiner offenen Art, die Dinge beim Namen zu nennen, oft unter irgendeinem Vorwand verfemt (beispielsweise er hätte Antiquitäten außer Landes gebracht, als wäre das (nicht nur zu seiner Zeit) nicht üblich gewesen. Im Gegensatz zu Budge haben Ägyptologen aber im allgemeinen Mühe mit den uralten weiblichen Symbolen, auch mit dem ›Isisblut‹ Da-t.
Rechts: Das Isisblut-Symbol als personifizierte Göttin Nut, Ende des Alten Reiches (Budge 1934, S. 66)
Zu den eigentümlichsten Interpretationen des Symbols gehören: ›Schutz-Tampon der schwangeren Isis‹, ›Zipfel zwischen den Beinen der Schwangeren‹, ›Gürtelschleife am Gewand der Götter‹, ›Menstruationsbinde‹, ›Schutz-Tampon der schwangeren Isis‹ oder ›Gürtelschnalle der Isis‹. Bemerkenswert ist, dass das Isisblut-Symbol in der 19. Dynastie (ca. 1300 – 1200) gelegentlich das Seth-Tier ersetzte und den Lautwert St = Set = Frau = Dame = Königin = Göttin, I-Set = Isis hatte. Das nicht identifizierbare Symboltier der vermännlichten I-Set hat einen steil in die Luft stehenden Y-förmigen Pfeil-Schwanz, eine so genannte Forke, die zuweilen als Symbol für das weibliche Geschlechtsorgan angesehen wird (C. de Lys, zit. von Walker, 1993, S. 279).
In allen alten Kulturen galt Menstruationsblut als das Mysterium der Schöpfung,
als ›die Essenz des Lebens‹, das nur den Frauen innewohnt und männlicher Erfahrung völlig fremd ist (s. Walker 1993, S. 698 – 709).
»Vom symbolischen Gebrauch roten Ockers scheint klar, dass primitive Menschen bis zurück in paläolithische Zeiten sich einer Verbindung zwischen Menstruation und Kindesgeburt bewusst gewesen sind, zum Teil wohl, weil das Gebären selbst mit Blutungen vor sich geht. Es kann daher nicht zu sehr überraschen, wenn unsere ziemlich natürlichen und unbefangenen Zeitgenossen unter primitiven Völkern in ihren Riten Reste dieses uralten mit Ehrfurcht versetzten Neides auf die weibliche Funktion bewahrt haben und versuchen, sie nachzuahmen, um auf magische Weise Macht darüber zu gewinnen. Das Alter der männlichen Jugendlichen, in dem Be- oder Unterschneidung vorgenommen wird, entspricht dem Einsetzen des Menstruierens beim Mädchen.« (Doris F. Jonas ›Der überschätzte Mann – Die Mär von der männlichen Überlegenheit‹ 1981, S. 98)
Nut-Menstruations-Töpfchen, die ›roten Ocker‹ enthielten, wurden in Gräbern der 1. Dynastie Ägyptens gefunden (Briffault 1959, S. 248). Es ist das heilige magische Blut der Menstruation, welches die Frauen in die Töpfchen fließen ließen und es ist das Blut der Göttin, welches die Wiedergeburt der Toten ermöglichte. Man ging wohl davon aus, dass das Blut der Frauen die Kraft und Zaubermacht der Göttin für ›Leben und Wiedergeburt‹ besitzt.
E. A. Wallis Budge sieht im Isisblut-Symbol ein Bild von Vulva, Vagina und Uterus und die symbolische Darstellung des Teiles der Göttin, aus dem das Blut kommt, ihrer Nut, wie er es diskret ausdrückt (Budge ›From Fetish zu God‹ 1934/1988, S. 65 f.). Das Amulett galt als mächtiger Schutz der Göttin, deren menstruelles Blut, ›jener göttliche Stoff des Lebens‹, aus ihrer heiligen Vulva strömt. Es »sollte dem Träger, ob er nun lebte oder bereits verstorben war, die Kraft des Isisblutes übertragen.« (Budge ibd.)
Wie wir bei der Höhlenforschung gesehen haben, zogen sich menstruierende und gebärende Frauen zeitweise in Menstruations-Höhlen oder -Hütten zurück; Orten der Kraft, der Ruhe und der Meditation. Das aufgefangene Menstruationsblut wurde mit Lehm vermischt und mit diesem Gemisch die Höhlenwände bedeckt. Das geschah auch in den südfranzösischen Höhlen von Gargas, Cougnac und Blanchard, wo man allerdings von einer Mischung von Ocker und Lehm ausgeht. So wurden Höhlen buchstäblich zum ›blutroten‹ Uterus gewandelt. Auch die wunderschöne rote und schwarz geschmauchte sakrale Keramik, wozu auch das Nut-Töpfchen gehört, und die weiblichen Statuetten wurden vermutlich aus dieser Mischung hergestellt. Ocker – sofern es denn das Mineral Ocker und nicht Menstruationsblut war – hatte keine praktische Bedeutung, sondern war eine symbolische Kraft; die Kraft des weiblichen Blutes, die Essenz des Lebens und der Schöpfung.
»Ocker verwendeten nicht erst die Neandertaler – etwa bei Bestattungen in der Höhle La Chapelle-aux-Saints – sondern bereits der Homo erectus von Terra Amata vor 300’000 bis 400’000 Jahren, und auch der Homo erectus von Olduvai scheint sich für den Farbstoff interessiert zu haben.« (H.P. Duerr ›Sedna oder Die Liebe zum Leben‹ 1984, S. 288 f.) Es braucht schon eine ganz massive Abwehr, um hier NICHT die Verehrung des weiblichen Menstruationsblutes und die Gebärkraft der Frau erkennen zu wollen.
Von australischen Wissenschaftlern wissen wir, dass bei den 20’000 – 30’000 Jahre alten Felszeichnungen der Aborigines Blut als rote Farbe verwendet wurde, das wegen seiner fortwährenden Verfügbarkeit und Menge nur Menstruationsblut gewesen sein kann. Dem australischen Urgeschichtsforscher Dr. Thomas Loy von der Universität Canberra gelang es, die Farben der Fels- und Höhlenmalereien der australischen Ureinwohner zu analysieren. Er entdeckte, dass die Höhlenbilder (die ältesten sind über 20’000 Jahre alt) unter anderem mit Menschenblut gemalt wurden. (s. D. Wolf ›Was war vor den Pharaonen?‹ 1994, S. 72 f.)
»Am Anfang der Menschwerdung war der Blutfluss.« (Jutta Voss)
In Ägypten sehen wir den roten Gürtel – in Anlehnung an die Form des fließenden Menstruationsblutes bei Nefertari, was auf die heiligen Tage der Königin hinweist. Es war wohl schon damals üblich, die Zeit der Menstruation öffentlich zu feiern. Robert Briffault berichtet, dass die westafrikanischen Mandingo-Frauen ihre Menstruation damit anzeigen, dass sie sich das Gesicht gelb bemalen oder einen leuchtend farbigen Schal tragen (Briffault ›The Mothers‹ 1959, S. 242)
In Mali gibt es Frauen, die ihre Menstruation durch eine spezielle Frisur öffentlich machen, eine wiederum andere Frisur zeigt die Geburt eines Kindes an. Offenbar sind sie auf beides stolz!
Abb. links: Königin Nefertari in ihrem Grab im Tal der Königinnen in Theben West (Foto D. Wolf, Gürtel rot nachretouchiert)
(Abb. rechts: Aus dem Grab des Chaemwaset im Tal der Königinnen, in Theben West, 20. Dynastie, nach R.H. Wilkinson ›Die Welt der Götter im Alten Ägypten‹ 2003, S. 158)
Beachtenswert ist das Bild der Göttin Neith, der ›Weisen Alten‹, die hier ein blaues Gürtelband trägt, da sie symbolisch die Zeit des Menstruierens überschritten hat. Auch Osiris trägt das blaue Band, obwohl er doch im Grab des Tutanchamun mit schwangerem Bauch abgebildet wurde; was wohl bedeuten soll, dass er ohne das weibliche Blut schwanger werden konnte.
Der Gürtel erscheint selbst noch im Christentum. »Oft wird Marias Kleidung von einem Gürtel gehalten, der in der Art des ›Isisknoten‹ gebunden ist und damit das altägyptische Ankh-Zeichen symbolisiert. Dies war im Alten Ägypten das wichtigste Sinnbild des Lebens und als ikonografisches Attribut den antiken Göttinnen vorbehalten. Offensichtlich wussten auch noch zahlreiche Künstler des Mittelalters und späterer Epochen um die Bedeutung dieses ›Götterknotens‹.« (Harald Specht ›Das Erbe des Heidentums‹ 2014, S 421)
Der weibliche Blutfluss in der Mythologie
»Der rote Faden leitet Ariadne auf dem Weg durch das Labyrinth des Uterus. Mit einem roten Seil weist sich Rahab als rettende Göttin und Vertreterin der matriarchalen Kultur aus (Josua 2,18–21). Die Mysten auf ihrer Prozession von Athen nach Eleusis binden sich einen purpurrotenFaden um den linken Fuß. Hera als Hebe (= Eva = Leben) reicht den Göttern den übernatürlichen roten Wein. Gemeint ist auch der Fluss, der gefüllt war mit dem Blut, aus dem der nordische Gott Thor Erleuchtung und ewiges Leben erlangte. Es geht um den roten Met der keltischen Könige und um den roten Teppich, der bis heute ein Symbol der Macht darstellt und vor Königen ausgebreitet wird. Es geht um das Rote Meer, zu dem Lilith floh, um allein zu leben, nachdem sie Adam verließ«. (Voss ›Das Schwarzmond-Tabu – Die kulturelle Bedeutung des weiblichen Zyklus‹ 1988, S. 26 f.) Jutta Voss schreibt weiter: »Die Ursilbe DA und DAM der leiblichen Bluterfahrung der Frau umfasst das Offenbarwerden, Sichtbarwerden und das Erfahren des Heiligen. DA bedeutet das Blut, die sinnliche Wahrnehmung und spirituelle Erfahrung und deren Schöpfungspotenz. Daraus entwickeln sich in Mythen die Göttinnen Danae, Daphne, Danu, Diana, Delia, Dalila, Damgalnunna und ihre Sohngeliebten, die aus ihrem DA-Blut kommen wie Daniel, Damuzi, Damokles.« (Jutta Voss ibd. S. 28)
Unvoreingenommene Forscherinnen und Forscher machen immer wieder auf die diskriminierte und verdrängte Kraft des Menstruationsblutes aufmerksam. Rufus Camphausen erzählt in seinem bemerkenswerten Buch ›Yoni‹, dass im indischen Kerala noch heute eine monatliche Zeremonie stattfindet, bei der ein mittels Menstruationsblut gefärbtes Tuch um die Statue der Göttin gewunden wird, das dann zu einer begehrten heiligen Reliquie wird (Rufus Camphausen ›Yoni Die Vulva – Weibliche Sinnlichkeit, Kraft der Schöpfung‹ 1999, S. 91). Bei den indischen Tantrikern heißt die menstruierende Göttin ›Die Rote‹ oder ›Dakini‹. Philip Rawson schreibt in seinem Buch ›Tantra, der indische Kult der Ekstase‹: »Der kraftvollste sexuelle Ritus des Nachvollzuges der Einheit verlangt die Vereinigung mit dem weiblichen Partner während der Menstruation, da dann die ›rote‹ sexuelle Energie auf dem Höhepunkt ist… Nach Kenneth Grants Untersuchung über sexuelle Magie ist die ›rote Substanz aus weiblicher Quelle das primäre Menstruum der magischen Energie‹.« (zit. von Shuttle/Redgrove ›Die weise Wunde Menstruation‹ 1980, S. 206 f.)
