Die Gottheit der Urzeit war weiblich

Aus dem Inhalt:

  • Die Gottheit der Urzeit war weiblich,
    kam aus Afrika und – war schwarz!
  • Die matriarchale Religion war friedliebend und lebensbejahend
  • Religiöser Fundamentalismus verzerrt die Geschichte
  • Die Verleugnung der Ur-Göttin ist patriarchale Tradition
  • Die verzweifelte Suche nach dem Mann und einem Urgott

 

 Die Gottheit der Urzeit war weiblich,
kam aus Afrika und – war schwarz!

Die Wurzeln der Menschheit liegen in Afrika. Die Analyse der Mitochondrien, die nur von der Mutter vererbt werden, war der Anlass zur Erforschung mütterlicher Verwandtschaftslinien. Die Analyse ergab, dass wir genetisch alle von der gleichen schwarzafrikanischen Urmutter abstammen. (s. http://www.zdf.de/ZDFinfo/Wie-der-Mensch-die-Welt-eroberte) Aus dem ›Hohen Lied‹ des Alten Testaments klingt es: ›Schwarz bin ich, doch schön, ihr Töchter Jerusalems, wie die Zelte von Kedar, wie Salomos Decken.‹
Diese Urahnin wurde alsdie Facettenreiche in 1000 Namen und Gestalten‹, als die ›Selbsterstandene‹, die ›Parthenogenetische‹ und ›Große Mutter‹, die ›autonome alleinige Schöpferin‹ in der langen Zeit des Matriarchats unter vielen Namen und Manifestationen in der ganzen damaligen Welt verehrt (in Indien z.B. als Göttin Kali). Im Christentum, wurde sie Gottesmutter und einfach ›Frau‹ genannt: ›Unsere Liebe Frau‹, ›Notre Dame‹, ›Nuestra Señora‹. Alle gotischen Kathedralen wurden auf alten heidnischen Kultorten der Göttin erbaut  und die meisten waren ihr geweiht: Notre-Dame de Paris, Notre Dame d’Amiens, Notre-Dame de Reims, Notre-Dame de Chartres, Santa María de la Sede von Sevilla, das Freiburger Münster Unserer Lieben Frau, der Aachener Dom der Gottesmutter Maria usw.

›Isis, Mächtige, an der Spitze der Göttinnen
Herrscherin im Himmel, Königin auf Erden…
Alle Götter stehen unter Deinem Befehl.‹
(Aus einer Inschrift auf Philae)

Im europäischen Christentum wurde die schwarze Urmutter zur weißen Muttergottes. Sie widersetzt sich aber offensichtlich vielerorts und lässt die Farbe von Gesicht und Händen oxidieren! Die katholischen Padres sind etwas hilflos und erklären das schwarze Gesicht und die Hände der vielen schwarzen Madonnen auf der ganzen Welt mit dem Russ der Kerzen! Die Verlegenheit der Padres ist begründet; sie dürfen ja nichts wissen von der einstigen Großen Göttin Schwarzafrikas, von Isis, der schwarzen Madonna Ägyptens. Die Liste der Wallfahrtsorte der schwarzen Madonnen ist lang! (s. Wikipedia)
»Die Vergöttlichung und Verehrung der weiblichen Gottheit in der alten Welt waren Variationen zu einem Thema, es waren leicht unterschiedliche Versionen der gleichen grundlegenden theologischen Glaubensvorstellungen, die in den frühesten Zeiten der menschlichen Zivilisation entstanden.« (Merlin Stone ›Als Gott eine Frau war – Die Geschichte der Ur-Religion unserer Kulturen‹ 1988, S. 51)
Jede Urgeschichtsforschung – und das ist der Grund, warum sie in der patriarchalen Wissenschaft und Religion so unbeliebt ist und gemieden wird – führt zwangsläufig in die Welt des Glaubens an die Große Göttin und das Matriarchat, welches die älteste Form des Zusammenlebens seit der Altsteinzeit ist! Obwohl die Zeugnisse nicht immer leicht zu finden sind – viel wurde getan, um die Spuren so gut wie möglich zu vertuschen oder zu zerstören – sie sind da, wenn man sie sehen kann und will! Dafür gibt es unzählige Nachweise. Heute ist man sich weitestgehend einig, dass die berühmten Höhlen in Südfrankreich und Nordspanien eine sakrale Bedeutung hatten. Aus den Höhlen und gleichermaßen aus den Gräbern des Neolithikums – von den eiförmigen Gruben, in denen die Toten in Embryonalstellung begraben wurden, bis zu den Pharaonengräbern, tief im Innern des mütterlichen Berges von Qurna auf der Westbank von Luxor – kann abgeleitet werden, dass dies eindeutige Hinweise auf eine weibliche Religion und die Verehrung einer Göttin sind. Doch die patriarchale Wissenschaft kann/will die Zeichen nicht sehen. Christliche und jüdische WissenschaftlerInnen – die an eine patriarchale Ur-Religion und einen patriarchalen Ur-Gott glauben wollen – wehren die Zeichen ab, die in großer Zahl, z.B. in den Höhlenheiligtümern der Göttin, zu finden sind. Eine weibliche Religion wird nicht einmal im Entferntesten in Betracht gezogen. Siegfried Vierzig beklagt, »dass der immense Aufwand der jahrzehntelangen Forschungsarbeit nicht zu viel mehr als einer dokumentarischen Aufnahme aller ausgemalten Höhlen geführt hat, was natürlich von hohem Wert ist, aber die Frage nach dem inhaltlichen Verständnis der Höhlenmalerei von vornherein als unbeantwortbar deklariert.« (Siegfried Vierzig ›Mythen der Steinzeit – Das religiöse Weltbild der frühen Menschen‹ 2009, S. 49 f.)
Zornig konstatierte Merlin Stone, die Autorin eines der fundiertesten Bücher zur Ur-Göttin: »Es ist erschreckend, wie wenig über die weiblichen Gottheiten geschrieben wurde, die in den ältesten Zeiten der menschlichen Existenz verehrt wurden, und noch ärgerlicher, dass selbst das vorhandene Material in der gängigen Literatur und der Allgemeinbildung fast vollständig übergangen wird. Es gibt Informationen, es gibt konkrete Funde, die jene weitverbreitete weibliche Religion betreffen, die Jahrtausende vor Beginn des jüdischen und christlichen Glaubens und der klassischen Zeiten Griechenlands blühte. Aber der größte Teil dieser Fundstücke ist nur ausgegraben worden, um von neuem in obskuren archäologischen Texten vergraben zu werden, die in unzugänglichen Universitätsarchiven und Museumsbibliotheken gespeichert wurden.« (Merlin Stone ibd. S. 10)

