Höhlen – die frühesten Heiligtümer

Aus dem Inhalt:

  • Das Höhlenheiligtum von Lascaux
  • Höhlen – die älte­sten Heiligtümer der Göttin
  • Die früheste Kunst wurde zu Ehren der Göttin geschaffen
  • Hand- und Fußabdrücke der Künstlerinnen
  • Initiation der Mädchen im sakralen Raum der Göttin
  • Ein urgeschichtliches Höhlenheiligtum der Göttin im ›Tal der Königinnen‹
  • Die Göttinnen Groß-Skulptur am Eingang der heiligen Grotte
  • Die Rückkehr der Herrscher in den göttlichen Mutterschoß

»Die Höhlen und Spalten der Erde sind natürliche Manifestationen des ursprünglichen Schoßes der Mutter Erde. Diese Idee geht bis ins Paläolithikum zurück, als schmale Gänge, oval-geformte Areale, Klüfte und Spalten von Höhlen rot markiert oder bemalt wurden. Diese rote Farbe muss die Farbe des Regenerationsorgans der Frau symbolisiert haben.« (Marija Gimbutas)

Das Höhlenheiligtum von Lascaux

Der bekannte französische Paläoanthropologe und Ethnologe, der Urgeschichts- und Höhlenforscher André Leroi-Gourhan wies darauf hin, dass die Höhle von Lascaux einen ›symbolisch weiblichen Charakter‹ hat. Die Anthropologin und Höhlen­for­scherin Doris F. Jonas stellte fest, dass »unser Wissen um die Präze­denz der Muttergöttin in chronologi­scher wie rangmäßiger Bedeu­tung vor den späteren und am Ende siegrei­chen männlichen Göt­tern, eine Bestätigung der Deutung von (paläolithischen) Höhlenmalereien als dem Wesen nach symbolische Darstellungen des urweiblichen Prinzips seien und nicht ›Jagdmagie‹, wie früher allzu bereitwillig geglaubt wurde« (Jonas et al. ›Weib und Macht‹ 1980). Gertrude Rachel Levy lässt keinen Zweifel daran, dass die Höhlen den Mutterleib darstellen (›The Gate of Horn‹ 1948).
Im Gegensatz zu den vielen Fotos anderer Fotografen sind die ausgeprägt sexuellen weiblichen Formen auf den Bildern des Schweizer Fotografen Hans Hinz unübersehbar und von großartiger Ästhetik und Schönheit (s. unten). Leroi-Gourhans Interpretation standen die andern, ausschließlich männlichen Forscher, die mit ihm zusammen als erste die Höhle untersuchten und interpretierten, äußerst ablehnend gegenüber. Zu den Meinungsmachern gehörte Abbé Henri Breuil (1877–1961), der ›Papst‹ der Urgeschichtsforschung, »von dessen ›moralischen‹ Interpretationen religiöser Praktiken die Erforschung des Paläolithikum im 19. und 20. Jahrhundert stark beeinflusst war.« (Riane Eisler ›Von der Herrschaft zur Partnerschaft‹ 1989, S. 36) Dem zölibatär lebenden Mann können die Ablehnung und damit die Verkennung dieser Tatsache nachgesehen werden. Er beschäftigte sich wenig mit der natürlichen Felsformation, der gegebenen ›Innenarchitektur‹ und der Symbolik der Raumgestaltung, die ihn möglicherweise sogar irritierte. So schenkten die ersten Forscher den Höhlenausformungen kaum Beachtung. Die wunderbaren Wandmalereien – nach Leroi-Gourhan sind es 1006 Bilder – boten genügend Faszination und Ablenkung von den eindeutig weiblichen Formen, für welche die Männer blind waren. Abbé Breuil akzeptierte die Hypothese des Grafen H. Bégouën, der, wie der damalige Adel, ein begeisterter Jäger gewesen sein dürfte, dass es sich bei den Bildern um ›Jagdmagie‹ handle und er entwickelte ein umfassendes religiöses Vokabular für den Kult dieses ›Jagdzaubers‹ und die Kultstätte, die er ›Heiligtum‹, ›Kathedrale‹ und ›Sixtinische Kapelle‹ nannte. Es ist verständlich, dass es dem Gott-Gläubigen Breuil, mit seinem patriarchal religiösen Hintergrund, leichter fiel, an ›Jagd-Zauber und Magie‹ zu glauben, als davon auszugehen, dass die Menschen der Eiszeit bereits ein religiöses System, eine frühe weibliche Religion hatten, in deren Mittelpunkt eine Göttin und nicht ein Gott stand.
Die Jagdzauber-Hypothese wurde während Jahrzehnten, neben andern Interpretationen, – es handle sich um ›L’Art-pour-l’Art‹, ›Schamanismus‹, ›Sympathiezauber‹, ›Totemismus‹ oder ›Fruchtbarkeitszauber‹ – akzeptiert und verbreitete sich Seite an Seite mit der Theorie vom ›Großen Jäger‹, z.B. in jüngster Zeit noch durch den Ausgräber von Göbekli Tepe, Klaus Schmidt und sein Credo, die Altsteinzeit sei eine »Zeit der eiszeitlichen, jägerischen Kulturen ca. 2′000′000 – 10′000 v. Chr.« (›Sie bauten die ersten Tempel – Das rätselhafte Heiligtum der Steinzeitjäger‹ 2006, S. 271). Allerdings bedingt diese Theorie, dass der Beitrag der Sammlerinnen und die weibliche Symbolik in der paläolithischen Kunst völlig ignoriert und missdeutet wird.
Die damals von der patriarchalen Lehrmeinung bevorzugte Interpretation vom ›Jagdzauber‹ wurde über Jahrzehnte beibehalten und geistert noch immer als Mär von den Jägern, welche die Steinzeit dominiert haben sollen, durch die geistige Landschaft der Urgeschichtsforscher und Archäologen und beeinflusst die Auffassung einer männlich-patriarchalen Vergangenheit bis heute.
Die Theorie, die Bilder der Höhlen seien Zeugnisse jagdmagischer Vorstellungen und Praktiken und stellten Tiere dar, die man in Zukunft zu erlegen hoffte, sei mit der Darstellungsart dieser Bilder schlechthin unvereinbar; »hier von einem Beweis für eine Bildmagie zu sprechen ist ganz und gar unbegründet«, schreibt der Urgeschichtsforscher Hermann Müller-Karpe (›Geschichte der Steinzeit‹ 1976, S. 266). Der Paläolinguist Richard Fester machte sich über ›Jagdmagie‹ und ›Jagdzauber‹ der Wissenschaftler lustig und nannte es »einen faulen Zauber«.
Einige Fehlinterpretationen haben überlebt. So kann man feststellen, dass viele der Tiere im Hauptsaal von Lascaux trächtig sind. Weil trächtige Tiere üblicherweise nicht gejagt werden, um ihren Bestand nicht zu gefährden, weichen die Forscher aus und bezeichnen die trächtigen Tiere ›mit dickem Bauch‹, ›mit Hängebauch‹, ›prallen Körpern‹ oder ›leicht angeschwollenen Bäuchen‹. Außer dieser Auffälligkeit, welche auf die Prävalenz weiblicher Tiere hinweist, wurden sie mehrheitlich geschlechtslos – z.B. ohne Euter oder männliche Geschlechtsteile – dargestellt; trotzdem wurde der eindrucksvollste Bereich der Höhle mit den schwangeren Muttertieren ›Saal der Stiere‹ genannt und die Bezeichnung bis heute beibehalten. Der Saal dürfte das Symbol für den schwangeren Uterus der Göttin sein, denn in den Höhlen wurde das Mysterium von Schwangerschaft, Geburt, Tod und Wiedergeburt zelebriert.
Heute gilt die Jagdtheorie bei den meisten UrgeschichtlerInnen als überholt. Am ehesten und stichhaltigsten ist die Hypothese, »dass die Höhlen mit ihren Bildern den Mythos der Regeneration darstellen; dann ist das pulsierende Leben der Tiere der zutreffende Ausdruck für die Wiedergeburt der Tiere«, schreibt Siegfried Vierzig (›Mythen der Steinzeit – Das religiöse Weltbild der frühen Menschen‹ 2009, S. 60); doch eine Wiedergeburt war nicht (nur) für Tiere, sondern für die Menschen – aus der Frau und Mutter – vorgesehen.