»Die Substanz stammt von der Hure, der scharlachroten Frau«, die zugleich die Göttin Kali ist. C.D. Daly schrieb in einem faszinierenden Artikel zum Menstruationskult der schwarzen Göttin Kali, dass ihr zerstörerischer Aspekt ihre große evolutionäre Kraft sei, mehr noch aber aus der Furcht der Männer resultiere. Aleister Crowley sagt in ›The Scarlet Woman‹ (Die scharlachrote Frau): ›…das beste Blut kommt monatlich vom Mond‹. Es sei in den Huren, den ›süß duftenden Frauen‹, den Su-vasinis des Tempels. Während der Periode sei der ›Kelch‹ oder ›Becher‹ der Frau mit einer besonderen Energie, dem ›Kalas‹ gefüllt, die sich durch den Beischlaf zu einer seherischen oder magischen Kraft verwandeln könne. (Shuttle/Redgrove 1980, S. 141 f.) Und vergessen sei auch nicht, dass in Ägypten die vermännlichte und verteufelte Göttin I-Set/Isis, Set(h), ›der Rote‹ genannt wurde, was seinen ursprünglich weiblichen, menstruierenden Aspekt verrät. ›Er‹ wurde von den patriarchalen Priestern wegen seiner ›Unheil stiftenden‹ roten Farbe als ›Gott des Chaos und des Verderbens‹ bezeichnet. (Die Bezeichnung für die Farbe rot und Menstruationsblut ist im Ägyptischen identisch).
›Rot ist keine Farbe. Es ist sehr viel mehr als das. Rot ist die Essenz der Weiblichkeit.‹
(Christian Louboutin)
Patriarchale Männer ekeln sich vor dem Menstruationsblut der Frau, aber nicht vor den Strömen von Blut der von ihnen ermordeten Menschen. Wenn wir uns fragen, warum das Menstruationsblut in patriarchaler Zeit als eklig diskriminiert, entwürdigt und verwünscht wurde, finden wir hier die Antwort. Weil die Abwertung des weiblichen Blutes, »das menstruelle Tabu… eine der erfolgreichsten Methoden zur Unterminierung der Selbstbejahung und des Selbstvertrauens der Frauen« war (Shuttle/Redgrove 1980, S. 93). »Das elementarste Symbol matriarchaler Energie ist das leuchtende Rot. Rot signalisiert Wärme und strömende Lebenskraft. Rot ist das Blut, der Saft des pulsierenden Lebens. Rot bedeutet Lebensenergie. Rot ist die Kultfarbe der orientalischen Göttinnen. Ihre Priesterinnen tragen Purpurgewänder. [Von nicht-menstruierenden Männern, den Kardinälen, usurpiert!] MA-triarchale Ener-GIE, ›MA-GIE‹ ist Wachstumsenergie für die Erde, für Menschen, Pflanzen und Tiere. Mit ihrem Blut verströmt die Frau erneuernde Lebenskraft bei jeder Geburt… Ebenso wie das Geburtsblut galt dem matriarchalen Bewusstsein das Menstruationsblut als heilig. Die ›Göttin Anat vergoss ihr Menstruationsblut eimerweise‹, wie der phönizische Mythos erzählt. Der ursprünglichen Auffassung nach gab die Göttin ihr Blut zum Segen des Landes.
Nichts hat die männliche Psyche zu allen Zeiten derart irritiert, verunsichert und gleichzeitig fasziniert wie die magische Kraft des Frauenblutes. Die menstruierende Frau ist für den Mann das Unbegreifliche, das so völlig unverständlich Andere. Jedes Tabu geht auf Menstruationstabus zurück, mit denen sich ursprünglich die Frauen von den Männern abgegrenzt haben. Das positive Blut-Tabu, das die kultische Abgeschiedenheit der Frauen gebot, wird durch patriarchale Definitionsmacht negativ besetzt… Dämonisch, ungeheuerlich und blutfordernd stellt die patriarchale Männerpsyche die ihrer Macht beraubte Göttin vor seine Seele: eine Spukgestalt des männlichen Unbewussten, von welcher der Mann fürchtet, dass sie sein Leben wolle, Männeropfer fordere, ihn verschlinge und auffresse.« (Weiler 1991 ›Der enteignete Mythos‹ S. 72–76)
Das Blut der Frauen – Quelle und Symbol des Lebens
»Seit dem Paläolithikum steht Blut mit Ritual und Anbetung in engem Zusammenhang. Das Blut ist die Grundlage von Familienverband, Königtum und Erblinie und man vermutet, dass die Frauen in alten Gesellschaften einen hohen Status hatten, weil sie durch den Geburtsakt Bewahrerinnen und Übertragende des Blutes des Klans und damit des Geistes waren.« (Husain Shahrukh ›Die Göttin‹ 2001, S. 139) Dem einst mit Furcht und Ehrfurcht verehrten Menstruationsblut wurde eine besondere Kraft zugeschrieben. Eine Kraftfülle, die in vielen Gebieten als eines der stärksten Zauber- und Heilmittel galt. Durch die liebende sexuelle Vereinigung mit einer menstruierenden Frau wurde der Liebesakt für den Mann zur spirituellen Nahrungs- und Kraftquelle; damit erfuhr er Transzendenz, der den Weg ins Paradies bereitete. Aus dem Liebesakt »resultierten nicht nur einige wenige Augenblicke gottähnlicher Seligkeit, sondern auch ein essentieller Kontakt mit dem mysteriösen und magischen Innern des weiblichen Körpers, der tatsächlich neues Leben erzeugen kann.« (Walker ›Die geheimen Symbole der Frauen‹ 1997, S. 21)
»Das Blut der Frau ist das Wichtigste im Leben der Menschheit,
denn ohne das Blut wird es kein menschliches Leben geben.« (Jutta Voss)
Die Patriarchalisierung der Welt begann mit den im Iran, in Mesopotamien, Ägypten, Alt-Europa und Indien eingewanderten Indo-Europäern und der sie begleitenden dünkelhaften Priesterkaste der Arier. Sie erfanden die ersten männlichen Götter und ein männliches Priestertum. Die Frau im allgemeinem und ihr monatlich fließendes Lebensblut im besonderen wurde von ihnen als ›unrein‹ verfemt und an seiner Stelle das männliche Beschneidungs- und Tötungsblut vergöttlicht, um männlichen Göttern und göttlichen Männern ›Schöpfungskraft‹ zuzuschreiben; wie es in Alt-Ägypten hieß: Das Blut der Beschneidung des Phallus des Re wird zur schöpferischen Kraft, aus der das Götterpaar Hu und Sia entstehen (Westendorf LÄ I, S. 840 ff. ›Blut‹).
»Als mit Beginn der patriarchalen Entwicklung die männlichen Götter die religiöse Weltbühne betraten, berichteten die neuen Mythen von ihnen, dass sie nun Himmel und Erde erschaffen hätten. Als der männliche Gott auch im alten Israel zum Schöpfergott aufstieg, benötigte er nicht mehr das Blut der Frau zur Erschaffung der Menschen… Der männliche Gott braucht kein Frauenblut mehr, um Kinder zu ›schenken‹. Der Menstruationszyklus ist nicht mehr erforderlich, der Mann ›schafft‹ ohne.« (Voss ibd. 1988, S. 30)
Im Buch des Patriarchats, der Bibel, finden wir im Levitikus viele ungeheuerliche – ja, geradezu mörderische – Verse gegen die den Priestern verhasste Verehrung der Frau und ihr Blut. Gott, bzw. der levitische (luvitisch-indoarische) Mann Moses verbot die alten Kulte, zu denen die Verehrung des Menstruationsblutes und der Beischlaf in der Zeit der heiligen Menstruation gehörten und damit die Möglichkeit, den Mann an der Heiligkeit des Mysteriums teilhaben zu lassen.
»Das vorher Heilige und Vollmächtige der Naturreligion wird nun
in den moralischen Kategorien zum ›Unreinen‹ gemacht.« (Jutta Voss)
Der mit heiligem Menstruationsblut angefüllte Nut-Kelch der matriarchalen Zeit wurde im Christentum zum patriarchalen Symbol des Tötungsblutes und des Sterbens Christi. Wenn der christliche Priester den Kelch hebt, sagt er: ›Dies ist sein Blut‹. Die ursprüngliche weibliche Machtfülle wurde hier einer erschreckend an Kannibalismus erinnernden patriarchalen Umwandlung unterworfen, während das weibliche Blut entwertet wird.
Yutta Voss warnt: »Solange das Blut der Frau und mit ihm die Frau verteufelt und parallel das Blut des Mannes, sei es am Kreuz oder in unzähligen Kriegen verherrlicht wird, so lange wird es keine Heilung geben. Das historisch-politische Energiefeld der Frauenverbrennungen hat sich in der weiblichen Seele als Angst-Energie und in der männlichen Seele als Schuld-Energie niedergeschlagen.« (Voss ibd. 1988, S. 116) Wenn der Priester bei der ›Wandlung‹ der katholischen Messe den Kelch mit dem Wein emporhebt, greift er das matriarchale Mysterium des Menstruationsblutes auf und wandelt es als ›Symbol des ewigen Lebens‹ um in Christi Blut. ›Seht, das ist mein Blut‹, soll Jesus zu seinen Jüngern gesagt haben. Aber es ist das Blut der Frau, das die ewige Geburt der Menschen garantiert. Ab der beginnenden Patriarchalisierung in der Bronzezeit haben Männer durch blutige Tier- und Menschenopfer das Wandlungsmysterium des weiblichen Blutes pervertiert. Jedoch »dieser patriarchale Opfergedanke kann nicht in die Urzeit der Menschheit zurückprojiziert werden« (Weiler ›Der aufrechte Gang der Menschenfrau – Eine feministische Anthropologie II‹ 1994, S. 92).