Die matriarchale Religion war friedliebend und lebensbejahend

Patriarchale Wissenschaftler und Politiker, der Klerus, konservative und religiöse Menschen wollen nicht zur Kenntnis nehmen, was unterdessen eine bewiesene Tatsache ist: Während 98 Prozent der Menschheitsgeschichte, d.h. etwa 2 Millionen Jahre, war die Welt friedlich – für heutige Menschen unvorstellbar: Es war eine Welt ohne Krieg; eine Welt der mütterlichen Werte und der Religion der Göttin. Doch vor 5000 Jahren änderte sich alles. Am Ende des 4. und zu Beginn des 3. Jahrtausends begann mit der Machtnahme indoeuropäischer Invasoren und den sie begleitenden arischen Priesterkasten der Kampf gegen das Matriarchat und die Verehrung der urzeitlichen Großen Göttin.
Die indoeuropäisch/arischen Eroberer aus dem kalten Norden waren Sonnenanbeter; sie erfanden verständlicherweise einen Sonnenkult mit weiblichen und ersten männlichen Sonnengottheiten, die sie bei ihren Eroberungen mit in die südlichen Länder brachten. In den tropischen und subtropischen Zonen fürchtet und flieht man die erbarmungslose Glut der Sonne, genießt die Schönheit und Kühle der Nächte auf den Dächern und verehrt die Sterne und den Mond. Nicht erstaunlich ist, dass hier der Lauf der Sterne beobachtet und die Astronomie geschaffen wurde.
Der Orientalist A. H. Sayce, britischer Theologe und Sprachwissenschaftler (1846 – 1933), der die Mythen der ägyptischen Sonnenreligion mit denen der sumerischen, ba­byloni­schen und assyrischen verglich, stellte eine auffal­lende Überein­stimmung der Sonnengötter und der göttlichen Attribute in den von den Indo-Europäern eroberten Kulturen fest und betont, dass der Sonnenkult nicht die ur­sprüngliche Religion der eingeborenen mesopotamischen Bevölkerung war; was der Alttestamentler W. Robertson Smith bestätigt: »Das offizielle System der babylonischen und assyrischen Religion, wie es uns aus priesterlichen Texten und öffentlichen Inschriften bekannt ist, trägt deutliche Merkmale, dass es alles andere ist als eine Darstellung des volks­tümlichen, überlieferten Glaubens. Es ist durch Priesterschaft und Staatsgewalt in der gleichen Weise künstlich ausgebildet wie die offizielle Religion des alten Ägypten, das heißt: Es ist eine für Regierungszwecke veranstaltete, künstliche Kombination aus Elementen, die einer Anzahl lo­kaler Kulte entlehnt waren. Höchst wahrscheinlich war die wirkliche Religion der Volksmassen weit einfacher als das offizielle System.« (Smith ›Die Religion der Semiten‹ 1899, S. 10) Wie Smith schreibt und Fekri Hassan, einer der wenigen aufgeschlosseneren Ägyptologen und Archäologen, bestätigt, gilt dies auch für Ägypten. Hassan scheibt:

»Die Mythen zeigen, dass das, was sich in Ägypten zu der uns bekannten altägyptischen Religion entwickelte, auf einen Vernichtungskampf der Eroberer gegen die Religion der Urmutter und ihrer VerehrerInnen richtete. Könige wurden göttlich, indem sie die heilige Macht weiblicher Gottheiten assimilierten.«

Als patriarchale Priesterkasten mit ihren ersten männlichen Göttern erschienen, wurde die Göttin auf die Gattin eines der neu erfundenen männlichen Götter herabgesetzt, der mit ihr den Geschlechtsakt vollführte und damit zum ›Befruchter‹ und ›Erzeuger‹ wurde. Der sexuelle Akt wurde zum religiösen Ritus, zur ›Heiligen Hochzeit‹ erklärt. Bei den gewaltsamen Eroberungen der Indo-Europäer – und so geschieht es bis heute bei allen kriegerischen Einsätzen – geht es jedoch nicht um ›heilige Hochzeiten‹ sondern um brutale Vergewaltigungen. Der Vergewaltiger machte sich mit dem erniedrigenden Gewaltakt zum Gatten der matriarchalen Priesterkönigin und legitimierte seine gewaltsame Aneignung des Thrones, der in der weiblichen Linie weitergegeben wurde. Mit Gewalt und Arroganz wurde die Herrschaft des Mannes, das Patriarchat, in allen alten Kulturen durchgesetzt.
Die indoeuropäischen Eroberer Ägyptens und Mesopotamiens und ihre Priesterkasten fuhren fort, in den eroberten Ländern die Urgöttin in ihren vielen Namen, Gestalten und Manifestationen auf Gattinnen, Schwestern und Kinder der neu erfundenen Götter zu degradieren, dann sie zu vermännlichen oder ganz auszumerzen; damit usurpierten sie all ihre positiven Attribute, vor allem ihre Schöpfungsmacht für ihre männlichen Götter.
Erstaunlich ist, in welchem Ausmaß die patriarchale Feindseligkeit und der offensichtliche Geschichtsbetrug bis heute andauert und verteidigt wird, z.B. durch die Voreingenommenheit und die Diskriminierung der Frau durch die Wissenschaftler und Theologen. Damit soll schon der leiseste Hauch einer Mutmaßung, dass ›Gott einmal eine Frau‹ war im Keime erstickt werden. Frauen wurden im Patriarchat zum Schweigen verurteilt, wurden zum Gebrauchsartikel, zur Ware, zum Haustier, das lediglich nützlich war, um Kinder zu gebären.

Der Irrtum fing damit an, dass man sich Gott als Mann vorstellte…
Das macht das Leben so widersinnig und den Tod so unnatürlich.
(Eugene O’Neill)

Manetho, der Priester, der wahrscheinlich unter den ptolomäischen Pharaonen im 3. Jahrhundert v.u.Z. in Heliopolis lebte, verfasste um 280 die Aegyptiaca (Geschichte Ägyptens) und behauptete, dass erst Götter in Ägypten herrschten, dann sollen Halbgötter, Kriegsgötter wie Ares / Horus etc. gekommen sein. Für diesen Irrtum gibt es mehrere mögliche Gründe: Nach 3000 Jahren der Patriarchalisierung, die seit der Eroberung Ägyptens vergangen waren, konnte Manetho den wahren Sachverhalt nicht mehr kennen, er war unwissend, schlecht informiert, hirngewaschen oder er bediente sich der Lüge, um die Götterwelt so darzustellen, wie es die patriarchale Herrschaft wünschte und sah: Er behauptete, die ersten Götter waren männlich. In Robert Graves‘ Übersetzung des ›Goldenen Esels‹ von Apuleius (aus dem 2. Jh.u.Z.) erscheint die Göttin selbst und erklärt:

›Ich bin die Natur, die universelle Mutter, die Gebieterin aller Elemente, das ursprüngliche Kind der Zeit, die Regentin aller spirituellen Dinge, die Königin der Toten, die Königin auch der Unsterblichen, die alleinige Manifestation aller Götter und Göttinnen, die es gibt. Mein Kopfnicken beherrscht die glänzenden Höhen des Himmels, die heilsamen Seewinde, das traurige Schweigen der Unterwelt. Ich werde in vielen Gestalten verehrt mit unzähligen Namen angerufen… doch… die Ägypter nennen mich mit meinem wirklichen Namen, nämlich Königin Isis.‹

›Gott ist ein Spätling in der Religionsgeschichte‹
(G. van der Leeuw, Religionswissenschaftler)

Bis vor 5000 Jahren gab es keinen einzigen männlichen Gott. Dies wird von den Klerikern, den religiösen Institutionen und den patriarchalen WissenschaftlerInnen stillschweigend übergangen oder geleugnet. Bis zum Ende des 4. Jahrtausends gab es in der ganzen damals bekannten Welt ausschließlich Göttinnen, bzw. eine Große Göttin. Ihre Verehrung wird in der Kunst der Steinzeit tausendfach nachgewiesen.