Lascaux: Die Eingangs-Passage

Nach einem ursprünglich engen ›vaginalen‹ Einstieg in die Unterwelt führt der Weg zwischen den weiblichen Schenkeln in den Mutterschoß der Großen Göttin. (Foto Hans Hinz)

Die Höhle hatte nach Ansicht des Forschers André Leroi-Gourhan insgesamt »symbolischen weiblichen Charakter«. Das macht deutlich, »mit welcher Sorgfalt die Verengungen, die ovalen Gänge, die Spalten und Grotten mit roter Farbe markiert und manchmal völlig ausgemalt worden sind«.

Lascaux: Die Vulva-Passage

Die Vulva-Passage mit der deutlichen Klitoris führt durch die Öffnung der Vagina ins Innere des Göttinnen-Heiligtums (Foto Hans Hinz)

Höhlen – die älte­sten Heiligtümer der Göttin

»Seit der Zeit der Peking-Menschen vor etwa fünfhunderttausend Jahren haben Höhlen dem Menschen als Schoß und Grab der Kultur gedient. Höhlen und Grotten in allen Weltteilen galten als geheiligte Stätten für Zeremonien und Totenfeiern.« (Lewis Mumford)

Die Forscherin Barbara Walker berichtet, dass der griechische Philosoph Porphyrios (234–305) noch wusste, dass alle religiösen Riten, bevor es Tempel gab, in Höhlen stattfanden. Sie waren zu allen Zeiten eng ver­bunden mit dem Archetyp der Großen Mutter und weltweit mit dem Leib der Erdgöttin identifiziert, dem sym­boli­schen Ort für Geburt und Wiedergeburt, der Quelle des Lebens und primärer Urquell jedes schöpferi­schen Pro­zesses. Als Einstieg zur Unterwelt wurden die Höhlen immer mit dem yonischen Tor der Großen Mutter in Verbindung gebracht.
Schon die Eingänge zu den Höhlen sind symbolhaft, haben eine Dreiecksform, oft eine deutliche Vulva, eine enge Spalte oder ein aus dem Fels gemeißeltes rundes Loch. »Die Engstelle vor dem eigentlichen Inneren der Höhle sieht einem Muttermund, wie ich ihn aus anatomischen Büchern kenne, so ähnlich, dass sich der Vergleich förmlich aufdrängt«, schreibt Gerda Weiler nach ihrem Besuch der Höhle von Niaux (›Der aufrechte Gang der Menschenfrau – Eine feministische Anthropologie 1994, S. 25). »Neben der Höhle, dem Gefäß-Leib, ist das Tor als Eingang und Schoß eines der ursprünglichsten Symbole der Großen Mutter« (Erich Neumann ›Die Große Mutter‹ 1974, S. 155).
In Lascaux ist es ein 6 Meter tiefer Schacht, der die vaginale Öffnung in den weiblichen Körper symbolisiert. Danach öffnen sich die ›Schenkel‹ der ersten Passage und die ›Vulva‹ des nächsten Durchgangs lädt zum Betreten des heiligen Schoßes, den Ort der Wiedergeburt ein. »Überall, wo wir dem Symbol der Wiedergeburt begegnen, handelt es sich um ein matriarchales Wandlungsmysterium, und zwar auch dann, wenn seine Symbolik oder Interpretation patriarchal getarnt ist« (Neumann ibd. 1974, S. 68).
Das Sans­krit­wort für Heiligtum ›gharbha-grha‹ ist identisch mit dem Wort für ›Schoß‹. Das sumerische Wort für Heilige Höhle, Grab, Un­ter­welt und Schoß war ›matu‹, gebildet aus der glei­chen Wur­zel wie ›Mutter‹. Höhle, Sargraum, Sarg und Grab haben alle die gleiche Bedeutung: ›Mutterschoß der Großen Göttin‹. Höhlen und Grotten waren zu allen Zeiten eng ver­bunden mit der Großen Mutter und weltweit mit dem Leib der Göttin identifiziert. Sie waren der sym­boli­sche Ort für Geburt und Wiedergeburt, der Quelle des Lebens und primärer Urquell jedes schöpferi­schen Pro­zesses. (Barbara G. Walker ›Das geheime Wissen der Frauen‹ 1993, S. 403-406 passim)
Schon Erich Neumann schrieb: »Der früheste heilige Bezirk der Urzeit ist wahrscheinlich der, in dem die Frauen geboren haben. Er ist der Ort, an dem die ›Große weibliche Göttin‹ herrscht und von dem – wie noch in den späten weiblichen Mysterien – alles Männliche ausgeschlossen ist. Nicht nur, dass überall – bis in die Moderne hinein, von den Ur- und Frühkulturen ganz zu schweigen – der Geburtsort ein Sakralort des weiblichen Lebens war, es ist auch evident, dass er im Mittelpunkt aller Kulte stehen muss, die der großen weiblichen Göttin als Herrin der Geburt, der Fruchtbarkeit ­und des Todes geweiht sind… wobei die Symbolik der Wiedergeburt stets auf die Geburt zurückgreift.« (Neumann ibd. 1974, S. 157)