Die wieder entdeckte Heilkraft des Menstruationsblutes
Menstruationsblut, diese wunderbare Körperflüssigkeit der Frauen, von dem es viele Hinweise gibt, dass es in matriarchaler Zeit bereits für seine medizinische Heilkraft bekannt war, wurde jetzt – nach Tausenden von Jahren der Verfemung – neu erforscht, mit ›vielversprechenden‹ Ergebnissen. Im Menstruationsblut wurde eine Art von Stammzellen gefunden, welche jenen aus dem Knochenmark ähnlich, aber bei der Bildung von neuen Blutgefäßen wesentlich effizienter sind und zur Therapie von Leukämie eingesetzt werden können. Man hofft, dass sie sich auch für regenerative Therapien, z.B. bei schweren Durchblutungsstörungen, zur Verhinderung einer Amputation, zum Aufbau neuer Gefäße nach einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall eignen.
Heil und Heilendes kommt von den Frauen
Es überrascht nicht, dass clevere Geschäftsleute bereits ein lukratives Geschäft wittern und die Nutzung des Regelblutes patentieren ließen. (›Journal of Translational Medicine‹, April 2010).
Das Patriarchat beendete die Verehrung der Frau und ihres schöpferischen Leibes und ersetzte ihn durch die Darstellung des männlichen Körpers und den patriarchalen Phalluskult. »Religionen, die von einer Göttin dominiert waren, machten die Yoni zum allerheiligsten Symbol, und dementsprechend beteten Religionen, in denen ein Gott dominierte, den Phallus an. Patriarchalische Semiten verehrten ihre eigenen Genitalien und leisteten bindende Eide auf sie, was unter Arabern bis heute gebräuchlich ist. Im Christentum hielt sich die Phallusverehrung mindestens bis ins 14. Jahrhundert. Archäologische Forschungen ergaben, dass sich in etwa 90 Prozent der englischen Kirchen, die vor 1348 erbaut worden waren, verborgene Steinphalli befanden.« (Barbara Walker ›Das geheime Wissen der Frauen‹ 1993, S. 866–869) Der Phallus wird zum sakralisierten Symbol männlicher Macht – und verdrängt die Verehrung der Vulva. Eines der ersten und wichtigsten Dokumente aus der Zeit der Eroberung Ägyptens durch eine Gruppe von Indo-Europäern, die Narmer-Palette, zeigt Narmer mit einer birnenförmigen Keule. In der Hand des Königs mutiert sie zur phallischen Überhöhung und wird zum Zeichen phallischer Tötungsmacht. Die Keule symbolisiert den Penis und markiert den Beginn des Phalluskultes, vertreten im ityphallischen Gott Min. Zur Zeit der Eroberung tauchen in Koptos am Roten Meer zwei künstlerisch primitive Monumental-Statuen – Wir verdanken Giedion die Beobachtung, dass die Min-Statuen aus Koptos »breite, tiefe Cupules« und selbst »zwei Vulva-Symbole in rhomboidaler Form« aufweisen (1964, S. 116). Ägyptologen übersehen, dass nur die eine Statue männlich, die andere aber weiblich ist. Min ist der erste antropomorphe (menschengestaltige) männliche Gott. Er stellt Gott als Mann dar, als superpotenten, den Göttern wesensgleichen Übermenschen. Ab jetzt wird der Phallus verehrt. Mins rechte Hand umschließt die Wurzel des übertrieben dargestellten Penis, seine Linke die erhobene Geißel der Macht der Herrschaft der Rinder- und Pferdezüchter.
Die seit der Altsteinzeit verehrte Vulva, ›das Tor ins Leben‹, welche in unzähligen Felsgravuren, Amuletten, Faustkeilen und Statuetten bezeugt wird, wurde durch den Phalluskult ersetzt. Hier wird deutlich, dass die männliche Machtnahme nicht nur auf Macht- und unersättlicher Habgier, sondern auch auf Eifersucht und Neid auf die Verehrung der Vulva, auf das Ansehen der Frau und ihre schöpferische Potenz und Gebärfähigkeit zurückzuführen ist.
Die weiblichen Symbole sind universell:
Die Dreizahl und das heilige Dreieck
In der Höhle von Blombos in Südafrika entdeckten Archäologen zwei Ockerstücke mit Ritzzeichnungen, die auf 77’000 Jahre geschätzt werden und als die frühesten aller bisher gefundenen Kunstwerke gelten. Der in ›Science‹ vom 11.1.2002 veröffentliche Fund überraschte die Fachwelt durch die rätselhaften Zeichen, die als ›abstraktes geometrisches Design‹, bestehend aus ›X-förmigen Einkerbungen‹, als ›vermutlich symbolische Zeichen‹ absichtlich eingeritzt worden waren, die von drei horizontalen Linien durchzogen werden. Bei diesem ›rätselhaften, geometrischen Design‹ handelt es sich um ineinander geschachtelte Dreiecke. Dreieck und drei Linien sind heilige Zeichen der weiblichen Trinität. Das auf der Spitze stehende Dreieck sei weiblich, das Umgekehrte hingegen männlich, lautet eine patriarchale Interpretation. Während das Dreieck als Symbol der Vulva deutlich und erkennbar ist, hat ein Dreieck nichts mit einem Phallus zu tun. Das Patriarchat usurpierte sämtliche bedeutenden Symbole der Göttin; ahmte auch die weibliche Trinität nach und vermännlichte sie. (s. Barbara Walker 1993, S. 1104 – 1107)
Das patriarchal theologische Denken hat die Dreizahl, das Symbol für Geburt, Tod und Wiedergeburt und der Göttinnen-Trinität – der Weisen Alten, der Mutter und der jungen Frau (der Jungfrau) – usurpiert und zur Grundlage der Dreieinigkeit Gottes – Vater, Sohn und heiliger Geist gemacht.
Das Dreieck in der Kunst der neolithischen Keramik
Die Keramik gehört zu den häufigsten Symbolträgern des Dreiecks. Alle neolithischen Kulturen zeichnen sich durch eine künstlerisch hochstehende Töpferware aus. Sie übertrifft in ihrer sorgfältigen Ausführung alles Spätere an Schönheit und Perfektion. Wie der sowjetische Archäologe P. N. Tretjakow festgestellt hat, weist die Form der Fingerabdrücke ganz klar darauf hin, dass die Tonwaren von Frauen hergestellt worden sind (Elaine Morgan ›Der Mythos vom schwachen Geschlecht‹ 1989, S. 193). Vor der Eroberung durch die Indo-Europäer/Arier blühte auch in Oberägypten eine eigentliche Industrie von unverwechselbarer, hochstehender Keramik, die vor allem als Grabbeigaben Verwendung fand. Michael Hoffman stellte fest, dass dann in der Zeit des Umbruchs eine neuartige, grobe Töpferware auftauchte und zwar genau vor der ersten Dynastie. Die kriegerische Zeit ließ dem Künstlerischen keinen Raum mehr; die Töpferware hatte nun strikten Gebrauchs-Charakter: als Ess- und Vorrats Geschirr.
99 Prozent der in Abydos gefundenen Töpferscherben aus der frühen dynastischen Zeit waren grobes Gebrauchsgut und nur ein Prozent feinere, rot polierte und schwarz gerandete Ware. Dagegen betrug der Anteil einer in einem neolithischen Testfeld im oberägyptischen Hierakonpolis untersuchten Keramik 50 Prozent feine Töpferwaren (Michael A. Hoffman ›Egypt before the Pharaos‹ 1980, S. 152). Die hochstehende Qualität der neolithischen Keramik wurde in der späteren Geschichte Altägyptens und Vorderasiens nie mehr erreicht.
Keramik der C-Gruppen-Kultur (2300 –1600) Aniba, Nubien
(Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung)
»Ein Charakteristikum der nubischen Kulturen vom Neolithikum bis in die nachmeroitische Zeit, also über einen Zeitraum von ca. 5000 vor bis 1000 n. Chr., ist die hohe Qualität der keramischen Produktion. Ihre Eigenständigkeit drückt sich sowohl in den Formen, der Bearbeitung der Oberfläche wie auch in der Dekoration aus, die oftmals eine Entsprechung in afrikanischer Ware findet und damit die Wurzeln Nubiens in Schwarzafrika belegt. Die Funde der neolithischen Zeit beweisen bereits für das späte 5. und frühe 4. Jahrtausend einen technischen und künstlerischen Standard, der im zeitgleichen Ägypten keine Entsprechung findet: Nubien geht Ägypten in der kulturellen Entwicklung mehr als 500 Jahre voran. Von wenigen Jahrhunderten abgesehen bleibt die Keramik über 7000 Jahre lang das bevorzugte Ausdrucksmittel der Kunst: Tongefäße aus den verschiedenen Kulturen des antiken Sudan sind Meisterwerke keramischen Schaffens und zählen zum Besten, was in dieser Gattung auf dem ›schwarzen Kontinent‹ geschaffen wurde.« (http://www.aegyptisches-museum–muenchen.de/specials/nubien/index.php?wahl=O)
Der Kunst der Keramik-Herstellung und -Dekoration kommt bei der Erforschung der vor-patriarchalen Zeit aller Länder eminente Wichtigkeit zu. Die Archäologin Helene J. Kantor wies beispielsweise anhand ihrer Studien der Keramikkunst die frühen Beziehungen Ägyptens mit Alt-Iran, Elam und Mesopotamien nach. Die Schönheit, Feinheit und Vielfalt der Keramik ist ein Indikator für die Zeit des Friedens und der Freiheit im Matriarchat. Frieden, Kultur und Kunst werden durch die Eroberungen der patriarchalen Indo-Europäer/Arier zerstört.