Die Göttin der Urzeit wurde diffamiert, verkannt, eliminiert und geleugnet

In den Mythen nimmt die Rechtfertigung der patriarchalen Machtnahme und die Einführung der neu erfundenen männlichen Gottheiten durch die Priesterkasten oft seltsame Züge an, etwa im ägyptischen Mythos der ›Brüder‹ Osiris und Set (Set ist das ägyptische Wort für Frau, Dame und die Göttin I-Set!), einer moralisierenden Lügengeschichte vom Kampf zwischen Gut und Böse. »Der Osiris-Mythos scheint ein Nachklang längst verschollener Ereignisse zu sein, die sich tatsächlich abgespielt haben… Der Mythos von der meuchlerischen Ermordung des guten Königs Osiris durch seinen Bruder Set und der Rache und Erneuerung der wohltätigen Herrschaft durch den Sohn des Osiris, Horus, den Ahnherrn der Halbgötter, von denen die Pharaonen abstammen« (Emery ›Ägypten – Geschichte und Kultur der Frühzeit‹1964, S. 133). Emery wusste noch nichts vom Versuch der Vermännlichung und Verteufelung der Göttin I-Set zum ›bösen‹ Set. Er erkennt jedoch, dass es »vielleicht auf Episoden hindeutet, die mit den prähistorischen Kämpfen zwischen der dynastischen Rasse und der einheimischen Bevölkerung des Niltals zusammenhängen«. Skandalös und falsch ist die Behauptung des Ägyptologen Georg Stein­dorff. Er schreibt, dass am An­fang Horus und Seth waren und erst nachher die beiden Landesgöttin­nen Nekhbet und I-Set/Isis dazu kamen. Und wei­ter behauptet er ebenso unverfroren und irreführend, »die beiden Göttin­nen wurden in eine Position von nationalen Gottheiten erhoben, was weit über ihrer ursprünglichen Einflusssphäre war« (George Steindorff / Keith C. Seele ›When Egypt ruled the East‹ 1957, S. 134). Eine unhaltbare Verzerrung, denn wir wissen: »Von den Ursprüngen des Horus ist uns nichts bekannt, aber zur Zeit der Einigung wurde er sicherlich als ein Sonnengott anerkannt, und die Religion des Königs, welcher der lebende Horus war, war ein ähnlicher Himmelskult wie die Religion in späterer Zeit.« (Emery ibd. 1964, S. 131) Elise J. Baumgartel, die zuverlässige Chronologin, beobachtete, dass Horus erst gegen Ende der Nagada-II-Zeit auf dem Serech [der stilisierten Palastfassade] erscheint und in enger Verbindung mit den Eroberer-Königen der 1. Dynastie, den ›Shemsu-Hor‹, steht (Baumgartel JEA 1975, S. 30 f.). Die gottgläubigen religiösen Forscher, überzeugte Anhänger des Patriarchats und der patriarchalen Religionen, wollen davon nichts wissen. Obwohl Emery schreibt: »Die Masse der Bevölkerung, die von den Einheimischen abstammte und in den ersten Jahren der Doppelmonarchie eine besondere Rassengruppe bildete, blieb nach wie vor den Stammesgöttern der Väter, besonders ›dem‹ Set  [also der Stammesgöttin der Mütter I-Set] treu. In dem Masse, wie unter dem festigenden Einfluss der geeinten Reichsmacht die beiden Volksgruppen immer inniger miteinander verschmolzen, wurden viele dieser uralten Götter in die Sonnensynthese eingegliedert und verloren ihre primitiven Züge.« (Emery ibd. 1964, S. 131) Auch der sonst zuverlässige und unvoreingenommene Emery konnte nicht erkennen und glauben, dass Set die Stammes-Göttin der Mütterclans war, die von den UreinwohnerInnen verehrt wurde, und dass es sich beim später von den Invasoren verteufelten Seth um die vermännlichte Göttin I-Set/Isis handelte. Emery ahnt allerdings den unerklärlichen Widerspruch. Er schreibt weiter: »Set aber ließ sich nicht assimilieren. Während der gesamten Geschichte Ägyptens bleibt er eine Gottheit für sich, weil in der archaischen Zeit sein Kult aus politischen Gründen ein Sammelpunkt des vordynastischen Ägyptens gewesen war. Man konnte seine Existenz nicht ignorieren, aber mit Ausnahme kurzer Etappen (und da handelte es sich offenbar um Erwägungen politischer Zweckmäßigkeit) wurde Set als die Verkörperung des Bösen betrachtet. Das ging soweit, dass man ihn in klassischer Zeit mit dem Typhon gleichsetzte [dem Teufel oder einem Ungeheuer mit Schlangenköpfen oder in Form eines Drachens].« (Emery ibd. 1964, S. 131)

Niemals hat das Patriarchat eine weibliche Gottheit geschaffen –
sie ganz im Gegenteil von Anfang an bekämpft!

Die Mythen, die Wahrheit verzerrenden Darstellungen, sind beispielhaft für die in unseren Köpfen eingebrannten Lügenbilder des Patriarchats. Die Göttinnen-Trinität I-Set/Set (griechisch Isis), Nekhbet und Neith/Nut waren seit urgeschichtlicher Zeit Landesgöttin­nen Ägyptens; sie bildeten die Grundlage des ursprünglichen ›Volksglaubens‹. Emery berichtet wahrheitsgemäß, was (nach der Eroberung) geschah:

»Es gab also im alten Ägypten zwei verschiedene und miteinander unvereinbare Kulte, die nur vorübergehend gegen das Ende der zweiten Dynastie – aus rein politischen Gründen – miteinander kombiniert wurden. Außerdem aber existierten noch andere große Religionen, vor allem: Re in Heliopolis, Ptah in Memphis, Osiris in Busiris und Min in Koptos.« (Emery ibd. S. 132 f.)

Als pure Ignoranz, naive Gottgläubigkeit oder gezielte, bösartige Abwertung der Göttin und der Frau muss man die Behauptung des Ethnologen Klaus E. Müller bezeichnen, der schreibt: »Die Göttinnen… bleiben bei aller Wirkmächtigkeit, die sie im Einzelnen besitzen, den männlichen Gottheiten stets untergeordnet – ihrer Stellung wie ihrer ›Geschöpflichkeit‹ nach: Denn letzten Endes wurden auch die ältesten und bedeutendsten unter ihnen von dem einen, uranfänglichen Schöpfer- und Hochgott ins Leben gerufen.« Müller geht aber noch einen Schritt weiter, den man geradezu als obszön bezeichnen muss. Er behauptet in Anbetracht der Gräuel, die Männer in aller Welt verübt haben, geradezu Aberwitziges (›Die bessere und die schlechtere Hälfte‹ 1984, S. 297):

»Die Männer nehmen in der Welt den führenden Rang ein. Ihre Physis, ihre überlegene Geistigkeit, ihre Reinheit und moralische Disziplin prädestinieren sie dazu. Die Götter selbst haben sie zu ihren Repräsentanten und Sachwaltern hienieden bestellt; die bestehende Ordnung entspricht ihren Schöpfungsabsichten

Dem hält der Psychiater Gregory Zilboorg den Spiegel entgegen: »Die ganze Menschheitsgeschichte ist erfüllt von dieser ewigen Selbstbeweihräucherung des Mannes und seiner Anstrengung, die Frau im Stand der Unterwerfung zu halten.« Und Erich Fromm konstatierte: »Das wesentliche Merkmal der Eitelkeit des Mannes ist die Prahlerei, was für ein ›Kerl‹ er sei… eine Folge der unsicheren Lage des Mannes gegenüber der Frau und seiner Angst vor Lächerlichkeit ist sein potenzieller Hass gegen sie.« (Fromm ›Liebe, Sexualität und Matriarchat‹ 1994, S. 121)
Patriarchale, sexistische Männer betreiben
bewusste religiöse Geschichtsverfälschung. Jedoch:

»Eine Untersuchung der Symbole in der altsteinzeitlichen Kunst zeigt deutlich, dass die Gottheit, der die Schöpfungskräfte zugeschrieben wurden, nicht männlich, sondern weiblich war. Tatsächlich ist in der altsteinzeitlichen Kunst die Existenz einer Vaterfigur nicht nachweisbar.« (Marija Gimbutas)

Religiöser Fundamentalismus verzerrt die Geschichte

Die unhaltbaren Überzeugungen der genannten – und den hier nicht ausdrücklich genannten WissenschaftlerInnen –, denen wir beim Thema Matriarchat und Göttinnenverehrung immer wieder begegnen –, sind das Resultat religiöser Gott-Gläubigkeit durch religiöse Propaganda, Indoktrinierung und fundamentalistischer Glaubens-Überzeugungen.