»Höhle und Mutterleib sind Orte der Geborgenheit und gelten als Sinnbild der kosmischen Dimension der Göttin und ihrer umfassenden Kraft.« (Gerda Weiler)

Höhlen waren den – vom Patriarchat als gottlos und ungläubig diskriminierten ›heidnischen‹ – Völkern heilig und Sinnbild der Göttin, bis sie im Laufe der zunehmend aggressiven Patriarchalisierung durch Mythen und Legenden vereinnahmt, diskriminiert, vermännlicht oder zu Wohnstätten böser Geister, Dämonen oder gefährlicher Drachen wurden. In der Antike hatten »die griechischen Göttinnen Demeter, Persephone-Kore, Gaia, Chtonia und Hekate ihren Sitz in Höhlen und Klüften… Und noch lange waren Höhlen, Klüfte und Felsspalten dem antiken Menschen heilig, wie die Drachenschlucht im heiligen Bezirk von Delphi, der Erdspalte der Pythia oder die sibyllinischen Grotten, in denen vor allem Todesorakel gesprochen wurden und die als Eingänge in die Unterwelt galten« (Gisela Graichen ›Das Kultplatzbuch. Ein Führer zu den alten Opferplätzen, Heiligtümern und Kultstätten in Deutschland‹ 1988, S. 64). Das gleiche gilt sogar noch für die frühchristliche Epoche, als die meisten heidnischen Mysterienkulte ihre heiligsten Riten in Höhlen oder unterirdischen Räumen feierten. »Trotz aller Anstrengungen der Kirche, sie zu unterdrücken, wurden die alten Gottheiten auch weiterhin in heiligen Höhlen noch viele Jahrhunderte verehrt« (Walker ibd. 1993, S. 403).
Leroi-Gourhan, der wichtige Beiträge zu den Kunststilen des Jungpaläolithikums leistete, wagte – trotz der Abwehr seiner christlich geprägten Fachkollegen – die These, dass den Höhlenzeichnungen ein religiöses Konzept zugrunde liege, und dass in den Bildern eine sexuelle Komponente gesehen werden könne. »Er beachtet die Vielzahl weiblicher Symbole, die in keiner Höhle fehlen. Er sieht in den Höhlen die natürlichen Formen von Vulva und Uterus gestaltet. Doch äußert er sich eher vage, legt sich nicht fest und argumentiert am eigentlichen Problem vorbei« (Gerda Weiler ›Der aufrechte Gang der Menschenfrau‹ 1994, S. 159). Trotz seiner Vorsicht stieß seine Meinung bei Abbé Breuil auf heftigen Widerstand. Die These wurde von ihm als ›plump sexuelle Deutung‹ missverstanden und brachte Leroi-Gourhan von Seiten Breuils’ den Vorwurf einer ›sexuellen Obsession‹ ein. Vom katholischen Theologen Breuil ist jedoch bekannt, dass er Vorbehalte gegenüber dieser Interpretation und »im allgemeinen eine gewisse Voreingenommenheit gegenüber weiblicher Präsenz« hatte (Helmut Uhlig ›Am Anfang war Gott eine Göttin – Eine Weltreligion des Weiblichen‹ 1995, S. 53).
Wie wir dem Disput zwischen Abbé Breuil und André Leroi-Gourhan entnehmen können und bei patriarchalen Wissenschaftlern wiederholt feststellen, übten klerikale Männer und patriarchale Professoren jener Lehren, die sich mit der Urgeschichte befassen, bei der Erforschung der Urgeschichte gerne ihre moralisierende Zensur aus und schüchterten damit ihre KollegInnen ein. Auf diese Weise beeinflussten sie deren Interpretationen ganz gewaltig im patriarchalen Sinne; dies ist die Regel, nicht die Ausnahme.
Wir wissen heute, dass viele der Höhlen in Europa während Tausenden von Jahren genutzt wurden. Nicht nur in den Gegenden, wo die ältesten Höhlen Europas gefunden wurden – in Südfrankreich und Nordspanien – überall in der steinzeitlichen Welt wurde in Höhlen der Kult der Göttin gefeiert.