Isis – die Göttin des Dreiecks und des Nil-Deltas
Archaische Anschauungen haben ein langes Leben. »Man weiß, dass bei den Griechen das Wort Delta die Frau symbolisierte. Die Pythagoräer betrachteten das Dreieck als Urgestalt, wegen seiner vollkommenen Form, aber auch, weil es den Archetypus universaler Fruchtbarkeit darstellt.« (Mircea Eliade)
Das Nildelta und der Sinai (Luftaufnahme Nasa)
Das Delta in Form des Dreiecks, das immer grün und immer fruchtbar ist, gleicht mit seinen vielen Flussverzweigungen einer Baumkrone, einem riesigen ›Lebensbaum‹, dessen Stamm vom Nilwasser genährt wird. Die drei Großen Pyramiden wurden am südlichen Ende der Deltaspitze errichtet. (Zum Rätsel der drei Großen Pyramiden von Gizeh s: Doris Wolf 2009, S. 86-90)
Das Delta in der Form eines Dreiecks wird auch als Lotosblüte bezeichnet; beide haben eine Beziehung zur weiblichen Sexualität. »Sie ist die bedeutendste ägyptische Symbolpflanze überhaupt und geradezu omnipräsent«, schreibt Brunner-Traut (LÄ, III, S. 1092). Die Lotosblume steigt aus dem mütterlichen Urwasser des Nils, dem Schoß der Göttin auf und symbolisiert ihre Vulva, aus der die Lotos-Geborenen Götter Ra und Chepre entstanden sind. Ra, dem die Priester Schöpfermacht zuschrieben, verdankte seine Existenz der Göttin, die beschrieben wurde als die ›Große Weltlotosblume, aus der die Sonne bei der Schöpfung zum ersten Mal aufging‹.« (E.A. Wallis Budge ›The Gods of the Egyptians‹ 1969 (1904), I, S. 473) Das ›Schwimmen im Lotos-Teich‹ schafft Fruchtbarkeit und ist die Metapher für die geschlechtliche Vereinigung. »In den Liebesliedern wird der Lotos oft zitiert, doch wenn die Finger der Geliebten ›wie Lotos‹ sind, dann bezieht sich der Vergleich auf die Anmut der poesievollen Blüte«, ist Brunner-Trauts züchtige Interpretation dieses Symbols für Erotik und Sexualität (LÄ, III, S. 1094). Nicht nur in Ägypten, im ganzen vorderasiatischen Raum ist die Lotosblüte das wichtigste Symbol der Yoni/Vulva, des Dreiecks, der Göttin, aus der Götter und Menschen geboren und wiedergeboren werden.
Isis – die Göttin der sakralen Pyramiden von Gizeh
Wenn man die dünnen ›Beweise‹, welche die Drei Großen Pyramiden von Gizeh den Königen der 4. Dynastie, Cheops, Chefren und Menkaura zuweisen, nicht als letzte Weisheit anerkennt, muss man zugeben: Dies sind Spekulationen. Wir wissen nicht, wann, wie, von wem, warum und wozu die drei Großen Pyramiden erstellt wurden. Jedoch wissen wir aus den Dokumenten, dass Isis ›die Göttin der drei Großen Pyramiden‹ genannt wurde! Dies dürfte ein triftiger Grund sein für eine andere Hypothese, die genau so gültig und bedenkenswert wie die bisherigen Spekulationen ist: Das Dreieck ist immer weiblich und so sind es auch die Pyramiden und sie wurden zur Ehre der Göttinnen-Trinität errichtet – wahrscheinlich schon Jahrtausende vor den Pharaonen! Und so wie das Uterus-Heiligtum im Tal der Königinnen mit dem davorliegenden Gräberfeld und die Begräbnisstätte vor dem symbolträchtigen Hintergrund in Abydos, so dürfte auch die Nekropole bei den drei Großen Pyramiden einen Bezug zur Großen Göttin Ägyptens, und zwar zur Göttinnen-Trinität, die vor der dynastischen Zeit verehrt wurde, haben. Dass auch das Gizeh-Plateau und das Gebiet um die Sphinx, wie schon das vor-dynastische Abydos und das neolithische Grottenheiligtum im Tal der Königinnen, das Zentrum eines vor-dynastischen ›Wallfahrtsortes‹ war, bestätigt die Ägyptologin Christiane Zivie, eine Spezialistin des Gizeh-Plateaus (C.M. Zivie LÄ, II, S. 604 ff.). (Zum Rätsel der Sphinx s. Doris Wolf ›Die Patriarchalisierung der SPHINX‹)
Wie bei der Sphinx hat sich nie ein König gerühmt, einer der Auftraggeber der drei Großen Pyramiden gewesen zu sein. Das war nicht etwa Bescheidenheit, wofür die Könige nie sonderlich aufgefallen sind, sondern das im Volk verankerte Wissen, dass ›Isis die Göttin der Pyramiden‹ war. Die Namenszuschreibungen der drei Könige erhielten die Pyramiden erst 2000 Jahre später von Herodot und noch später von Diodorus, deren Spekulationen von den Ägyptologen gerne und unbesehen übernommen wurden. Hellmut Brunner berichtet in der Einleitung zu Leonard Cottrells’ ›Das Volk der Pharaonen‹ jedoch Unglaubliches: »Nur bei der Beisetzung standen die Pyramiden im Mittelpunkt einer religiösen Handlung. Danach… standen die mächtigen Pyramiden unbeachtet da. Kein ägyptischer Text späterer Zeit kündet von ihnen. Sie hatten ihren Zweck erfüllt, man brauchte sie nicht mehr, man beachtete sie nicht mehr.« Ist das nicht merkwürdig? Heute bestaunen jährlich Millionen von Touristen dieses Weltwunder, und damals soll es niemanden beeindruckt haben, weil es seinen Zweck erfüllt hatte? Könnte es nicht sein, dass die Pyramiden die Göttinnen-Trinität symbolisierten? Dass ihre Verehrung verfolgt, ihre Nennung unterdrückt, ja verboten war? Die Verehrung der Göttin wurde von den patriarchalen Invasoren und ihrer patriarchalen Priesterschaft bekämpft, weil sie ihre männlichen indoeuropäisch/arischen Götter an ihre Stelle setzen wollten. Erst versuchten die Eroberer ihre Sonnenreligion mit der Religion der Göttin zu verschmelzen; mit zunehmender Macht wurde die Göttin der Einheimischen – wie das Beispiel von Seth zeigt – jedoch verteufelt und vermännlicht und dann verfemt. Wir wissen, dass der Kult der Göttin I-Seth (Isis), deren älteste Erscheinung möglicherweise die Sphinx war, in der 4. Dynastie von Cheops verfolgt wurde. Herodot berichtet, dass unter Cheops und Chephren die Tempel geschlossen blieben und das Opfern verboten wurde, was die ÄgypterInnen in grenzenloses Unglück stürzte. »Die Ägypter hassen diese Könige so sehr, dass sie vermeiden, ihre Namen zu nennen« (Herodot II, S. 124–128). Der Ägyptologe E.A. Wallis Budge vermutete,
dass die Sphinx wohl mit einer anderen Religion verbunden war und aus der urgeschichtlichen Zeit stammt. Der gleiche Befund dürfte auch für die Pyramiden zutreffen.
Es existiert kein einziger Beweis, der die Zuordnung der drei Pyramiden an Cheops, Chefren und Menkaura (Mykerinos) rechtfertigen würde. Das dürfte auch der Grund sein, warum von Cheops keine einzige Großskulptur und keine ehrenvolle Erinnerungsschrift übrig geblieben ist. Cheops, den man für den Erbauer der Großen Pyramide hält, wurde in den späteren Dokumenten kaum mehr erwähnt und nur eine 7 Zentimeter große Statue ist von ihm geblieben – und das ist doch sehr sonderbar für einen König, den man für den Erbauer eines Weltwunders hält. Ebenso erstaunlich ist, dass man schon in der 1. Dynastie von einem bedeutenden Friedhof auf dem Plateau von Gizeh weiß, der schon viel früher – wahrscheinlich schon im Neolithikum – angelegt worden war und der auch von der Elite der 2., 3. und 4. Dynastie mit ihren riesigen Grab-Mastabas benutzt wurde; ausgerechnet in der Zeit, als nur wenige Meter davon entfernt die Pyramiden erbaut wurden! Ein Wunder der Logistik.
Eine interessante alte Aufnahme (A. Erman 1936), die zeigt macht, wie eng die kleinen Pyramiden der Königinnen und die Mastabas der Höflinge an die Pyramiden herangebaut wurden – und das gleichzeitig mit dem Bau der Großen Pyramiden. Eine logistische Unmöglichkeit.
Auf dem Gizeh-Plateau konnten nur die sechs Kleinen Pyramiden identifiziert werden. Dies sind effektiv Gräber – jedoch von Königinnen. Wahrscheinlich schlossen die Wissenschaftler daraus: Wenn die Königinnen in den Kleinen Pyramiden begraben sind, dann müssen die Könige in den Großen Pyramiden bestattet worden sein. Doch von diesen Königen und ihren Überresten fehlt jede Spur. (s. auch François-Xavier Héry et Thierry Enel ›La Bible de Pierre – L’Alphabet sacré de la grand Pyramide‹1990)
Nach der 4. Dynastie der ›Pyramidenbauer‹ wurden noch während beinahe 1000 Jahren über achtzig weitere Pyramiden gebaut – lauter mehr oder weniger gescheiterte Versuche, von denen keine einzige eine Spur der Baukunst der Großen Pyramiden aufweist. Alan Gardiner meint, die Handwerkerarbeit dieser späteren Pyramiden sei entschieden ein Pfusch, sodass fast alle zu formlosen Abfallhaufen zusammenfielen (›Egypt of the Pharaohs‹ 1961, S. 92). Wie will man das erklären? Es ist wohl nicht so, wie Rainer Stadelmann in seinem Buch ›Die ägyptischen Pyramiden – vom Ziegelbau zum Weltwunder‹ suggeriert, sondern umgekehrt: ›Vom Weltwunder zum Ziegelbau‹. (D. Wolf 2009, S. 86 – 88) Die fragwürdigen Interpretationen der ÄgyptologInnen wurden durch ständige Wiederholung zu ebenso fragwürdigen Fakten.
Die Dreiecks-Symbolik der Unas-Pyramide
Der Sargraum unter der Unas-Pyramide
Unas, der letzte König der 5. Dynastie, erhielt seine gut erhaltene Grabstätte unter einer kleinen Pyramide unweit der Stufenpyramide des indoeuropäisch/arischen Djoser/Djéser/Zeser/Cäsar/Zar in Sakkara. Im Sargraum mit dem steinernen Sarkophag wurde das Dreieck – die Pyramidenform – im Bau der Decke im Innern der Unas-Pyramide wieder aufgenommen und dürfte eine Erinnerung an die matriarchale Zeit sein.
»Man kann wohl sagen, dass in gewisser Weise Sarg, Grab und Pyramide einen Mutterleib repräsentieren.«
(H. P. Duerr ›Sedna oder Die Liebe zum Leben‹ 1984, S. 334 f.)