›Wenn man die Köpfe erst mal verändert hat, bleibt das permanent‹.
(Hans-Joachim Voth)

Patriarchale Gläubige, die seit frühester Kindheit auf einen männlichen Gott getrimmt wurden, können es nicht aushalten, dass der von ihnen bevorzugte männliche Gott (ob Jehova, Gottvater oder Allah) kein Urgott ist. Viele Altorientalisten, Sumerologen und Ägyptologen waren Theologen oder einfach  befangene Patriarchen. Zu ihnen gehört auch der engstirnige Urgeschichtler Herbert Kühn. Er schreibt zu der beeindruckenden Zahl weiblicher Figurinen aus der Altsteinzeit: »Die Statuetten sind also die Darstellung einer weiblichen Gottheit, der Urmutter, die geschaffen wird von Gott selbst, dem Vater aller Dinge.« (›Erwachen und Aufstieg der Menschheit‹ 1966, S. 186) Das ist eine wahrhaft kühne Behauptung. Seine tendenziöse  Voreingenommenheit lässt sich Kühn von einem christlichen Missionar und Ethnologen, dem Österreicher Pater W. Schmidt, einem fundamentalistischen, römisch-katholischen Priester bestätigen, »der das Verdienst hat, die Sitten und Gewohnheiten und die religiösen Vorstellungen dieser Menschen der Gegenwart [etwa der sibirischen Tungusen], die bis heute die frühesten Lebensformen bewahrt haben, gesammelt zu haben, er hat immer wieder feststellen können, dass es sich um einen einzigen Gott, den Urgott handelt« (Kühn ibd. S. 185).
Erik Hornung versuchte allen Ernstes bei den alten Ägyptern einen Urschöpfer herauszufiltern. So sagte er anlässlich eines Fernsehauftrittes wörtlich: »In manchen Bereichen, wie vor allem bei der Schöpfung, da muss der Schöpfergott ja Einer sein… es kann also am Anfang noch keine Vielfalt von Göttern geben. Dagegen im Bereich der Tempel, dort wo der Kult stattfindet. Im Kult braucht man ja ganz viele verschiedene Götter für die verschiedenen Anliegen des Kultes, da hat die Göttervielfalt ihren Platz und so haben die Ägypter beides nebeneinander stehen lassen und darin keinen logischen Widerspruch gesehen.« (3Sat delta, 27.7.06). Derart wirre Ansagen passieren immer dort, wo man eine verzerrte Ansicht als glaubwürdig darzustellen versucht.

Die Verleugnung der Ur-Göttin ist patriarchale Tradition

Die Strategie patriarchaler Männer ist ihre Propaganda der Verleumdung, der Entwürdigung, Entmenschlichung und Vernichtung des Weiblichen!

»Das Alte Testament beschreibt ziemlich genau die Verfolgung und Eliminierung der Göttinnen [Ishtar/Astarte/Aschera und Anat] und ihrer männlichen und weiblichen Anhängerschaft, wobei vorher ihre stetige Verleumdung stattfindet. So erscheint das Göttinwort Aschera/Astarte in der biblischen Redaktion als Ashtoret, um dieses durch die Angleichung an bosheth (Schande, Schändlichkeit) zu verzerren und anzuschwärzen. Dadurch wird aus der Leben schöpfenden und Leben erhaltenden Ishtar-Aschera die verleumdete ›Schandhafte‹.« (Kurt Derungs Vorwort in E.O. James ›Der Kult der Grossen Göttin‹ (1959/2003, S. 33) Die Eliminierung der Göttin beginnt mit ihrer Entwürdigung und Verleumdung. Erinnert uns aber auch an die Entwürdigung und Verleumdung der Juden, die zur Ermordung von 6 Millionen Juden in Europa durch weiße, christliche Männer führte. Barbara G. Walker trifft den Kern, wo sie schreibt: »Die jüdisch-christlichen Theologen und Kleriker haben vieles versucht, um die Thealogie [die Lehre von der Göttin] zu unterdrücken. Sie haben sie herablassend als unbedeutenden ›Kult‹ abgetan. Sie haben sie heftigst als Heidentum, Teufelei oder Hexerei verdammt. Sie haben sie als dümmliche New-Age-Mode abgetan. Sie haben sie in ihren Predigten als radikalfeministischen Irrtum angeprangert. Sie haben sie als unmoralisch, und ihre Anhängerinnen und Anhänger als verwirrt bezeichnet. Sie haben die Geschichtsbetrachtung der Thealogie für falsch erklärt – obwohl ihre eigene Geschichte auf einem viel unsicherern Fundament aus abstruser Folklore, Fälschung und Täuschung steht. Das eigentliche Problem der Theologen ist die Angst, dass die Thealogie Frauen von den Kirchen weglocken könnte. Auf diese Weise könnte das gesamte Gebäude in sich zusammenbrechen, das durch die stillschweigend akzeptierten Bemühungen von Frauen so lange aufrecht erhalten wurde.« (Barbara G. Walker ›Göttin ohne Gott – Der Herr des Himmels wird entthront‹ 1999, S. 12)

»In vielen biblischen Geschichten reflektiert sich ein Machtkampf zwischen Mann und Frau, der als Auseinandersetzung zwischen Gott und ›weiblichen‹ Werten, zwischen Vater- und Mutterrecht zu verstehen ist.« (Marilyn French)

Im Antiken Griechenland schreiben die sippenältesten Männer am Übergang von der Matrilinearität zur Patrilinearität den Ursprung der Göttin einem Gott zu, der sich mit der Urmutter gepaart habe. »Dann ließ sich die patrilineare Deszendenz sehr einfach von dem Sohn ableiten, der aus dieser ›Ehe‹ entstanden war. So führte die [indoeuropäische] griechische Sippe, die sich bis dahin von ihrer Urmutter Chione abgeleitet hatte, zur vaterrechtlichen Zeit eine einstige Paarung der Sippengründerin mit Poseidon ein, aus der dann Eumolpos, der neue Sippenvater, entsprungen sei. Statt sich Chioniden zu nennen, nannten sie sich von nun an also Eumolpoiden.« (Ernest Borneman ›Das Patriarchat‹ 1975, S. 125)
Diese auf fehlendem Wissen und patriarchaler Gott-Gläubigkeit beruhenden und oft konfusen persönlichen Ansichten sind unzulässige, von religiös-fundamentalistischem Gedankengut rückprojizierte Behauptungen auf die Verhältnisse des Paläolithikums, als es weit und breit keinen männlichen, geschweige denn einen Ur-Vater- oder Schöpfergott gab. Beispielsweise waren die spirituellen Vorstellungen der sibirischen Völker, zu denen die Tungusen gehören, vor ihrer Bekehrung zum Christentum in der schamanistischen Tradition verankert. Der Schamanismus wurde ursprünglich nur von Frauen vertreten, die religiöse Mittlerinnen zwischen den Menschen und den Kräften der Natur waren. Die Erde wurde bei ihnen als oberste Gottheit, als ihre Mutter verehrt.