Die früheste Kunst wurde zu Ehren der Göttin geschaffen

»Wahrscheinlich war die Zeit, in der Kunst entstand, zugleich die Zeit der Entfaltung, vielleicht auch schon der Formulierung von Religion. Damit stünden Religion und Kunst als Begleiterscheinungen an der Wiege des menschlichen Bewusstseins. Religion war in dieser ersten Stunde vor allem Reaktion auf das Erlebnis von Geburt und Tod.« (Helmut Uhlig ›Die Mutter Europas – Ursprünge abendländischer Kultur in Alt-Anatolien‹ 1991, S. 17) Der religiöse Hintergrund war die Frau als Gebärerin.
Unzweifelhaft gehört(e) der künstlerische Ausdruck zu den Grundbedürfnissen der menschlichen Zivilisation und Kultur und dieses Bedürfnis musste schon viele Jahrtausende in der Kunst zur Ehre der Göttin eingesetzt worden sein, als sie nach Jahrtausenden der Menschwerdung mit einem Schlag in den prachtvollen Höhlen in Südfrankreich und Nordspanien für uns sichtbar wird. Die KünstlerInnen der Epoche der Eiszeit waren keine AnfängerInnen. Sie beherrschten bereits die Perspektive und das künstlerische Auge war außerordentlich geübt und entwickelt. Ganz offensichtlich wurden bei der Bemalung der Höhlen jene Stellen bevorzugt ausgewählt, bei welchen eine weibliche Symbolik nicht zu übersehen ist. Immer spielte die Wahl der natürlichen Steinsformationen eine wichtige Rolle: Felsreliefs, Felsüberhänge, Vorsprünge, Gänge und Spalten wurden genutzt und meisterhaft in die oft dreidimensional und perspektivisch wirkende Gestaltung mit einbezogen.
»Der Großteil der Höhlen des Jungpaläolithikums hat eine bestimmte Form, der Zugang erfolgt durch einen engen, schlauchförmigen Gang und häufig öffnet sich die Höhle dann zu einem Raum, der bemalt ist mit Tieren und geometrischen Formen. Verengungen, Spalten, Ovale und Grotten sind oftmals mit rotem Ocker markiert. Da verschiedene Formen vorgefunden wurden, die eine Vulvagestalt aufweisen und mit rotem Ocker markiert sind, geht man davon aus, dass die Höhlen generell mit einer Vulva oder dem Eingang in die Gebärmutter assoziiert wurden. Aus der Altsteinzeit sind zudem einige Darstellungen von Frauen in den Höhlen erhalten, im Jungpaläolithikum häufen sich diese Darstellungen, gleichzeitig gibt es eine große Anzahl von stilisierten (oft gravierten) Vulvendarstellungen. Darüber hinausgehend waren viele Frauenfigurinen ursprünglich mit rotem Ocker eingefärbt. Da roter Ocker auch später noch kultisch verwendet wurde, kann man annehmen, dass dies auch im Jungpaläolithikum schon eine Rolle spielte. Möglicherweise handelt es sich hier um eine Symbolik, die späteren vielfältig vorkommenden Initiationsriten verwandt ist, in denen eine Neugeburt durch eine Rückkehr in den Uterus stattfindet. Die Darstellung von Tieren in den Höhlen könnte in diesem Zusammenhang darauf hindeuten, dass auch die Tiere, die in der Natur zyklisch verschwinden und wiederkehren in die Höhle eingehen, um dort neugeboren zu werden. (Wikipedia »Religion im Paläolithikum«, J. Leopold, A. Vierzig, S. Vierzig: »Kult und Religion in der Steinzeit. Feier des Lebens. Gravierte Höhlen im Pariser Becken« 2001, S. 32–35, 40)

Neueste Forschungen zeigen: Die frühesten Künstler waren Frauen

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»Ich schätze, es würde dir nicht im Traum einfallen, dass auch eine Höhlenfrau das gezeichnet haben könnte!«

Louis-René Nougier, erster Lehrstuhlinhaber für Frühgeschichte in Frankreich, stellte anhand der Fußspuren in den künstlerisch gestalteten Höhlen von Südfrankreich fest, dass diese auf Menschen mit einer Körpergröße zwischen 1,40 und 1,60 Meter hinweisen. 1929 vermutete er noch, es könnte sich dabei um die Fußabdrücke von Jugendlichen handeln, die hier einem Initiationsritus unterzogen wurden! Jedoch widersprach ihm Abbé A. Lemozi (›La Grotte-temple du Pech-Merle‹, Paris 1929, Anm. 41): Die Fußspur »muss einer Frau gehören, darauf weist die Feinheit der Fersenform hin«. Der Abbé denkt an eine »Künstlerin oder Priesterin, die für eine Zeremonie hierher gekommen ist«. Doch Nougier wehrt ab, »warum eine ›Priesterin‹, gute Götter?« Professor Henri-V. Vallois bestätigt jedoch, dass es sich um Fußspuren einer ca. 1,63 Meter großen Frau handelt. Leroi-Gourhan bekräftigte diese Vermutung und auch, dass »die meist kleinen Hände von Frauen stammen dürften. Daher hätten sie als ›weibliche Symbole‹ zu gelten… Sie könnten das Signum der Künstlerin sein, welche die Bildwerke geschaffen hat. Sie hat ihr Werk ›unterschrieben‹, sie benutzt den Abdruck ihrer Hand, wie schriftlose Menschen ein Dokument durch Fingerabdruck signieren.« (Weiler ibd. 1994, S. 159)
1974 hatte Nougier seine Meinung offensichtlich geändert und vertritt nun ebenfalls die Meinung, dass die Vermutung, die Eiszeithöhlen seien häufig von Kindern und Frauen aufgesucht worden, dadurch größere Plausibilität erhält, dass die Handabdrücke von Gargas und Cabrerets von Frauen, aber auch von Kindern stammen, sie seien ›sans doute féminin‹ (s. Hans Peter Duerr ›Sedna oder die Liebe zum Leben‹ 1984, S. 56).

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Hand- und Fußabdrücke der Künstlerinnen

Forscher wollen in neuen Studien herausgefunden haben, dass die meisten Handabdrücke an den Höhlenwänden von weiblichen Händen stammen. Die Resultate sind eine Herausforderung für das archäologische Dogma, das davon ausgeht, Jäger hätten in den Höhlen ihre Jagdbeute gefeiert.
Nun sollen neue Studien gezeigt haben, dass es vorwiegend weibliche Hände waren, die die Höhlenkunst schufen. Lange glaubte man, dass Jäger hier ihre Kunstfertigkeiten zeigten, doch diese Ansicht muss korrigiert werden. (http://www.dailymail.co.uk/sciencetech/article-2451442/Earliest-artists-women-claim-researchers-study-cave-paintings-reveal-majority-prints-female-hands.html)