Es ist offensichtlich, dass man die Bauweise der Drei Großen Pyramiden nicht kannte, denn wie die Pyramide des Djoser, die man unmittelbar vor die drei großen Pyramiden datiert, wurde die Pyramide des Unas, die nach den Großen Pyramiden erstellt wurde, ebenfalls als Stufenpyramide gebaut, die genauso rasch zur Ruine verfiel.
Die Wände des Unterbaus sind erstmals mit ›Totensprüchen‹, den ältesten Pyramidentexten dekoriert und sind eines der schönsten Dokumente hieroglyphischer Schriftkunst. Die Texte scheinen eine Anklage der Zustände zu enthalten, die zur Zeit des Unas herrschten, wozu Kurt Lange schrieb: Wir wissen aus den ›Kannibalentexten‹ der Unas Pyramide von der »Maßlosigkeit des ungezügelten Emporkömmlingtums, die schließlich den Thron gefährden und die erste große soziale Revolution heraufbeschwören sollte.« (Kurt Lange ›Pyramiden, Sphinxe, Pharaonen‹ 1952, S. 31) Das kann nur einen Ägyptologen erstaunen, denn immer haben sich die ›ungezügelten‹ Völker gegen Invasoren und Unterdrücker gewehrt und deren ›Thron gefährdet‹.
Eine der Töchter des Königs Unas, Prinzessin Seschat Idut, die in Sakkara ebenfalls ein prachtvoll gestaltetes Grab hat, war eine begabte Schreiberin. Es liegt nahe, dass sie es war, die ihrem Vater das unvergessliche Denkmal setzte; wäre sie ein Sohn, würde man dies jedenfalls ohne Weiteres annehmen. Die Schriftkunst der Unas-Pyramide zeigt exemplarisch, wie Frauen von den Wissenschaftlern übergangen werden können.
Die Große Göttin der Pyramiden-Berge in aller Welt
Einst waren Pyramiden und pyramidenförmige Berge Kultorte der ›heidnischen‹ Großen Göttin. Zauberberge, Venus- und Hexenberge erinnern noch an den Kult, der zu Ehren der Göttin gefeiert wurde.
Das Christentum usurpierte die Berge der Göttinnenverehrung und besetzte sie mit Kreuzen, um so die Erinnerung an die Göttin der Berge auszulöschen.
Die Göttin IST der Heilige Berg, die Höchste, die Spitze, die Mächtigste, die Erhabene und die Quelle des Lebenselixiers Wasser. Der höchste Berg der Welt, Sagarmatha, heißt nepalesisch: ›Göttin des Himmels‹ oder Chomolungma, tibetisch: ›Göttin der Erde‹. Die ›Göttin und Mutter aller Berge‹ wurde im letzten Jahrhundert dem Erstbesteiger, Mr. Everest, zugesprochen; eine takt- und respektlose Umbenennung; die Einheimischen, die den Berg als ›Göttin des Schneegebirges‹ verehren, waren empört und sehen darin einen Frevel. Die Berge der Göttin wurden nicht nur von Bergsteigern – sondern vom Christentum ganz allgemein – usurpiert, christianisiert und mit Kreuzen versehen! Die Macht und Erhabenheit der Göttin sollte dem männlichen Gott unterstellt werden, doch sie behielten im Volk die Erinnerung und viele noch ihren Namen.
Im Berner Oberland wurde der Göttin – die Jungfrau – einer der schönsten Pyramiden-Berge geweiht. Sie ist wie das Matterhorn (Mutterhorn) weltberühmt und zieht jährlich Tausende von VerehrerInnen und ›PilgerInnen‹ an.
Einer der schönsten Berge der Schweiz, das Matterhorn, ist wie der oberägyptische Pyramidenberg El-Qurn, welcher der Göttin Meret-Seger, einer Form der Isis geweiht war, ein ›Mutter-Horn‹, ein Füllhorn der Göttin, der Spenderin von Fruchtbarkeit und Reichtum und ein mythologisches Symbol des Glücks.
Der höchste Berg der Westalpen, der Mont Blanc, der 4807 Meter hohe, mit ewigen Schnee bedeckte Berg, ist eine ›Dame Blanche‹, eine Weiße Göttin. (Postkarte)
Die pyramidenförmige Rigi im Morgenlicht. Die ›Königin der Berge‹ wurde
nach der Himmelskönigin ›Rigina‹ benannt. (Foto Doris Wolf)
Die alte Kultstätte, die heute als Rigi Kaltbad bezeichnet wird und die dort in einem Felsenkessel mit nur einem Zugang liegt, erreicht man nur durch ein gewaltiges Felsentor, eine Vulva aus Nagelfluhblöcken. Dahinter befindet sich die kalte Quelle und eine 1556 erbaute Felsenkapelle. Diese Kapelle war einst ein beliebter Wallfahrtsort, denn hier entspringt die an die Göttinnen-Trinität erinnernde Drei-Schwestern-Quelle. Die Gegend am Südabhang der Rigi soll schon in der Altsteinzeit besiedelt worden und somit die älteste bekannte Niederlassung der Menschen im Gebiete der Zentralschweiz sein. (www.terraner.de/CH/Zentralschweiz.htm)
Links: Die sprudelnde Drei-Schwestern-Quelle aus der Vulva Spalte auf der Rigi (Foto Doris Wolf)
Im 15. Jh. wurde die Heilkraft der Quelle christlich umgedeutet: Als die letzte der drei legendären Schwestern gestorben sei, soll plötzlich Wasser hervor gesprudelt sein und die Menschen wurden durch ihren ›Glauben an Gott‹ geheilt; sagt man(n)!
Auf der ganzen Welt wurde die Göttin der Berge verehrt. »Man vermutet, dass die [indoeuropäisch/arischen] Sumerer aus einem Gebirgsland kamen und dass dort die Göttinnen auf Bergen verehrt wurden. So sprechen sie als Bewohner einer Tiefebene von ihrer Hauptgöttin Ninchursanga als von der ›Herrin der Berge‹.« (Jörg Zink ›Tief ist der Brunnen der Vergangenheit‹ 1988, S. 65) Die sumerische Bergmutter, ›die den Toten das Leben schenkt‹ ist ein Beweis dafür, dass die Indo-Europäer nicht ›schon immer‹ patriarchal waren. Nin-chur-sanga schuf aus Lehm die ersten menschlichen Wesen. Diesen besonderen Zauber ahmte später der biblische Gott nach.« (Walker 1993, S. 794)
Auch die feuerspeienden Vulkane waren der Göttin geweiht. Der ›Feuerberg‹ Ararat – hieß vor dem sprachlichen R=L-Wandel und der Patriarchalisierung Alalat bzw. Al-Lat – Göttin. Der Ararat wurde von den Armeniern von alters her ›Masis – Göttin der Berge‹ und ›Mutter der Welt‹ genannt. Die Ehrfurcht vor dem mächtigen Berg und seinem Geheimnis sei gewaltig, erzählen Einheimische. Es erstaunt nicht, dass dieser symbolträchtige Mutterberg von den patriarchalen Priesterkasten für ihre Zwecke usurpiert und sich im Mythos von der Sintflut und der Arche Noah, die auf diesem Berg gestrandet sein soll, zu eigen machten.
Der höchste Vulkan Europas erhielt seinen Namen Ätna von der römischen Vulkangöttin und der Vesuv von Vesta, der Göttin des Herdfeuers. Hawaii verehrt ebenfalls eine Göttin des Feuers, die ›Lava sprudelnde Berggöttin Pele‹. Der Mount Hara ist der Berg der iranischen Göttin Anahita, der ›Goldenen Mutter‹. Der heiligste aller heiligen Berge des Himalaya ist der Kailash. Der Berg wird im Volksglauben aus tibetischer Urzeit noch immer als ›Göttin des Himmelsraumes‹, gNam phi gun rgal, verehrt. Mit dieser Göttin stehen auch frühe Schöpfungsmythen der ursprünglichen Bön-Religion in Zusammenhang. Durch die Pyramidenform und die besondere Lage wird der Kailash als Berg Meru identifiziert und zählt heute für tibetische Buddhisten, Hindus und die Anhänger der ursprünglich weiblichen Religion der indigenen Tibeter, der Bön, zu den bedeutendsten spirituellen Orten. Zu den weiblichen Pyramidenbergen gehört auch der Pumori an der Grenze zwischen Nepal und China. Der Name Annapurna im Himalaya in Nepal ist eine andere Bezeichnung der Göttin Parvati, der ›Tochter der Berge und ihre nährende Brust‹. In Südamerika ist der Machu Picchu die personifizierte ›Mutter Erde‹. Die omnipotente Göttin der Anden ist die Pachamama oder Mama Pacha. Popocatepetl ist in Mexiko ›die weiße Dame‹. In Japan ist die Sonnengöttin Fuji auch die ›Göttin der Baumblüten‹. Nowah’us ist der heilige Berg der Cheyenne, in dem die Wiederbelebung im Mutterbauch stattfand.
Immer thront SIE als Berg, als Gipfel, als die Höchste, wie Isis, deren Emblem der Thron ist. Thron und Berg symbolisierten den Schoß der Muttergöttin, durch deren Gnade Könige den Thron bestiegen. Die Gebärende Göttin auf dem Leoparden-Thron von Çatal Hüyük und Isis sind der ›Heilige Stuhl‹, den honorige Patriarchen für ihren Patriarchen-Chef in Rom usurpierten, der sich, als Konkurrenz zur Mutter, Vater nennt, sogar ›heiliger Vater‹, obwohl die wenigsten dieser religiösen Machtmenschen reale Väter oder besonders heilig waren.
»Ursprünglich stand an Stelle des Throns der Berg, der in sich die Symbole der Erde, der Höhle, der Masse und der Höhe verbindet, die unbeweglich-sesshafte Gottheit, welche sichtbar über die Erdlandschaft herrscht. Der Berg ist zunächst die numinose Gottheit als Bergmutter, später wird es der Sitz und Thron, auf dem das sichtbare und das unsichtbare Numen sitzt, noch später der ›leere Thron‹, auf dem sich die Gottheit ›niederlässt‹. Der Bergsitz als Thron der Großen Göttin, der Frau vom Berge, ist ein späteres Stadium der Entwicklung, seine schönste Darstellung hat er wohl in dem bekannten kretischen Siegel, auf dem die Muttergottheit oben auf dem Berge steht und von dem sie anbetenden Jüngling verehrt wird. Die Symbolik der weiblichen Gottheit als Hügel und Berg finden wir noch spät im Orient, wo der Hieros Gamos zwischen Himmel und Erde auf dem Berge oder dem ihn symbolisierenden Stufenturm, wie in Babylon, statthat.« (Erich Neumann ›Die Große Mutter‹ 1974, S. 103)
Die Göttin der heiligen Berge überschaut ihr Land, schützt, nährt und leitet es. Berge sind es auch, die in matriarchaler Zeit den Menstruierenden und Gebärenden in ihren Höhlen Geborgenheit und in patriarchaler Zeit den Verfolgten Refugium und Schutz bieten.