Jeder Mann profitiert vom Bild eines männlichen Gottes
– ob gläubig oder nicht – er identifiziert sich mit ihm als göttlichem Ebenbild.

Die Verleugnung der urgeschichtlichen Göttinnenreligion durch heutige WissenschaftlerInnen und TheologInnen ist ein Betrug an der Menschheit. Selbst der Religionshistoriker und Ägyptologe Jan Assmann, von dem man eigentlich eine ehrlichere und aufgeschlossenere Einstellung erwarten dürfte, enttäuscht immer wieder. In seinem Buch über ›Religion und kulturelles Gedächtnis‹ verdrängt er die Religion der matriarchalen Urgeschichte, die der solaren Königsreligion der indoeuropäischen Invasoren in Ägypten vorausgeht. Sein Interesse reicht nur bis ins dynastische Ägypten zurück; was davor war, interessiert ihn nicht – oder darf ihn nicht interessieren – und das ist doch sehr erstaunlich für einen Religionshistoriker. Die urgeschichtliche Göttin übergeht Assmann, auch die Abwertung der Göttin durch die arische Priesterkaste der dynastischen Zeit, den Göttinnen-Mord ignoriert er und die schlussendliche Eliminierung aus der Ägyptologie bemerkt er gar nicht. Beispielhaft ist das auch  im ›Lexikon der Ägyptologie‹ aus dem Jahr 1975 zu sehen, das vor dem Aufkommen des Internets eine der wichtigsten Quellen der ÄgyptologInnen war. Darin wird dem Stichwort ›Fliege‹ mehr Platz eingeräumt als der ›Vorgeschichte‹. Von einer Invasion, einem kriegerischen Umsturz, von Indo-Europäern, von Horitern oder Sumerern, von Mesopotamien und Syrien, von Elam oder dem Alt-Iran , geschweige von einer Grossen Göttin haben ÄgyptologInnen noch nie etwas gehört. ›Wir können uns nicht auch noch mit dem Ausland befassen, wir haben genug mit Ägypten zu tun‹, verteidigte sich eine Ägyptologin. Das ist eine fatale  – auch etwas überhebliche und kurzsichtige – Einstellung. Nicht nur würde die Geschichte Ägyptens durch die Kenntnisse der Forschungsarbeiten der Nachbarländer erweitert und modifiziert, sie würde auch einem besseren Gesamtüberblick der damaligen Zeit dienen. Dies betrifft beispielsweise die Tempelbauten und zwar nicht nur die Architektur, den Grundriss und das Material, das war in Mesopotamien und Ägypten genau gleich; was noch wichtiger ist, sind Sinn und Zweck der Anlagen zu verstehen. Während sie in Ägypten noch als ›Grabanlagen‹ – allerdings der Priester-Königinnen der 1. Dynastie – interpretiert werden, wurden die Tempel in Mesopotamien längst als Sitz der Zentralverwaltung der matriarchalen Königinnen des Landes, als ›Verwaltungszentrum des Stadtstaates‹ identifiziert. Die frühesten ›Tempel‹ Mesopotamiens sind die Bestätigung, dass die analogen Anlagen in Ägypten nicht nur sakraler Kultort und Residenz, sondern ebenso Zentrum und Stätte der Bildung und Forschung, beispielsweise der Heilkunde, der Organisation und Verwaltung des Landes, also der wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Macht der Königinnen waren und dass diese in beiden Ländern schon lange vor der Machtnahme der Indo-Europäer bestanden hatten (s. Wolf: die beiden Kapitel zum matriarchalen Königinnentum in Ägypten und in Mesopotamien).

In der Geschichte Mesopotamiens könnten die ÄgyptologInnen auch etwas über den Stellenwert, die Bedeutung und Wichtigkeit der Göttinnen-Verehrung und ihr Schicksal der allmählichen Entwertung durch die Priesterkaste der Eroberer erkennen, was dazu beitragen würde, zu verstehen, dass die ›Königsreligion‹ eine von den Eroberern mitgebrachte Ideologie der Sonnenanbeter aus dem Norden ist.
Keiner der Forscher, der ein gläubiger Anhänger der jüdischen, christlichen oder muslimischen Religion ist, will von all diesen Auffälligkeiten etwas wissen. Das kulturelle Gedächtnis des Matriarchats und der Großen Göttin wurden ausgelöscht und ihre Auslöschung unterschlagen. Unzählige Religionskriege können auf die Schuld und die zerstörerische Kraft des finsteren, gut gehüteten Geheimnisses, der Eliminierung der Religion der Großen Göttin zurückgeführt werden. Heute geht der Kampf gegen die Anerkennung der einstigen Weltreligion der Göttin mit den Mitteln diskriminierender Propaganda oder dem totalen Ignorieren, Verschweigen und Verheimlichen in den Lehrplänen der Schulen und Universitäten weiter. So beginnt jede Verfolgung und Eliminierung von patriarchal unerwünschtem Gedankengut und geht weiter bis zum Massaker der verteufelten Volksgruppe der Hexen.

Es fehlt nicht nur an Wissen und Verständnis für das vor-patriarchale Matriarchat und die Verehrung der Großen Göttin, es fehlt vielen WissenschaftlerInnen auch am Mut, dieses Wissen aufzudecken.

Sie fürchten die Konsequenzen der von ihnen gefundenen Wahrheit und ihrer Publikation. Denn, welches Schicksal wäre ForscherInnen bestimmt, die ehrliche Rückschlüsse aus ihrer Arbeit ziehen, die »verdrängte Kulte nicht mehr ›heidnisch‹ und VerehrerInnen der Göttin nicht mehr ›Götzendiener‹, sondern matriarchal nennen« würden, fragt Gerda Weiler. »Forscher, die sich auf das Glatteis alttestamentlicher Vorgeschichte wagen, werden gewarnt: ›Einen Text von seiner Vorgeschichte her zu interpretieren, ist in jedem Falle gewagt, besonders aber, wenn man diese Vorgeschichte nur aus Indizien erschließen kann‹ (K.H. Bernhardt). Exegese – sagt der Alttestamentler an der gleichen Stelle – habe es zu tun mit dem uns vorliegenden und uns allein zugänglichen Überlieferungsstand der Texte. Das ist der Anspruch der traditionellen patriarchalen Lehrmeinung auf Allgemeingültigkeit, die nicht hinterfragt werden darf! Das ist das Diktat des geschriebenen Wortes!« (Gerda Weiler ›Ich verwerfe im Lande die Kriege – Das verborgene Matriarchat im Alten Testament‹ 1984, S. 91).

Die verzweifelte Suche nach dem Mann und einem Urgott

Der Grund für das beinahe vollständige Fehlen männlicher Statuetten ist eindeutig:
Vor der Entdeckung der Vaterschaft vor nur etwas mehr als 5000 Jahren gab es keine männlichen Götter, keine göttlichen Männer, keine Ur-, keine Schöpfer- und keine Vater-Götter.