Initiation der Mädchen im sakralen Raum der Göttin

Mit Sicherheit waren Höhlen sakrale Kulträume und es ist anzunehmen, dass hier auch ein Initiationsritual der ersten Monatsblutung junger Mädchen und ihre Aufnahme in die Gruppe der erwachsenen, gebärfähigen Lebensschöpferinnen gefeiert wurde.
Mit der Entstehung des Patriarchats usurpierten Männer das Ritual. Sie beneideten die Schöpferinnenkraft der Frau, um derentwillen sie verehrt – ja, ihre Urmutter sogar vergöttlicht wurde. Als Männer gewahr wurden, dass die weibliche Blutung mit der Entstehung neuen Lebens in Beziehung steht, beschnitt der erste Patriarch, Abraham, sein Sexualorgan, um wenigstens einmal an seinem Genital zu bluten wie eine Frau. Die Beschneidung der Knaben, am 8. Tag bei den Juden und etwa im 8. Jahr bei den Muslimen, wurde zum Gebot Gottes, um sie so früh wie möglich rituell aus dem Bann der Mütter in die patriarchale Welt der Männer einzuführen. (s. Wolf ›Die Beschneidung von Knaben‹)

Die urgeschichtliche Grotte im ›Tal der Königinnen‹

Ägypten: Die weithin sichtbare Felsgrotte im Tal der Königinnen war während Jahrtausenden
vor den Pharaonen ein Uterus-Heiligtum der Großen Göttin (s. D. Wolf, 2009 S. 74
)

ÄgyptologInnen und ArchäologInnen hielten sich merkwürdig zurück, als die prominente Archäologin Christiane Desroches Noblecourt 1990 das Ergebnis ihrer vier Jahre dauernden Erforschung der Felsgrotte am Ende des Tales veröffentlichte, denn was die französische Ägyptologin hier entdeckt hatte, war eigentlich eine ›Sensation‹; ein Ausdruck, der in der Archäologie für jede Bagatelle verwendet wird; aber erstaunlicherweise nicht bei dieser Veröffentlichung! Desroches Noblecourt kam nämlich zum Schluss: Dieses ›kosmische Sanktuar‹ diente religiösen Zwecken. Die prähi­storischen Felszeich­nun­gen lassen erkennen, dass es
schon Tausende Jahre vor der Eroberung Ägyptens als Ute­rus-Heilig­tum benutzt wurde und von außerordentli­cher religiöser Wichtigkeit gewe­sen sein muss. (Christiane Desroches Noblecourt, ›Le Message de la Grotte sacrée‹, ›Les Dossiers d‘Archéologie‹, Nr. 149–150 / Mai–Juin 1990, S. 4–17; und D. Wolf 2009, S. 74–76). Das Heiligtum liegt im ›Tal des Großen Wasserfalles‹, was sowohl auf das einst tropische Klima mit kräftigen Regengüssen, als auch symbolisch auf das Platzen der Fruchtblase, die Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Geburt, hinweist.
Die Archäologin nannte die Grotte die ›Felskathedrale‹ einer Göttin, bei der es sich um die symbolische Darstellung des giganti­schen Ute­rus der göttli­chen Himmelskuh han­dle und sie stellte fest, dass die große Felsspalte die Vulva der Göttin repräsentiere, durch die sie jeden Morgen zur Zeit des Sonnenaufgangs die Menschen geboren hat.
Die heilige weibliche Spalte wird durch die Göttin Nut repräsentiert; sie symbolisiert das natürliche Tor ins Leben und ist ein Teilaspekt der Ur- und Schöpfergöttin Neith, der ›Weisen alten Urgöttin‹. Zur gleichen Zeit wie die Göttin Nut im Tal der Königinnen verehrt wurde, schmückte sie die Deckengewölbe der Höhlengräber im ›Tal der Könige‹ und die Innenseite der Sarkophage, wo sie die Toten liebevoll aufnahm.
Das Heiligtum liegt am Fuße des Pyramidenberges el-Qurn. Pyramiden und pyramidenförmige Berge sind weltweit Sitz der Göttin und Symbol ihres schwangeren Leibes. El-Qurn, ›das Horn‹, heißt der Berg der Schlangengöttin Meret-Seger (auch Meresger), einer Form der Göttin Isis. Die Bezeichnung el-Qurn weist auf die wunderbare Gebärmacht der Göttin hin, die aus dem sakralen Füllhorn ihres schwangeren Leibes die Menschen in ständigem Kreislauf gebiert und wieder gebiert.
Hier wurde im ›Tal der Königinnen‹ ein Höhlenheiligtum – von dem wir nicht wissen, aus welcher Zeit die Anfänge seiner Benutzung stammen – entdeckt. In beinahe 100 Gräbern wurden in diesem kleinen Tal Angehörige des königlichen Hofes, vor allem Frauen und Kinder des Neuen Reiches (den ca. 500 Jahren zwischen 1550 und 1070) bestattet. Das berühmteste Grab ist das der Königin Nefert-Ari; der ›Schönen Arierin‹, der Großen Königlichen Gemahlin Ramses des II. (19. Dynastie).
Erstaunlicherweise fand die Entdeckung kaum Beachtung, die ›Ägyptomanie‹ der ArchäologInnen und ÄgyptologInnen interessiert sich ausschließlich für die Hinterlassenschaften der Oberschicht. Unbeachtet blieb auch eine andere ›Sensation‹:

Die Göttinnen–Groß-Skulptur am Eingang der heiligen Grotte

Christiane Desroches-Noblecourt entdeckte das Höhlenheiligtum im ›Tal der Königinnen‹, bemerkte aber die riesige, ca. 10–12 Meter große, weibliche Figur am Eingang nicht. Ihre Aufmerksamkeit galt der Grotte in der zerklüfteten Bergspalte des sakralen Pyramiden-Berges el-Qurn. (s. D. Wolf 2009, S. 75 f.)
Das heute stark verwitterte Gestein war vor 3000 Jahren wohl noch in einem besseren Zustand, so dass die Figur der Göttinnenskulptur schon aus weiter Entfernung zu erkennen war. Dass Königin Nefertari die Nähe der Grotte für ihr Grab ausgewählt hatte, bestätigt die außerordentliche Wichtigkeit des Heiligtums, denn immer wurde der Wahl des Begräbnisplatzes größte Sorgfalt zuteil. Hier wollte die Königin begraben werden, in der Nähe der von ihr verehrten Göttin; dieser Ort schien ihr offenbar bedeutungsvoller zu sein als ein Platz im Tal der Könige, wo auch etliche Königinnen begraben wurden. Man kann davon ausgehen, dass es sich hier um einen Pilgerort von besonderer Bedeutung gehandelt haben muss, zu dem die Menschen aus der weiten Umgebung strömten, so wie heute Millionen von Menschen zu den unzähligen Wallfahrtsorten der Göttin in aller Welt pilgern, etwa zur Muttergöttin von Lourdes und Fatima; zum Marienheiligtum von Guadalupe in Mexico; zur ursprünglichen Göttin, die in Mekka verehrt wurde, an die noch immer eine meterhohe silberne Vulva an der Kaaba erinnert (s. ›Das Matriarchat in Arabien‹); zur schwarzen Göttin von Einsiedeln in der Schweiz; zum patriarchalisierten Pilgerort der Göttin Brigid im nordspanischen Compostela, der von den Christen usurpiert und einem San-Tiago (deutsch: heiliger Jakob) unterschoben wurde. Ihr Symbol war die Muschel, das Synonym der Vulva, die zur ›Jakobsmuschel‹ gewandelt wurde, derer sich übrigens auch Papst Benedikt in seinem Wappen bediente. (s. ›Auf dem Pilgerweg nach Compostela‹)

Links: Groß-Skulptur der Göttin am Eingang des Uterus-Heiligtums im Tal der Königinnen (Foto D. Wolf) Rechts: Die Göttin von Laussel, die Dame mit dem Horn, ca. 25’000 Jahre alt, 50 cm groß, Kalkstein, rot bemalt. (Dordogne, Wikimedia commons: pho›‹tographie de l’original conservé au Musée d’Aquitaine à Bordeaux)

Die Skulptur im Tal der Königinnen war während Tausenden von Jahren der Witterung ausgesetzt und deshalb stark erodiert. Ob­wohl der Kalk­felsen durch Hitze und Regen hoffnungslos brüchig ist, kann man bei der verwitterten Figur den Kopf, den rechten Arm, den Ansatz der Oberschenkel und das betonte Schoßdreieck noch gut erken­nen. Möglicherweise hatte die Figur – wie jene von Laussel – ein Horn in der rechten Hand, das zwar nur noch andeutungsweise vorhanden ist. Das Horn der Göttin von Laussel ist ein Symbol der Mondgöttin, ein Füllhorn, das mit 13 Einkerbungen versehen ist. Die Zahl symbolisiert die jährliche Anzahl der Mondphasen und der weiblichen Menstruations-Zyklen, was bestärkt wird durch die symbolhafte Bemalung mit rotem Ocker (oder Blut?). Das ›Füllhorn‹ dürfte das Lebensblut der Göttin enthalten; möglicherweise wurden in der vor-keramischen Zeit Bukranien-Hörner von den Frauen zum Auffangen des Menstruationsblutes benutzt, so wie Keramiktöpfchen später verwendet wurden (s. Wolf  ›Symbole schreiben Urgeschichte – Das Isisblut Da-t – Symbol für das heilige Menstruationsblut).
Die linke Hand der Göttin von Laussel liegt als Geste ihrer Schöpferinnenkraft auf dem Bauch oder der ›Gebär-Mutter‹. Die Skulptur und die in den noch früheren Schichten entdeckten Steine mit eingeritzten Vulven können als »Kennzeichen für die Kontinuität der weiblichen Präsenz über Jahrtausende [gelten], wodurch Laussel als uraltes Mutterheiligtum erkennbar wird.« (Helmut Uhlig ›Am Anfang war Gott eine Göttin‹ 1992, S. 51) Die hier aus dem Fels ge­meißelte Groß-Skulptur scheint – wie die Göttin von Laussel – über dem Boden zu schweben und ebenfalls wie in Laussel wurde eine natürliche figurale Gesteinsformation genutzt und zusätzlich von Hand ausgestaltet. Die Große Mutter ist nicht die simple Vorstellung einer primitiven Religion, sondern eine Idee innerhalb einer komplexen Mythologie, die das Männliche als das begrenzte und vergängliche Prinzip begreift, das weibliche dagegen als das unbegrenzte, ewige und umfassende (William I. Thompson, irischer Philosoph und Kulturhistoriker). Natürlich wäre es interessant, zu wissen, wie Ägypten aussah, als die Göttin von Laussel in Europa verehrt wurde. Warum sollte dieses Höhlenheiligtum im Tal der Königinnen, das wie Desroches Noblecourt herausfand, schon viele Jahrtausende vor dem dynastischen Ägypten benutzt wurde, nicht genau so alt sein wie jenes in Südfrankreich? Warum interessiert sich dafür niemand? Heide Streiter-Buscher stellte lakonisch fest:
›Die ägyptische Vorgeschichtsforschung war und ist nicht populär‹ (Rudolf Pörtner Hrsg. ›Jahrtausende zwischen Strom und Wüste – Alte Kulturen ans Licht gebracht‹, 1989, S. 148) Der britische Prähistoriker und Ausgräber von Çatal Hüyük (Türkei), James Mellaart, sagt es deutlich: »Urgeschichtsforschung ist die größte Heraus­forde­rung für die ägyptische Archäologie der Zukunft.«
Mellaart betont zu recht, es sei »schwer zu glauben, dass das fruchtbare Niltal keine Rolle in der Zeit zwischen 9500 und 4500 ge­spielt haben sollte, in einer Zeit also, die so viele si­gni­fikante Entwicklungen bei den östlichen und west­lichen Nach­barn zeigte.« (Mellaart ›The Neolithic of the Near East‹ 1975, S. 271). Damals wusste man noch nichts vom vor-dynastischen Uterus-Heiligtum; jedoch wird Mellaarts scharfsinnige Überzeugung durch die Arbeit von Christiane Desroches Noblecourt vortrefflich bestätigt.

Die Rückkehr der Herrscher in den göttlichen Mutterschoß

El Qurn Drower

El-Qurn – der kosmische Pyramidenberg der Göttin
(nach Margaret S. Drower ›Flinders Petrie – A life in Archaeology 1985, Abb. 20, die Fotografie stammt aus dem Jahr 1886. s. auch D. Wolf 2009, S. 77 f.)