Im Patriarchat wurden viele Berge vermännlicht und auffallend häufig haben die Gott-Religionen mit Bergen zu tun. Der Sinai, der Berg der babylonischen Göttin Ninmah wurde im Patriarchat usurpiert. Jahwe, der patriarchale Gott der Berge, soll Moses auf dem Berg Sinai die Gebotstafeln übergeben haben. Er »will auf dem Berg Zion in Jerusalem angebetet werden, und bis ins Neue Testament reichen die Offenbarungen des Gottes auf dem Berge. Es gibt den Berg der Bergpredigt, den Berg der Verklärung und Golgatha, den Berg, auf dem der Gott stirbt, um wiedergeboren zu werden« (Gerda Weiler ›Ich verwerfe im Lande die Kriege – Das verborgene Matriarchat im Alten Testament‹ 1984, S. 88). Die Berge, die Symbole der Großen Göttin, wurden für den männlichen Gott vereinnahmt.
Jedoch waren die Berge ursprünglich der Großen Göttin geweiht und ihre Anziehungskraft ist bis heute geblieben.
Heilige Wasser, heilende Quellen
Wie die Berge, waren alle Wasser, Quellen, Flüsse, Ströme, Seen und Meere Symbole der Göttin und ihrer ewigen, segenbringenden Anwesenheit. Die fließenden Wasser winden sich stetig und befruchtend, Leben und Nahrung schenkend über die Welt. Flüsse und Ströme entsprangen der Vulva der Erdmutter. Deswegen nennen die Psalmisten die Wasser ein ›Chaos‹ und der Psalmist fragt: »Ist gegen Ströme, Jahwe, dein Zorn entbrannt?« (Hab. 3.8)
»Der Glaube an die Heiligkeit von lebenspendendem Wasser an Quellen und Brunnen existiert seit vorgeschichtlicher Zeit bis in unser Jahrhundert. Wir hören noch immer vom Lebenswasser, das Kräfte verleihen, Kranke heilen, alte Menschen verjüngen, das Sehvermögen wiederherstellen und einen zerstückelten Körper wieder lebendig machen kann. Die Mythen um Brunnen und warme Quellen, vor allem im Entstehungsgebiet großer Flüsse und Ströme, lassen sich nicht vom Kult der Lebenspendenden Göttin trennen.« (Marija Gimbutas ›Die Sprache der Göttin‹ 1995, S. 43)
Fayence-Nilpferd, mit Lotosblüten, dem Symbol für Leben und Wiedergeburt verziert. (Ägyptisches Museum Kairo)
In der sogenannten Thinitenzeit, der 1. und 2. Dynastie, wurden in den Tempelanlagen zahlreiche dieser Figürchen gefunden. Sie stammen noch aus der matriarchalen Zeit. Die Göttin des Nils wurde bereits im Neolithikum in ihrer Form als fürsorgliche, göttliche Nilpferd-Mutter, als ›Göttin der Fruchtbarkeit‹ mit dem Namen Thoeris (Taueret, Taweret oder Ta-Urt), ›die Grosse‹, verehrt. Als Flussgöttin des ›Urwassers‹ symbolisiert sie das Fruchtwasser, das den menschlichen Embryo umhüllt und das Kind im Mutterleib schützt. Die jährliche Nilschwemme wurde als Blasensprung, der die Eröffnungsphase der Geburt einleitet, gesehen. Als Göttin des befruchtenden Nilwassers begleitet sie die Schwangeren und ist die Schutzgöttin der Gebärenden und der stillenden Mütter. Es sind alles Metaphern für die lebenspendende und immer wiederkehrende Kraft des Nils, der Schöpfergöttin und der Frau. Sie ist auch ›Reret‹, die Muttersau, ›die Erste der Entbindungsstätte‹, Hebamme und Amme und Schutzgöttin der Menstruierenden, denn die Nilsau sondert zum Schutz ihrer empfindlichen Haut eine blutrote Flüssigkeit ab, was an das Menstruationsblut erinnert. (›Reret‹ war vor dem R-L-Wechsel wahrscheinlich Lilit oder Allat.)
Dargestellt wird Ipet/Thoeris mit einem Nilpferdleib auf Löwenbeinen stehend. Die Vorderbeine sind als menschliche Arme gestaltet, die das Ankh-Kreuz für Leben und das Sa-Symbol für das lebenspendende Mutterblut halten. Der Kopf kann menschlich, der eines Nilpferdes, eines Krokodils oder einer Löwin sein, als Symbole für ihre gewaltige Stärke, ihre Macht und magischen Kräfte. Die Verehrung der Göttin Thoeris gehörte zur matriarchalen Volksreligion.
›Die Schakale und Hyänen nehmen jetzt den Platz der LeopardInnen und LöwInnen ein.‹ (frei nach Luchino Visconti zur Verkörperung der neuen Ordnung, die die alte ablöste ›Der Leopard‹)
Links: Das Speeren der Nilpferd-Göttin in Edfu
Mit der Invasion der patriarchalen Indo-Europäer und den mit ihnen verbündeten arischen Priesterkasten kamen die ersten männlichen Götter nach Ägypten. Die Verfolgung der heiligen Tiere der Göttin, z.B. die Tötung des Nilpferdes ist ein häufiges Thema der frühzeitlichen Herrscher, was später sogar zur Ausrottung des mächtigen Tieres führte. Das Nilpferd wurde mit Seth, der vermännlichten und verfolgten Göttin I-Set/Isis, gleichgesetzt und vom patriarchalen Klerus zum ›Götterfeind‹ erklärt, womit seine Verfolgung gerechtfertigt wurde.
Als Symbol für die beneidete Macht der Frauen wurde das weibliche Nilpferd (eigentlich eine Nilsau) von der oberägyptischen Priesterkaste besonders in Edfu verfolgt. Nichts sollte daran erinnern, dass es nicht die neu erfundenen männlichen Götter waren, die Leben schufen, sondern dass die Schöpferinnen des Lebens die Große Göttin und die Frauen sind.
Im oberägyptischen Elephantine wurde die Göttin Satis als Flussgöttin verehrt; sie goss das befruchtende Nilwasser aus bis sie durch männliche Nilgötter ersetzt wurde, die jedoch noch ihren verräterisch weiblichen Ursprung, ihre weiblichen Brüste, beibehielten und deshalb unglaubwürdig waren.
Rechts: Hapi heißt der patriarchale Nilgott mit den weiblichen Brüsten. (Kalksteinrelief, Boston Museum of Fine Arts)
Um Hapi mehr Bedeutung zu geben, nannte man ihn in griechisch-römischer Zeit ›Vater und Mutter der Götter und Menschen, Amme des ganzen Landes‹ und ›der die beiden Länder mit Lebenswasser überflutet‹ (Kurth, LÄ IV, S. 486). Trotzdem blieb Hapi eine fragwürdige Figur und verblasste neben den starken, lebenspendenden Göttinnen.
Der Niger einst ebenfalls von einer Fluss-Göttin bewohnt, wird von den (muslimischen) Einheimischen als das Reich der ›Königin des Wassers‹ bezeichnet und als ›Urmutter der Bozo-Fischer‹, die halb Frau, halb Fisch sein soll. Die Yoruba in Westafrika verehren ihre Flussgöttin unter dem Namen Osun. Von den heiligen Flüssen Mesopotamiens, von Euphrat und Tigris, wurde angenommen, dass sie »ihren Ursprung im gebärenden Organ der Großen Mutter hatten. Die Quelle der Flüsse wurde als die Vagina der Erde betrachtet« (Giedion ibd. 1964, S. 145). Der heilige Urubamba-Fluss in Südamerika ist die mütterliche Quelle und der allmächtigen Schöpfergöttin Patchamama geweiht. Der Mekong wird in Laos ›Mutter aller Wasser‹ genannt. Sibiriens mächtigster Strom, die Lena, wird liebevoll Matuschka, Mütterchen und von den Einheimischen ›die Große Ernährerin‹ genannt.
Immer wurden das Wasser, die Erde, die Flüsse, die Seen und Meere, die die Menschheit ernährten, verehrt. Auf der ganzen Welt gibt es noch immer viele Völker, die von Fisch und andern Wassertieren leben, während nur ganz wenige Menschen jagen; die Jagd und die einst großen Jäger ist eine Phantasie patriarchaler Männer, die ihrer Eitelkeit schmeichelt und ihnen eine Bedeutsamkeit geben soll, die sie laut den Zeugnissen nie hatten.
Wasser galt stets als weiblich und ›Mutter aller Dinge‹. Die der Göttin geweihten Heiligtümer waren meistens mit Brunnen, Quellen, Seen, Meeren, Flüssen und Strömen in Verbindung. Viele dieser Heiligtümer wurden zwar im Laufe der Patriarchalisierung christianisiert oder islamisiert und haben für Pilger noch immer eine große Anziehungskraft.
W. Robertson Smith, schottischer Theologe, Alttestamentler und Orientalist, geboren 1846 und aufgewachsen im viktorianischen Zeitalter, beobachtete, dass heilige Kultstätten in Verbindung mit Gewässern noch in allen Teilen der semitischen Welt erwähnt werden, jedoch weniger unter den nomadischen Arabern (Hirtenvölkern, Tierzüchtern), als unter den Ackerbau treibenden Völkern Syriens und Palästinas, bei denen heilige Gewässer eine hervorragende Stellung einnahmen. Es findet sich hingegen kaum je ein Zeugnis dafür, dass bei der beträchtlichen Anzahl von arabischen Heiligtümern, bei denen Quellen und Ströme erwähnt sind, diese Gewässer heilig waren oder im Kultus eine bestimmte Rolle spielten. Am klarsten liegt diese Tatsache in Mekka vor, wo die Heiligkeit des Zemzem-Brunnens sicher vorislamisch ist (Smith ›Die Nildelta-Religion der Semiten‹ 1899, S. 130). Smith spricht von den vor-islamischen, ›heidnischen Semiten‹, will heißen, den matriarchalen Semiten, die noch unbeschadeter von den patriarchalen Riten und Mythen der indoarischen Eroberer lebten, welche Anhänger und Erfinder männlicher Götter waren und den Umbruch vom Matriarchat zum Patriarchat herbeiführten (s. Doris Wolf ›Das Matriarchat in Arabien‹).
