Das Matriarchat im türkischen Anatolien
Im Land der Göttin Anat: Die friedliche Urkultur Anatoliens
Von den altbäuerlichen Gesellschaften Anatoliens hören wir durch die Ausgrabungen von James Mellaart in Çatal Hüyük und Haçilar. Von beiden Städten berichten die Forscher von über Jahrtausende hinweg stabilen und kontinuierlich gewachsenen Zivilisationen. Nichts weist darauf hin, dass in den Jahren, in denen Çatal Hüyük bestanden hatte, jemals ein Krieg oder Massaker stattgefunden hat. Unter den Hunderten von Skeletten gab es keine Spuren eines gewaltsamen Todes; auch wurden weder Waffen noch Befestigungen gefunden. Mellaart stellte bei den Ausgrabungen von 100 Häusern nicht weniger als 50 Kultschreine fest, die sich jedoch nicht von den übrigen Wohnräumen unterschieden. Das Religiöse war im Alltag integriert. Es gab offensichtlich keine prunkvollen Heiligtümer zu Ehren ihrer Auftraggeber. Die etwa 150 entdeckten Gemälde zeigen keine Gewaltszenen, sondern bemalte Gipsreliefs von Tieren. Aus Lehm geformte Rinderköpfe mit echten Hörnern weisen auf einen kultischen Aspekt hin.
Dazu gehören die zahlreichen weiblichen Statuetten aus der Zeit um 6500. Mellaart erklärt dazu: »Die Statuen erlauben uns, die Hauptgottheit zu erkennen, die von den neolithischen Menschen von Çatal Hüyük verehrt wurde. Sie war weiblich und wird in ihren drei Aspekten gezeigt, als junge Frau, als gebärende Mutter oder als alte Frau« (zit. Stone 1988, S. 44).
Links: Sitzende Göttin aus Catal Hüyük, 1. Hälfte des 6. Jahrtausends (Museum of Anatolien Civilization, Ankara)
Eines der charakteristischen Merkmale der neolithischen Siedlungen ist die zentrale Rolle der Mutter in der sozialen Struktur und Religion. (Erich Fromm)
Die Mutter-Göttin von Çatal Hüyük ist von Leopardinnen begleitet, mit einem Leopardenfell bekleidet oder symbolisch von Leopardinnen dargestellt. Das Leopardenfell der Göttin ist ein Machtsymbol, dem man auch im späteren Ägypten begegnet – allerdings tragen es hier die Sem-Priester, die es offensichtlich für sich usurpiert haben! (s. auch ›Die nackte Göttin – ihre Diskriminierung und Pornografisierung‹)
Man fand in den jüngeren Schichten Çatal Hüyüks acht Skulpturen, die eine männliche Gottheit symbolisierten. Sie sind »praktisch alle in ihrer Beziehung zur Göttin zu verstehen, teilweise als ihre Söhne, teilweise als ihre Gatten. In einer älteren Schicht wurden ausschließlich Figurinen der Göttin gefunden« (Erich Fromm ›Anatomie der menschlichen Destruktivität‹ 1974, S. 139).
Das unbewaffnete und unbefestigte Çatal Hüyük wurde um 5790 nach rund 1300 Jahren friedlichen Bestehens unter nicht geklärten Umständen verlassen. Damit verschwand eine der großen Zivilisationen vollständig. Mellaart weist darauf hin, dass zwischen dem Ende von Çatal Hüyük und dem Entstehen der Hochkulturen von Sumer und Ägypten weitere zweitausend Jahre vergehen.
Auch Haçilar endet um 5600 in einer Katastrophe. Ab 5400 entsteht hier wieder eine Siedlung, »die gegen 5000, offenbar infolge einer Invasion, gebrandschatzt, zertrümmert und gänzlich aufgegeben wurde« (Alkim 1968,73).
»Informationsunterdrückung liegt in der Dynamik der dominatorischen Gesellschaft.« Riane Eisler
»Dies zeigen zahlreiche Beispiele aus jener Wissenschaft, der wir die Funde und Erkenntnisse großenteils verdanken: der Archäologie. Ein besonders drastischer Fall war die Einstellung der Arbeiten an der neolithischen Fundstätte Haçilar. Obwohl die tiefsten und frühesten Schichten noch nicht erreicht waren, wurde James Mellaart das Weitergraben untersagt, und zwar mit der Begründung, dass ›weitere Arbeiten an dieser Stelle lediglich repetitive Ergebnisse ohne großen wissenschaftlichen Wert erbrächten‹« (Mellaart ›Excavations at Haçilar‹, 1970, zit. von Eisler ›Von der Herrschaft zur Partnerschaft‹ 1987, S. 146).
Wie Riane Eisler richtig vermutet, waren die patriarchalen Wissenschaftler, Politiker, Geldgeber und Kleriker beunruhigt, denn sie ahnten längst, dass die ältesten Schichten ausschließlich weibliche Attribute an den Tag bringen würden, die auf die Verehrung einer Grossen Göttin hinwiesen. Mellaart protestierte und bezeichnete die Entscheidung ›eines der tragischsten Kapitel in der Geschichte der Archäologie‹. Aus dem gleichen Grund wurde offensichtlich auch die Erforschung der Ur- und Frühgeschichte Ägyptens unterbunden und vernachlässigt:
Sowohl die muslimischen Ägypter, als auch die christlichen Ägyptologen befürchteten, was sie unter keinen Umständen wahr haben wollen: je tiefer wir in die urgeschichtliche Zeit zurückgehen, desto eindeutiger ist die alleinige Verehrung einer Göttin. Die urgeschichtlichen Kulturen kannten keine männlichen Götter.
Seitdem hat sich in der türkischen Archäologie einiges geändert. Es mag erstaunen, dass 1994 die Göttinnen und Frauen Anatoliens mit einer großartigen Ausstellung im Topkapi Serail Museum in Istanbul unter dem Titel ›9000 Jahre der Anatolischen Frau‹ geehrt wurde. »Wir sind ein Muttervolk«, sagte der Chef-Archäologe der Türkei in einem persönlichen Gespräch nicht ohne Stolz! Und ein alter Türke lachte, ›ohne Frauen wären die Männer nichts. Sie machen die Männer glücklich‹.
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