Die Königinnen und Könige im ›Tal der Könige‹ wollten im Schutz der mächtigen Bergpyramide der Göttin begraben sein. Das zerklüftete Gebirge im Westen von Theben (Luxor) war offensichtlich der bevorzugte, ›ideale‹ Ort für die Grabanlagen der Herrscher des Neuen Reiches. Die WissenschaftlerInnen wollen uns glauben machen, die Könige von der 18. bis zur 20. Dynastie (ca. 1500–1000) hätten ihre Gräber so tief in den Berg graben lassen, um sie vor Grabräubern zu schützen und die Eingänge seien so gewählt worden, weil man die Spalten als praktische Eingänge nutzen konnte. Doch das hatte andere Gründe, das tiefe Innere des Berges wurde offensichtlich als Mutterschoss, als Uterus der Göttin betrachtet. Bestätigt wird diese These dadurch, dass der Eingang zu den Gräbern vorzugsweise unter einer markanten Vulva-Fels-Spalte an der Berg-Flanke des kosmischen Pyramidenberges el-Qurn angelegt wurde. Der Berg symbolisierte den so genannten ›Urhügel‹, aus dem die Toten durch die Vulva der Göttin, bzw. der Mütter wiedergeboren wurden. Nicht zufällig hat Berg den gleichen Wortstamm wie bergen, gebären und geborgen sein.

Vulva-Felsspalten, wie sie als Eingang zu den Gräbern genutzt wurden. Rechts: Der Eingang zum Grab der Königin Hatschepsut im ›Tal der Könige‹ (Fotos Doris Wolf)

Durch die ›Nut‹, das ›yonische Tor‹, gelangten die Toten durch einen langen schmalen Gang, den ›Geburtskanal‹, tief in die künstlich geschaffene Höhle des Berges, den regenerativen heiligen Bergschoß der Muttergöttin, wo sie in ihrem Sarkophag – oft aus symbolträchtigem rosa Marmor in Uterusform – von den Göttinnen Isis, Nephtis, Selket und Neith/Nut aufgenommen wurden. Von ihnen wurden sie empfangen, beschützt und auf ihrer Reise durch die Unterwelt in die Wiedergeburt begleitet. Der Tod wurde als Heimkehr in die Geborgenheit des Schoßes der Großen Göttin verstanden und war nie mit Angst oder Panik verbunden, wie dies in den monotheistischen Gott-Religionen üblich ist. Die ›Schrecken des Todes‹, wie sie aufgrund der drohenden Jenseitsvorstellungen von einem ›Jüngsten Gericht‹, von Hölle und Teufel in den monotheistischen Religionen gepredigt werden, kannten sie nicht; auch nicht, dass ein Gott oder ein Mensch für ihre Sünden geopfert werden musste. Menschenopfer sind eine ganz und gar patriarchale Erfindung, die – möglicherweise – aus dem Schuldbewusstsein des Göttinnen-Mordes entstanden ist (s. Wolf ›Der Göttinnen-Mord in den patriarchalen Religionen‹). Die Menschen erlebten aus eigener Anschauung die Freude und das Glück bei dem überwältigenden Ereignis der Geburt eines Kindes aus dem Körper der Mutter. Auf dieser Freude am Leben basierte ihr Glauben an eine Wiedergeburt. Deshalb hielt man die Alten in Ehren und liebte die Kinder. Die Große Göttin galt nicht nur als die Urzeitliche, die alleinige Schöpferin und Allesgebärerin, die alles Leben aus ihrem göttlichen Schoß hervorbrachte, sondern auch alles Leben, wenn es vollendet war, wieder fürsorglich aufnahm. Der Untergang der Sonne symbolisierte das Ende des Tages und des Lebens; deshalb die nach Westen gewandte Fötus-Haltung der Toten im uterusförmigen Grab der Urzeit.
Mit den indoeuropäischen Eroberern veränderte sich die Stellung der Toten. Die neuen Herrscher brachten aus dem kühlen Norden ihre Sonnengötter mit. Diesen Himmelsgöttern zugewandt, begruben sie ihre Toten dementsprechend auf dem Rücken liegend. Einige Aspekte des matriarchalen Glaubens an die Göttin wurden bekämpft und verschwanden, andere blieben erhalten. Zum Beispiel das matriarchale Wissen, dass das neue Leben im Fruchtwasser der Gebärmutter schwimmend entsteht, behielt als Symbol der Lebenserneuerung noch in der dynastischen Zeit seine Bedeutung. Schwimmend wie sie im Mutterleib entstanden, wurden die toten Königinnen und Könige in einem Boot von der Ostseite des Nils in den Westen gerudert, den Ort der Toten und der Vorbereitung auf die Wiedergeburt mit dem Sonnenaufgang im Osten.
In den Gräbern im Tal der Könige war das beliebteste Motiv das der Himmelsgöttin Nut, die am Abend die Sonne, bzw. die Toten empfängt und am Morgen wieder gebiert. Die indoeuropäische Oberschicht übernahm erst diesen Teil der matriarchalen Wiedergeburtsreligion und der Göttinnen-Verehrung der indigenen Bevölkerung. Anderseits kreierten sie ihre ›Königsreligion‹ mit neu erfundenen Vater- und Ur-Göttern und einem ›Ewigen Leben‹ im Jenseits – das sich die Könige wünschten.
Aus der frühdynastischen Zeit ist bekannt, was auch noch für spätere Perioden gilt, dass in Ägypten zwei Religionen nebeneinander existierten. Doch bis die Pyramidentexte publiziert wurden, hatten die frühen Ägyptologen keine Ahnung davon, dass es in Ägypten mehr als eine Religion gab (Budge 1988, S. 51 f.). Heutige Ägyptologen sprechen beim Nebeneinander und der Vermischung der beiden Religionen gern von ›Synkretismus‹, um zu beschreiben, dass Aspekte unterschiedlicher Religionen in Ägypten zu etwas Neuem zusammen gemischt wurden; nur sagen sie dabei nicht, dass Aspekte der Religion der Urgöttin usurpiert und andere durch die Priester der indoeuropäischen Religion mit ihren männlichen Göttern bekämpft und vernichtet wurden.