In Europa waren ursprünglich alle Flüsse weiblich. In Deutschland sind von 72 Flüssen mit einer Länge von mehr als hundert Kilometern lediglich acht vermännlicht worden. In etwa dem gleichen Verhältnis steht es mit den Flüssen europaweit. Millionen von Hindus baden sich am indischen Fest Maha Kumbh Mela im Ma Ganga, der ›Gangesmutter‹, von ihren Sünden rein. »Ihr Symbol ist die Schlange, je nach Größe des Wasserlaufs winzig wie ein Fädchen oder riesig wie ein Wasserdrache. Der Schlangenkult als Verehrung der lebenspendenden Wasser ist uralt, er gehört zur ältesten und auf der Erde am weitesten verbreiteten religiösen Schicht.« (Heide Göttner-Abendroth ›Das Matriarchat II.1 – Stammesgesellschaften in Ostasien, Indonesien, Ozeanien‹ 1991, S. 33)
Die Menschen siedelten immer am Wasser – Wasser ist lebenswichtig – Fische und andere Wassertiere waren ihre Nahrung. Heute nehmen namhafte Forscher an, dass die Menschheit der Ernährung von Wassertieren, Fischen, Muscheln etc. die Vergrößerung des Gehirns und damit den Beginn des intellektuellen Fortschrittes vor zwei Millionen Jahren verdankt.
Muscheln und Schnecken – Symbole der Vulva, des Schoßes und der Wiedergeburt
Links: Muschel aus Saqqara, 3. Dynastie, um 2660, Katalog des Ägyptischen Museums Kairo, Abb. 23).
In Ägypten wurde eine goldene zweischalige Muschel gefunden, deren »schlichte, reine Formen die hohe künstlerische und handwerkliche Qualität dieser frühen Zeit bezeugen.« Obwohl daneben Gefäße aus Alabaster und Krüge den Namen des Sechemchet trugen, dürfte es sich um den Grabschatz einer Königin handeln: »Die muschelförmige Dose wurde zusammen mit goldenen Armreifen und Halsketten aus Stein- oder Goldperlen gefunden. In dieser zarten Dose dürfte wohl Schminkpuder aufbewahrt gewesen sein.« Die Muschel wurde verglichen mit dem Mutterschoß, einer bergenden Schale, einer Höhle, die das innere Leben, das Kind und die Perle schützt. Im Abri de la Madeleine (Südfrankreich) wurde das Skelett eines vor 10’000–12’000 Jahren verstorbenen 2-4-jährigen Kindes gefunden, das mit Ocker bestreut und mit mehr als 1500 Muscheln bedeckt war. (Musée de Préhistoire des Eyzies) Die Muschel als Begleitsymbol der Göttin hat sich uns erhalten, in Darstellungen der Madonna.
Rechts: Vierge noir, Mende cathedrale (Wiki common)
Form und Aussehen von Muscheln, Austern und Schnecken machen sie auch zu erotischen Symbolen, weil sie an eine nassfeuchte Vulva erinnern, weshalb sie als weibliches Aphrodisiakum, luststeigernde, erotische ›Appetitanreger‹ für das Auge gelten. (Im Islam gehört die Muschel wohl aus diesem Grund zu den verpönten Tieren.) Noch mehr als die Muscheln erinnert die Kauri-Schnecke an die weiblichen Genitalien. Sie sind Symbole für Glück, Fruchtbarkeit und Reichtum, was ihre Verwendung als Zahlungsmittel deutlich macht. Die Kostbarkeit und Verehrung der Vulva machte die Kaurischnecken zum begehrten und weit verbreiteten Zahlungsmittel. Aufgereihte Kauris werden in Afrika als Körperschmuck und Glück bringende Amulette getragen.
›Es gibt bedeutsame und wirksame Symbole, diese gehören der Magie, jene der Religion an. Wie das Ei eines der bedeutsamsten, so ist die Kaurimuschel das am stärksten magische der weiblichen Symbole, heißbegehrt als Amulett und deshalb wohl die erste – Weltwährung. (Sir Galahad)
In unseren Breitengraden wurde die Schnecke als Symbol der Vulva – im Gegensatz zur Muschel, die als mystisches Symbol galt – mehr im vulgären Sinn gebraucht. Aigremont schreibt in ›Anthropophyteia‹: »Außer den bereits genannten Gründen mag noch ein anderer dazu beigetragen haben: das Schlüpfrige, Schleimige, Glatte, Geschmeidige, das die Vulva mit der Schnecke gemein hat. Vielleicht gab auch der starke Wollusttrieb sehr vieler Schnecken einen Grund zu ihrer erotischen Symbolik ab. So sind z.B. die gewöhnlichen Weinbergschnecken Zwitter, haben beide Geschlechtsteile, befruchten sich aber nicht selbst, sondern spielen bald das Männchen, bald das Weibchen. Ehe sie sich begatten, vollführen sie ein längeres Minnespiel, bei dem sie sich durch ihren ›Liebespfeil‹, ein besonderes Organ, wollüstig erregen (›Anthropophyteia – Jahrbücher für folkloristische Erhebungen und Forschungen zur Entwicklungsgeschichte der geschlechtlichen Moral‹ 1909, S. 35 – 50 passim).
Muscheln aus dem Nil, dem Roten Meer und dem Mittelmeer wurden im Alten Ägypten bereits in steinzeitlichen Fundstellen, etwa in Maadi oder Merimde ausgegraben, die nicht nur als Nahrung und als wichtige Versorger von Proteinen dienten, sondern weit verbreitete Symbole für Schoß und Vulva waren. Kauri- oder Porzellan-Schnecken und die Schalen von zweischaligen Muscheln und Austern wurden wegen ihrer Form und der ›Perlmutter‹ zu symbolträchtigem Schmuck verarbeitet.
Aigremont schrieb zum religiösen Symbolismus, dass die sexuelle und erotische Symbolik der zweischaligen Muschel bis ins graue Altertum zurück geht. »Es sind verschiedene Gründe, welche die Muschel zum Symbol des Mutterschoßes wie der Vulva, der äußeren Gestalt des weiblichen Organs, werden ließen. Nach Strabo hatte die Muschel schon bei manchen Naturvölkern im Altertum eine sexuelle Bedeutung: ›Ihre Frauen bemalen sich schwarz mit vieler Sorgfalt. Um den Hals tragen sie Muscheln als Amulette‹. Diese Sitte ist schon in alter prähistorischer Zeit bezeugt: So trug der Diluvialmensch von Cro Magnon ein Halsband von Mittelmeermuscheln um den Hals, und zwar sind kleine Kammmuscheln und die Cypraea (Kaurischnecke) hier die bevorzugten Muschelarten. In den neolithischen Gräbern Mitteleuropas finden wir auch die Herzmuscheln vertreten« (Aigremont S. 40), weil Muscheln nicht nur Symbole für die Vulva, sondern auch für das Herz sind. Beide sind Metaphern für Liebe, Erotik, Liebeslust und Genuss.
Die Kammmuschel wurde nach dem ›Kamm‹ benannt und »das griechische Wort für Kamm ›kteis‹ wurde auch für die Vulva gebraucht« (Walker 1997, S. 186). Auch bei modernen Völkern sei der Kamm ein Symbol der Vulva und speziell auch der Klitoris: »Es ist das Bild des Kammes, das wohl auf die anschwellende Clitoris und auf die zackigen oder kammähnlichen labia minora übertragen wurden; die Clitoris wie die labia minora schwellen bei der geschlechtlichen Erregung an wie der Kamm des Hahns, des Puters. Es würde also hier der tierische, rote Fleisch-, Stirn- oder Kopfkamm zum Vergleich gedient haben.« (Aigremont)
›Die Geburt der Venus‹ aus der Kammmuschel, Sandro Botticelli (1485)
Als Attribut der Göttin Venus ist die Muschel ein Symbol der Liebe und der Wasser spendenden Vulva. Im Kult der Aphrodite – der Göttin der sexuellen Liebe – die einer Kammmuschel entstieg, hat die zweischalige Kammmuschel eine nachhaltige Bedeutung als Beschützerin und Erhalterin der Liebe und der Liebeslust erfahren.
Neben Aphrodite sind es die Nymphen, und zwar die Nymphen als Wassergottheiten, die das Symbol der Muschel führen. Die Muschel ist auch hier als Erzeugnis des Wassers, des Meeres zu deuten, die Haltung der Nymphen aber weist deutlich auf die erotische Symbolik der Muschel hin: Die Nymphen halten die Muschelschale direkt vor ihren Schoß, so dass das Wasser aus dem vorgehaltenen Becken floss mit leisem Hinweis auf die wasserspendende Vulvamuschel. (Vergleiche auch Nymphae = Labia minora, Wasserlefzen, aus denen der Wasserstrahl, Urin, hervorschießt. (Aigremont S. 39)
Die Muschel als Symbol der Vulva, des Schoßes und der Fruchtbarkeit repräsentierte in Griechenland die Magna Mater, die Große Erdmutter Demeter, »Symbol hellenischer Weiblichkeit gegenüber dem Männertum, dem Phalluskult. Etwa um 450 v.Chr. tritt diese Entwicklung deutlich hervor, die dann im Laufe der Jahrhunderte bis in die christliche Zeit hinein anschwillt. Die Kirchenväter, z.B. Clemens von Alexandria, greifen diese Symbolik, wie auch die Demetermysterien als ›zügellos‹ auf und benutzen sie als Gründe gegen das Heidentum.« (Aigremont S. 37) Aigremont erzählt von den festlichen Thesmophorien der Göttin Demeter im bereits patriarchalisierten Griechenland, bei denen man riesenhafte Phallen und ein Kolossalbild jener rosigen Kammmuschel – eine äußerst naturalistische Abbildung der Vulva – dem Mysterienzuge voran trug. Sie ist das Bild der göttlichen Vulva, der göttlichen Fruchtbarkeit der großen Weberin Demeter, die sich auf dreimal geackertem Brachfeld ihrem Liebling Jasion in Liebe vereinte… Nach den Griechen nennt auch der Lateiner die Kammmuschel –, die Spezielle ist die Pecten Jacobaeus, Jakobsmuschel – die auch bei ihm ein ausgesprochenes Symbol der Vulva war, wird durch die römische Plastik [und Malerei] hinreichend belegt. (s. auch die Bedeutung der Kammmuschel auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela, ›Sheila Na-Gigs und die Patriarchalisierung von Santiago de Compostela‹
Erstaunlicherweise usurpiert die frauen- und sexualfeindliche christliche Kirche ausgerechnet die Kammmuschel, dieses Symbol der ›Zügellosigkeit‹ für sich und wandelt es zu einem Symbol von heiligen Männern. Dazu erfindet sie Legenden, wie jene von der Begegnung des hl. Augustinus mit einem Kind, das versuchte, mit einer Muschel das ganze Meer in ein Loch im Sand zu füllen. Die Unmöglichkeit dieses Unterfangens soll er als Metapher dafür gedeutet haben, dass wir unfähig seien, Gott zu erkennen. Eine andere Legende ist die vom hl. Jakobus (spanisch San Tiago, Santiago), der schon fast wie Aphrodite dem Meer entstieg. Man(n) gibt der weiblichen Kammmuschel den Namen ›Jakobsmuschel‹. Ohne es zu ahnen, pilgern die Christen nach Santiago zum vor-christlichen Pilgerort der ›heidnischen‹, dreifachen keltischen Göttin Brigid. Das Unglaublichste ist doch wohl, dass die Muschel – dieses Symbol weiblicher ›Zügellosigkeit‹ und ›Unersättlichkeit‹ – ausgerechnet zu einem der bedeutungsvollsten Symbole der christlichen Kirche in Rom wurde.