Es waren weibliche Formen, die Schöpfungsmächtigkeit ausdrückten; die Urahnin wurde aufgrund ihrer Schöpferinnenkraft vergöttlicht. Männliche Statuetten wurden selten gefunden. Als die Vaterschaft noch nicht bekannt war – oder falls der Zusammenhang von Sex und Schwangerschaft bekannt war, aber dem Erzeuger keine Wichtigkeit beigemessen wurde – gab es keinen Grund, einen Mann zu vergöttlichen. (Siehe beispielsweise die Unwichtigkeit der biologischen Väter im heutigen Matriarchat der Mosuo: http://www.nzz.ch/aktuell/panorama/im-reich-der-frauen-1.4954419).
Es ist klar, dass erst nach der Entdeckung der biologischen Vaterschaft Männer das Patriarchat erfinden konnten. Männer konstruierten die Geschichte der Göttlichkeit der Männer, vergöttlichten den Phallus und das Spermienejakulat (s. die biblische Geschichte von Onan, Genesis 38: s. auch: ›Der Vater ist nicht blutsverwandt‹ (Wolf ›Die Entdeckung der Vaterschaft‹).
Als die indoeuropäischen Rinderzüchter den Anteil der Bullen bei der Zeugung von Nachwuchs erkannt hatten, schlossen sie auf ihren eigenen Beitrag in Form des Spermienejakulats. An diesem Punkt entstand die Überzeugung von der grösseren Wichtigkeit des männlichen Beitrages, das männliche Überheblichkeitsgefühl, der Größenwahn, der direkt in den patriarchalen Gotteswahn führte. Seither lebt der Mann in ständiger Konkurrenz mit der Frau. Er wertet sie ab um selbst grösser zu erscheinen. Die patriarchalen Priesterkasten erhöhten den zeugenden Mann zum Gott und ermunterten ihn, die Macht der Frauen zu brechen, sie zu unterdrücken, zu verachten, zu demütigen, zu misshandeln, zu tyrannisieren, selbst sie zu töten. Damit verbunden begann die patriarchale Ideologie, die freie Sexualität, die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen als unsittlich, als ›Sünde‹ zu ächten und bei Verstoß hart zu bestrafen. Bis heute wird der sogenannte Ehebruch einer Frau im barbarischen muslimischen Patriarchat durch ihre Steinigung bestraft. Bei der patriarchalen Machtnahme wurde die Sexualität der Frau zum bevorzugten Thema der Verfolgung und des Hasses, der männlichen Gesetze und Kontrolle und des religiösen patriarchalen Machtwahns und des Neides.
Bis heute konnten nur wenige Darstellungen von (nackten) Männern gefunden werden und zum Teil waren diese, selbst mit der Hervorhebung ihres besten Stückes nicht besonders vorteilhaft, was ihre künstlerische Gestaltung betrifft. Eine der frühesten Darstellungen eines nackten Mannes dürfte aus dem 10./9. Jahrtausend stammen, der bei image002Ausgrabungen in der Südostürkei, in Göbekli Tepe, gefunden wurde.

Göbekli Tepe, (›ithyphallic man‹, Neolithic in Turkey The Cradle of Civilization‹ ›Sculpture of a ithyphallic man‹ Mehmet Özdoğan, Nezih Başgelen 1999, Fig. 33)

Das  Symbol männlicher Macht von ›Gottes Gnaden‹ wurde gefunden. Es ist die »Skulptur eines Mannes mit erigiertem Penis, aber ohne Gliedmaßen«. Dieses Artefakt des Ausgräbers Schmidt erwähnt Herrmann Parzinger gar im Plural – er schreibt: »Die menschlichen Köpfe und Figuren mit in der Regel männlichem Habitus erreichen teilweise sogar Überlebensgröße« – denn Schmidt interpretiert die Pfeiler als menschliche Skulpturen. Unter ›Figuren mit männlichem Habitus‹ scheint Parzinger wohl – mit erigiertem Penis – männliche Potenz symbolisierende ithyphallische Motive zu verstehen. Eine einzige Phallus-Figur genügt ihm, um die Frage zu stellen, ob es sich hier um einen »Beleg für einen männlich geprägten Fruchtbarkeitskult« handelt.
Männer sind, wenn es um ihren Penis geht – ›dieses interessante Organ‹, wie es u.a. der Arzt und Ägyptologe A.P. Leca nennt – und seine bewundernswerte Bedeutung geht, relativ einfach gestrickt, da genügt ein bisschen Phantasie. (s. ›Wunderwerk Penis – Neues vom männlichen Zentralorgan‹ – Scobel, 3sat). Ob Parzinger nicht etwas hoch greift, wenn er glaubt, dass sich bei der Skulptur des Mannes mit erigiertem Penis »eine äußerst komplexe geistig-religiöse Vorstellungswelt ihrer Schöpfer erahnen lasse, die sich in vielfältigen kultisch-rituellen Handlungen geäußert haben dürfte«? (Hermann Parzinger ›Die Kinder des Prometheus – Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift‹ 2014 S. 130, 133) Parzinger fährt fort: »Gleichzeitig fällt das weitgehende Fehlen von typisch weiblichen Motiven und Frauenfigurinen auf.« Er nimmt nicht zur Kenntnis, dass die einzige, eindeutig erkennbare Gesamtfigur weiblich ist. Es ist die ›Gebärende Frau‹. (Göbekli Tepe, Neolithic Turkey, H. 28,2 m) Dieses unübersehbare Flachrelief einer Gebärenden, die Parzinger gezwungenermaßen erwähnt, und das tut er, wo er schreibt: »Zu den besonderen Ausnahmen gehört die Gravierung einer Frauenfigur mit gespreizten Beinen.« (ibd. S. 133) Man könnte nach dieser Beschreibung von einer obszönen Darstellung einer Frau ausgehen, wüsste man nicht, dass es sich bei der Figur effektiv um die Darstellung einer Gebärenden und damit um die Betonung der weiblichen Schöpfungsmacht handelt! (›Neolithic in Turkey – The Cradle of Civilization‹, ›Löwenpfeilergebäude. Carving of a woman on a stone slab‹, Mehmet Özdoğan, Nezih Başgelen, H. 28,2 m. 1999, Fig. 35) Ein anderes, bestens bekanntes Symbol der Gebärenden Göttin wird in Göbekli Tepe als ›Tier-Relief‹ verkannt. (›Neolithic in Turkey. The Cradle of Civilization‹, 1999, Fig. 27, ›T-Pillar with animal-relief‹ Mehmet Özdoğan, Nezih Başgelen) Beide Bilder siehe im Kapitel ›Die nackte Göttin‹.
Weder Schmidt noch Parzinger scheinen von Symbolik Genaueres zu wissen, auch nicht, dass die häufigsten Bildzeichen in Göbekli weiblich sind: Schlange, Skorpion und Geier sind eindeutig kultisch-weiblich-sakrale Zeichen. Sie überdauerten Jahrtausende und erscheinen wohl nicht zufällig später in Sumer und Ägypten wieder: in Göbekli »wimmelt es von Schlangen« (Schmidt). Die Kobra der Göttin Wadjet/UaSit/I-Seth/Isis, der Mutter und Schöpfergöttin in Ägypten, wird in Mesopotamien als ›serpent cornu der sumerischen Göttin Ningizzida dargestellt (André Parrot ›Sumer‹ 1960, S. 319). Der Skorpion ist in Ägypten das heilige Tier der Göttin Selket, der Schutzgöttin der heilkundigen Frauen und in Sumer das Attribut der Göttin Ishara (Parrot ibd.). Den Geier kennen wir in Ägypten in der Gestalt der Geiergöttin für Tod und Wiedergeburt Nekhbet. (Das Wort ›Nekropole‹ für die ›Stadt der Toten<‹, stammt von ›Nekhen‹, der heiligen Stadt der Geiergöttin Nek-Beth, die jeden Tag die sterbende Sonne verschluckt und sie wieder auferstehen lässt.« Barbara Walker)
Zu dem als Löwenpfeilergebäude‹ bezeichneten Teil der Ausgrabung in Göbekli Tepe ist noch anzumerken, dass LöwInnen (z.B. die Sphinx von Gizeh), wie auch LeopardInnen, z.B. die gebärende Panther-/Leopardengöttin von  Hüyük, heilige Tiere der Stärke und Kraft mütterlicher Weisheit, Würde und der Macht der Göttin waren, bevor sie von den patriarchalen Eroberern gejagt, später usurpiert und zu einem männlichen Symboltier patriarchaler Macht wurden.