Hans Peter Duerr kontert patriarchale Gegenstimmen

Gegen die Interpretation der Höhle als Gebärmutter und von Eingängen als Vulva ist geltend gemacht worden, dass »derartige Deutungen eher der etwas überhitzten Phantasie von nach den Müttern suchenden Stubengelehrten der Jahrhundertwende entstammten als der Realität. Doch renommierte Wissenschaftler, wie D.A. MacKenzie, 1926; B. Bettelheim, 1962, L.R. Nougier, 1975, C. Barrière, 1982 und A. Leroi-Gourhan 1971 haben gleichermaßen die Vermutung ausgesprochen, dass die Eiszeithöhlen ›weiblich‹ waren. Leroi-Gourhan hat dies dahingehend präzisiert, dass zumindest einzelne Teile der Höhlen als Schoß der Erde betrachtet wurden, und er denkt dabei an Spalten (Niaux), ovale Nischen (Font-de-Gaume), die Stalaktiten-Brüste von Le Combel usw.« (Duerr ›Sedna oder die Liebe zum Leben‹ 1984, S. 56 und 291 f.)

Gravierung-von-Schwangeren-Duerr

Fünf schwangere Frauen. Einzelne Figuren von übereinander gezeichneten Graffitis auf einem Sandsteinplättchen aus der Höhle von ›Les Trois Frères‹ (nach H.P. Duerr 1984, Abb. 18, S. 57)

»Fast unwillkürlich« schreibt Duerr, »haben wir bei der bisherigen Interpretation einen Jäger-, d.h. einen Männerstandpunkt eingenommen, von dem aus es beinahe natürlich erscheinen mag, dass männliche Schamanen die weibliche Höhle betraten, um hier durch, sagen wir es vorsichtig: kopulationsartige Handlungen die Wiedergeburt der Jagdtiere einzuleiten. Eine ebenso große Plausibilität kann eine andere Deutung beanspruchen. Ziehen wir zum Vergleich einen Höhlenkult heutiger Jäger und Sammlerinnen heran, nämlich der Frauen der australischen Pitjantjatjara. In dem Wüsten-Felsmassiv Ayers Rock befindet sich eine Höhle, die Gebärmutter einer Traumzeitfrau namens Bulari. Heute noch wird dieser Felsenuterus durch die Felsenvulva von schwangeren Frauen betreten, die hierher kommen, um zu gebären, d.h. das zu tun, was die Bulari in illo tempore tut. In einer anderen Höhle von Ayers Rock hängen die Klitoris weiterer Traumzeitwesen, der Mala-Frauen, und man kann wohl sagen, dass die ›Stalaktitenbrüste‹ von Le Combel sich zwanglos in gleicher Weise als Klitoris deuten lassen, wenn man im Eingang zur Felskammer die Vagina und in der Kammer selbst den Uterus erblickt. So ist es denkbar, dass die Frauen der Eiszeitjäger genauso wie die Frauen der australischen Wildbeuter diese Höhlen betraten, um hier ihre Kinder zur Welt zu bringen, vielleicht auch, um durch den Akt der Geburt die Geburt der Tiere aus dem Schoß der Erde anzuregen… nichts spricht dagegen… dass Eiszeithöhlen als Geburtshöhlen gedient haben könnten.« (H.P. Duerr, ibd. S. 54 f.)
Auch Gerda Weiler wehrte sich gegen die männliche Interpretation. »Es erscheint absurd, wenn Wissenschaftler heute behaupten, die Kultbilder in den Höhlen seien von Männern geschaffen worden. Diese Höhlen waren Heiligtümer der Frauen. In keiner Höhle fehlt das Symbol der Vulva. Es erscheint mir sehr fraglich«, schreibt sie, »ob Männer zu diesen prähistorischen Tempeln überhaupt Zutritt hatten. Schon Doris Jonas hat immerhin die Möglichkeit erwogen, dass Höhlenkunst zum Teil oder ganz von Frauen ausgeführt wurde.« (Weiler ibd. 1994, S. 175)
»Bis heute postulieren Wissenschaftler, dass für die Kunst der Altsteinzeit ausschließlich der prähistorische Mann verantwortlich gewesen sei. Dafür gibt es keinerlei handfeste Beweise; die Behauptung ist vielmehr das Resultat gelehrter Vorurteile, die im krassen Widerspruch zu Forschungsergebnissen stehen wie etwa der Entdeckung, dass bei den heutigen Vedda in Sri Lanka Wandmalereien von den Frauen und nicht von den Männern geschaffen werden.« (Riane Eisler ›Von der Herrschaft zur Partnerschaft‹ 1989, S. 36)

Heute ist man sich weitestgehend einig, dass die berühmten Höhlen in Südfrankreich und Nordspanien eine sakrale Bedeutung hatten. Aus den Höhlen und gleichermaßen aus den Gräbern des Neolithikums – von den eiförmigen Gruben, in denen die Toten in Embryonalstellung begraben wurden, bis zu den Pharaonengräbern tief im Innern des mütterlichen Berges von Qurna auf der Westbank von Luxor – kann abgeleitet werden, dass dies eindeutige Hinweise auf eine weibliche Religion und die Verehrung einer Göttin sind. Doch die patriarchale Wissenschaft kann/will die Zeichen nicht sehen. Christliche und jüdische WissenschaftlerInnen – die an eine patriarchale Ur-Religion und einen patriarchalen Ur-Gott glauben wollen – wehren die Zeichen ab, die in den Höhlen Südfrankreichs zweifellos feststellbar sind. Eine weibliche Religion wird nicht einmal im Entferntesten in Betracht gezogen. Siegfried Vierzig beklagt, »dass der immense Aufwand der jahrzehntelangen Forschungsarbeit nicht zu viel mehr als einer dokumentarischen Aufnahme aller ausgemalten Höhlen geführt hat, was natürlich von hohem Wert ist, aber die Frage nach dem inhaltlichen Verständnis der Höhlenmalerei von vornherein als unbeantwortbar deklariert.« (Siegfried Vierzig ›Mythen der Steinzeit – Das religiöse Weltbild der frühen Menschen‹ 2009, S. 49 f.)


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