»Die Muschel ist am besten vertreten durch das Votivrelief des Vatikans.« (Aigremont)
Links: Das von Joseph Ratzinger gewählte Wappen mit der zweischaligen Kammmuschel
Ausgerechnet die weibliche Kammmuschel, Symbol der Göttin, des Schoßes und der Vulva, wird von Joseph Ratzinger, als er zum Papst gewählt wurde, in sein Wappen, einem kelchförmigen (einem ebenfalls weiblichen Symbol!) Schild aufgenommen; bestens platziert und erhöht im Zentrum: Eine goldene Kammmuschel.
Eine interessante Rolle spielt beim Klerus auch die Farbe Purpur, einem Produkt der Purpurschnecke: Bei der Nahrungssuche ist die Ähnlichkeit der herausgestreckten roten Zunge dieser Schnecke mit der Vulva nicht zu übersehen. Purpur war in vorpatriarchaler Zeit die Farbe der Kleidung der Priesterinnen der Großen Göttin. Heute kleiden sich die hohen katholischen Kleriker bei festlichen Gelegenheiten in Purpur. Ihre Roben aus edelsten Brokat-Seiden-Stoffen lassen sie sich bei der römischen Haute-Couture-Branche schneidern. Zur Ausstattung der eitlen Herren gehört das purpurrote Kardinalsbirett, sowie purpurrote, mit Goldstickerei verzierte Handschuhe und lächerliche purpurrote Söckchen und rote Schuhe von Prada. Es ginge auch anders, weniger eitel, weniger prunksüchtig, weniger prahlerisch, weniger pompös.
Der Kamm, ein weibliches Symbol der Sexualität
Der Kamm, dem die Kammmuschel ihren Namen verdankt, ist, wie wir sehen, in den alten Kulturen ein außerordentlich wichtiges weibliches Symbol für Erotik, Liebe, Wollust, Sexualität und Fruchtbarkeit – offenbar aber auch für Widergeburt, denn bereits aus der ur- und frühgeschichtlichen Zeit Ägyptens wurden Kämme aus Elfenbein, Knochen, Holz, Stein, einmal auch aus Schildpatt (ein Produkt aus den Rückenpanzern von Meeresschildkröten) unter den Grabbeigaben gefunden (Müller Christa, ›Kamm‹ LÄ, III, S. 305 f., Hvhb. DW). Grabbeigaben haben immer eine bedeutungsvolle Symbolik und stehen – wo sie noch nicht patriarchal usurpiert und umgedeutet wurden – in Zusammenhang mit der Religion der Göttin.
In einem riesigen, ausgeraubten Grab im ägyptischen Abydos, das unglaublich wertvolle Grabbeigaben enthalten haben muss, wurde unter den spärlichen, von den Grabräubern übersehenen Gegenständen ein fein dekorierter Kamm, kostbarer Schmuck, ein Haarzopf und Toilettenartikel einer Frau gefunden. Trotzdem wurde das Grab einem ›König Schlange‹ zugeschrieben. Wobei die Schlange und die schlangenförmige Spirale immer weiblich sind. Immerhin gibt es Zweifel an der Zuschreibung des Grabes an einen männlichen König. Man gibt Unsicherheiten zu; es sei nicht bekannt, wem dieses Grab gehörte, auch nicht der Grund für seinen ungewöhnlichen Standort (Toby Wilkinson 1999, S. 74). Und Wilkinson bemerkt nebenbei, leider ohne Quellenangabe, Siegel dieses Königs mit dem Namen Wadjet/Djet führten zu der Vermutung, dass es für »Djets Königin« erbaut wurde. Eine andere Erklärung sei, es könnte Djets Mutter gehören (1999, S. 73). Auch könne die Nischen-Mastaba von Gizeh ein verschwenderisches Begräbnis für die Mutter des Königs gewesen sein. Es darf nur nicht das Grab einer KönigIN sein. (s. D. Wolf 2009, S. 191 ff.)
Links: Der Elfenbein–Kamm der Königin Wadjet/Ua-Set/ Isis, die sich auf die Kobragöttin bezieht. Aus einem Grab in Abydos, das einem ›König Schlange‹, Wadje, zugeschrieben wird. (Ashmolean Museum, Foto Werner Forman) Im Serekh, der Palastmauer, die Kobragöttin (s. Doris Wolf ›Gab es einen ›König Schlange?‹)
Beachtenswert ist, dass die vielen ›Übersetzungen‹ der Hieroglyphenzeichen für Schlange die weibliche T-Endung haben: Wadjet/Djet/Zet/Ua-Zet/Ua-Set/I-Zet/I-Set alles Transkriptionen des Namens der Großen Göttin ISIS. Erstaunlich, dass bis heute niemand auf die Idee gekommen sein will, dass es sich um Grabbeigaben einer Priester-Königin der Göttin Isis handelte, deren Name auf Siegeln, Steingefäßen, Holz- und Elfenbeintäfelchen gefunden wurde. (s. D. Wolf 2009, S. 193) »In der ägyptischen Stadt Buto, die eines der wichtigsten religiösen Zentren der Kobragöttin war, hatte man ein Orakelheiligtum eingerichtet. In der ägyptischen Sprache hieß diese Stadt eigentlich Per Uto, aber die Griechen nannten sie Buto und verwendeten diesen Namen auch für die Kobragöttin selbst. Dieses Heiligtum wurde in den klassischen griechischen Zeiten der Göttin Lato zuerkannt, aber wahrscheinlich war dieser Platz einstmals ein Orakeltempel der Göttin Ua Zit [ISIS] selbst. Herodot berichtet, dass er eine ungeheure Menge von Schlangenskeletten in einer Gasse dieser Stadt sah.« (Merlin Stone ›Als Gott eine Frau war – Die Geschichte der Ur-Religion unserer Kulturen‹ 1988, S. 286)
Eine der Bezeichnungen für einen Webkamm ist ›Meryt‹ oder ›Merit‹. Der Name ist aber auch die Bezeichnung für eine Priesterin. So scheint die Königin Merit-Neith die Hohepriesterin der Göttin Neith und ihre irdische Stellvertreterin gewesen zu sein. Der ›Webkamm‹, Merit/Meryt, aus dem Grab der Königin Wadjet weist sie auch als Vorsteherin der Weberinnen aus und als Vertreterin der ›Großen Weberin‹, der Göttin, die das Schicksal der Menschen webt. »Der Kamm«, schreibt Aigremont, »gilt überhaupt als Symbol des Weibes, der großen weiblichen Naturgottheit, der großen Weberin. Der Kamm ist der große Weberkamm, mit dessen Zähnen die Muttergöttin das große Gewebe der Natur schafft. Fügt man der Zuschreibung des Grabes an einen ›König Wadji‹ auch noch die Symbolik des Kammes hinzu, gibt es keinen Zweifel, dass Grab und Beigaben nicht einem Mann, sondern einer Frau gehörten, einer Königin mit dem Namen ›Schlange‹, einer Vertreterin der Schlangengöttin Wadjet/Ua-Set/I-Zet/I-Set/Isis. Schlangen symbolisierten Weisheit, Unsterblichkeit und Heil und waren weiblich – was noch die späte Paradieslegende deutlich macht. Mit der Patriarchalisierung wurden Schlangen, bzw. die Schlangengöttin verteufelt und zum mythologischen Drachen, hinter dem sich unschwer die Schlangengöttin erkennen lässt. Zum Beispiel im ägyptischen Apophis, dargestellt als riesige Schlange der vermännlichten und verteufelten Göttin Isis. Apophis wird im patriarchalen Ägypten der elitären Priesterschaft Finsternis und Chaos zugeschrieben und wird zum großen Widersacher des patriarchalen Sonnengottes Ra. (s. D. Wolf ›I-Set wird Seth, wird Apophis, wird Typhon/Teufel, wird Satan‹ 2009, S. 266)
Seth die vermännlichte und verteufelte Göttin I-Set (Isis) wurde zum personifizierten Bösen aller patriarchalen Religionen.
Die Satanisierung der Göttin und die Verteufelung der Frau ist das niederträchtigste Werk patriarchaler Priesterschaften.
Die aggressive Usurpation und Perversion weiblicher Symbole im Patriarchat
Das Problem der Wissenschaftler ist bisher, dass die Erforschung der geometrischen Zeichen, Symbole und Mythen der Urzeit in eine für das Patriarchat problematische und abgelehnte Richtung führt, die es möglichst zu verheimlichen und zu vermeiden gilt. Sie zeugen von einer ausgeprägt weiblichen – ›nicht-herr-schaftlichen‹, gewaltfreien – Dominanz und ihrer religiösen und politischen Brisanz.
»Wo der männliche Geist nicht fähig ist, eine rein abstrakte Welt – wie in der Mathematik – zu konstruieren, muss er die natürlichen Symbole benutzen, die dem Unbewussten entspringen. Das aber bringt ihn in einen Widerspruch mit dem natürlichen Charakter der Symbole, die er entstellt und pervertiert. Unnatürliche Symbole und eine Feindseligkeit gegenüber den natürlichen Symbolen – z.B. Eva, die aus Adam entnommen wird – sind charakteristisch für den patriarchalen Geist. Aber auch dieser Versuch der Umdeutung bleibt erfolglos, wie eine Analyse dieses Symbolismus zeigen könnte, denn der matriarchalische Charakter der natürlichen Symbole setzt sich immer wieder durch.« (Erich Neumann ›Die Große Mutter‹ 1988/1974)