Auch im anatolischen Çatal Hüyük wurden Männerstatuetten gefunden, allerdings von kümmerlichem künstlerischen Wert, umso begeisterter werden sie vom Ausgräber James Mellaart beschrieben:
m.Statiette-300p-8Graustufen-Mellaart

»Männliche Gottheiten, wenn auch nicht so in Erscheinung tretend wie ihr weibliches Gegenstück, sind ein weiteres Charakteristikum des neolithischen Çatal Hüyük. Die prächtige Figur eines jungen Mannes, die zusammen mit der Todesgöttin und ihrem Geier… gefunden wurde, scheint charakteristisch für den Stolz und die Männlichkeit des Mannes von Çatal Hüyük, der noch jemand war, mit dem man rechnen musste, und der nicht – wie in Hacilar – völlig den Listen der Frauen unterworfen war.« (James Mellaart ›Çatal Hüyük – Stadt aus der Steinzeit‹ 1967 Tafel 84) Frauenfeindlichkeit und Frauenhass sind – seltsamerweise –  bis zum heutigen Tag ein Charakteristikum patriarchaler Wissenschaftler.
›Stolz und Männlichkeit des Mannes‹ sogenannten ›Listen der Frauen‹ gegenüber zu stellen, ist ein etwas billiger Versuch die toxische Männlichkeit zu relativieren. Es fällt immer wieder auf, dass Männer in Versuchung kommen, sexistisch zu werden, sobald sie Rückenwind durch die Darstellung einer männlichen Figur haben. (s. auch die Beschreibungen der Statuetten der Tafeln 86–91)

m.Statuette-300p-8Graustufen-Mellaart2Zur zweiten männlichen Statuette, einer ›weißen Marmorfigur‹ schreibt Mellaart: »… zeigt einen sitzenden Mann, der eine Kappe aus Leopardenhaut und oberhalb des Ellbogens mehrere Armbänder trägt. Vermutlich verkörpert er den Aspekt des Jägers und der Jagd, dem allein es zuzuschreiben war, dass es im Neolithikum Çatal Hüyüks eine eigene männliche Gottheit gibt.« (Mellaart ibd. Tafel 85, s. auch ›Die Mär von den ›Großen Jägern‹ der Steinzeit‹) Seine Vorurteile verführten  Mellaart demnach auch noch dazu, eine Jäger-Gottheit zu erfinden.
image002

Bei der frustrierenden Suche nach dem Mann ist der Beitrag von Jacques Vandier ebenfalls interessant. ›Cherchez l’homme‹ muss ihn bei seiner Suche nach der Präsenz des Mannes in der Kunst Ägyptens motiviert haben. Er beschreibt die Abbildung links als: ›Très jolie tête d’homme‹ (trouvée par Brunton à Badari‹, Jacques Vandier ›Manuel d’Archéologie égyptienne 1 les époques de formation * la préhistoire‹ 1952, S. 432 f.) Vandier war von 1936 bis 1945 Chefkonservator der Abteilung Ägyptischer Altertümer im Louvre. Der, wie Vandier behauptet, ›sehr attraktive Kopf‹ sei den Männern gegönnt. Männer wurden nur  selten dargestellt, was Vandier bestätigt: »C’est une des très rares représentations d’hommes, modelés en argile.«

Am Übergang vom Matriarchat ins Patriarchat und von der Großen Göttin zu männlichen Göttern findet ein Wandel statt, der bei den Statuetten deutlich erkennbar wird. Ab dem 2. Jahrtausend fällt eine Vermännlichung bei den Skulpturen auf. »Die Bronzezeit scheint ihre materielle und geistige Welt mit männlichen Helden und Gottheiten bevölkert zu haben.« (›Der Große Bildatlas der Archäologie‹ 1991) Die kleinen weiblichen Statuetten verschwinden und die männlichen werden zunehmend größer, entsprechend dem überheblichen Größen- und Machtanspruch des patriarchalen Aufstieges.

der-mann-aus-ugaritEtwa um 2000 tauchen in Ugarit erste vollständige männliche Figuren auf

Rechts: Eines von zwei in Ugarit gefundenen Silberfigürchen. Ein typisches Beispiel des von Ägypten nicht beeinflussten nordsyrischen Stils. Die Figur ist aus Silber, der Schurz aus Gold. (Nationalmuseum Aleppo, Höhe der Figur 28 cm.)

Diese Figürchen »sind grotesk-primitive Erzeugnisse rein lokaler Herkunft«, die beweisen, dass Ugarit jetzt unter den Einfluss der Hurri geraten ist.« (Leonard Woolley ›Mesopotamien und Vorderasien‹ 1961. S. 108) Woolley schreibt über die Hurri (Hurriter/Horiter): »Die Hurri hatten sich zu verschiedenen Zeiten über ein Gebiet verbreitet, das von den Bergen Persiens bis zum Mittelmeer und von Armenien bis Palästina reichte.« (ibd. S. 15). Woolley wusste damals noch nicht, dass die Hurri bis nach Ägypten vorgedrungen waren – bekannt geworden als Shemsu-Hor – und dort die Herrschaft übernommen hatten. (s. Wolf ›Die indoeuropäisch/arischen Eroberer aus dem Norden‹) »Im Norden Syriens war das Hurri-Element vorherrschend« (Woolley ibd. S 17).

image002Der Urgeschichtler Hermann Müller-Karpe steht beispielhaft für den üblichen Umgang religiös voreingenommener patriarchaler Wissenschaftler mit den Zehntausenden weiblichen Statuetten, die er als ›Menschenfiguren‹ und ›Menschendarstellungen‹ bezeichnet. Hingegen interpretiert er die Abbildung einer winzigen männlichen Figur auf der Tarkhan-Vase als ›Götterfigur‹. »Wenn wir von den Darstellungen der ersten Könige absehen, ist das älteste Bild, das als namentlich zu bestimmender Gott in Menschengestalt angesprochen werden kann, die Zeichnung auf einem Alabasternapf von Tarkhan (Tafel 15.5), der in die Zeit der 1. Dynastie, vermutlich näherhin in die Zeit des Königs Djet, gehört. Angesichts der typologischen Übereinstimmung dieser männlichen, im Profil gegebenen Gestalt unter dem Baldachin mit späteren Darstellungen des Gottes Ptah besteht an der entsprechenden Deutung des Bildes von Tarkhan kein Zweifel. Dass der Bildtypus, mit dem der in Memphis verehrte Gott Ptah auch später noch wiedergegeben wurde, sich durch eine besondere Altertümlichkeit auszeichnet, ist schon immer hervorgehoben worden.
»Es darf als sicher gelten«, behauptet Hermann Müller-Karpe, »dass dieses Götterbildnis den ältesten in Ägypten geschaffenen Bildtypus einer Göttergestalt verkörpert« (›Geschichte der Steinzeit‹ 1974, S. 331, Hvhb. DW). Wenn wir an seine vernichtende Interpretation der Göttinnen-Statuetten denken, geht diese Sicherheit vielleicht doch etwas sehr weit. Ptah, dessen Namen für ›Vater/Pater/Patriarch‹ steht, ist ein von den indoeuropäischen Eroberern mitgebrachter Gott, der zum ›Ur- und Schöpfergott‹ von Memphis gemacht wurde. Wie auch der indoeuropäisch/arische As-Ari/Osiris wurde Ptah mehrmals schwanger dargestellt und galt deshalb als mann-weiblich. Die Priesterkasten versuchten ihre neu erfundenen Götter mit weiblicher Schöpfungsmacht auszustatten. Schwanger zu werden und gebären zu können ist der Wunsch vieler Männer (s. D. Wolf 2009, S. 295 f.).

Die Bücher von Müller-Karpe und sein Interesse, das sich mit der ›Geschichte der Gottesverehrung von der Altsteinzeit bis zur Gegenwart‹ und der ›Religionsarchäologie‹ befasst, dürfte die Erklärung sein für seine altpatriarchalen Ansichten und die Abwertung der Göttinnen-Darstellungen und der Göttinnen-Religion. Müller-Karpe gehört zu den religiösen und wissenschaftlichen Autoritäten mit großem, weltweitem Einfluss; ihre Interpretationsmacht verteidigen sie mit allen Mitteln. Sie glauben an ihre Unfehlbarkeit, ihre ›gottgegebene Autorität‹, auch wenn es sich nur um persönliche Eitelkeiten, Interessen, Vorurteile, Interpretationen und Behauptungen handelt. Er schreibt zu den [auffallend nackten!] weiblichen Figurinen (z.B. von Hacilar), dass »in der bisherigen Forschung die Ansicht vertreten wurde, es könne sich bei diesen Statuetten um die Wiedergabe einer Muttergöttin, vergleichbar der späteren [ebenfalls nackten!] Astarte, handeln, so ist diese Deutung vor dem Hintergrund der archäologischen Befunde rein hypothetisch und recht unglaubwürdig. Nichts spricht dagegen, dass hier normale, sterbliche Frauen in den für sie besonders wichtigen Situationen ihres Daseins dargestellt sind.« (›Geschichte der Steinzeit‹ 1974, S. 324)
Warum aber normale, sterbliche Frauen ›in besonders wichtigen Situationen ihres Daseins‹ nackt dargestellt werden und warum es kaum männliche Statuetten gibt, obwohl es doch auch ›normale sterbliche Männer‹ gegeben haben muss – darüber schweigt sich Müller-Karpe aus. Zu den aus der Zeit vor der indoeuropäischen Eroberung Mesopotamiens, aus der matriarchalen Halaf-Kultur stammenden weiblichen Tonstatuetten, die in der Regel mit den Händen ihre milchgebenden Brüste halten, schreibt er, könne »eigentlich nicht in Zweifel gezogen werden, dass es sich dabei – wie bei denjenigen des Altneolithikums und den Figuren der zeitlich entsprechenden Wand- und Gefäßmalerei – um normale Menschen handelt, nicht etwa um Göttergestalten.« (Müller-Karpe ›Geschichte der Steinzeit‹ 1974, S. 325, Hvhb. DW) Der Autor nimmt nur ungern zur Kenntnis, dass gegenüber den Zehntausenden von weiblichen Darstellungen männliche Darstellungen außerordentlich selten zu finden sind. Er kämpft immer wieder dagegen an, dass man ihnen deshalb eine ›religiöse Wichtigkeit‹ zugestehe. Er gesteht den Frauen jedoch auch keine Wichtigkeit im Alltag zu. So schreibt er etwas später: »Was bei den von Lagerplätzen stammenden Menschenfiguren auffällt, ist die Tatsache, dass weibliche Statuetten entschieden überwiegen. Dies wurde bisher zumeist mit der Annahme erklärt, die Frau habe in der Gesellschaftsordnung, bzw. das weibliche Prinzip habe im religiösen Vorstellungs- und Erlebnisbereich der Jungpaläolithiker eine überragende Stellung eingenommen. Derartige Erklärungen und Rückschlüsse sind in Anbetracht der Quellenlage jedoch nicht überzeugend«. (Müller-Karpe ibd. S. 271)
Wäre die Überzahl der gefundenen Figuren männlich, würden sie mit jeder Garantie als Götter bezeichnet und niemals angezweifelt. Im Gegenteil würde man sie als Beweis dafür nehmen, dass Gott ›schon-immer‹ ein Mann war. Seine voreingenommene patriarchale Deutung betont Müller-Karpe nochmals an anderer Stelle: »Aus dem Überwiegen von weiblichen Statuetten auf den jungpaläolithischen Lagerplätzen gegenüber den männlichen wird mitunter geschlossen, dass die Frau in dieser Zeit sozial eine bevorzugte oder gar beherrschende Stellung eingenommen hat, wobei gewisse Bachofen’sche Theorien eines mutterrechtlichen Urzustandes menschlicher Gesittung mit hineinspielen. Diese Ausdeutung der Fundstatistik erweist sich bei Anlegen kritischer Maßstäbe jedoch als nicht begründet.« (Müller-Karpe ibd. S. 143)
Die Frage der Interpretation der überwiegend weiblichen Statuetten ist dabei – auch von Müller-Karpe – nicht beantwortet. Hier spricht unverkennbar der patriarchal-christliche Wissenschaftler, der sich keine andere Ordnung, weder im Himmel noch auf Erden, als die heutige vorstellen kann, in der ein männlicher Gott und der Mann hierarchisch oben stehend, die Welt und die Frauen unten, dominiert und diskriminiert.
Müller-Karpe, der gottgläubige Christ, ist nicht nur Verfasser zahlreicher religiöser Bücher, er ist auch ein leidenschaftlicher Vertreter der patriarchalen Kriegstheorie. Er ist überzeugt, dass es sich bei den pfeilförmigen Feuerstein-Artefakte um Speere und dolchartige Waffen handelt, die eine »kriegerische Haltung und Gesinnung zum Ausdruck bringen« und »erstmalig eigens als Waffen für den Kampf Mensch gegen Mensch ersonnen« worden seien. Seine kriegsverherrlichenden Ansichten gipfeln in der Behauptung, dass ›mehr noch als die Jagd der Krieg das Heroische und seine Wertschätzung‹ weckte (ibd. S. 36 und 146). Durch Gewalt werden Männer zu Helden.

Im Gegensatz zur Abwertung der weiblichen Statuetten hat noch nie jemand nackte Männerstatuen als ›profan-pornographisch‹ bezeichnet.

der-nackte-von-tarutIn Mesopotamien taucht der nackte Mann ebenfalls auf – zwar spät – aber immerhin. Michael Rice schwärmt vom Bild links: ›An extremely handsome example of Early Dynastic Sumerian-style Statuary, a male figure carved in a fine white limestone, ca. 2700 BC from Tarut. (Rice ›Search for the Paradise Land‹ 1984, S. 216. Museum of Archaeology and Ethnography, Riyadh) Die Geschmäcker sind verschieden; das zeigt der Autor auch in seinem Buch ›Who’s Who in Ancient Egypt‹. Seine Ankündigung verrät seine extreme Suche und Zufriedenheit über die endlich zutage tretende Männlichkeit in der Bronzezeit: ›Clear, concise entries on over 1000 figures, from monarchs and warriors to high priests, painters and writers‹. Männer interessieren diesen Mann ganz offensichtlich mehr als Frauen! Die Göttinnen werden allesamt unter ›The gods of Egypt‹ aufgelistet.

Der deutsche Altorientalist Gernot Wilhelm zeigt Bilder von nackten Männern aus der Uruk-Zeit in ›kultischen Handlungen‹. »Für den En [Herr oder Herrscher] in völliger Nacktheit, wie er in drei Statuetten unbekannter Herkunft im Louvre und im Archäologischen Institut der Universität Zürich dargestellt ist, sind unterschiedliche Interpretationen geboten worden. Mehrere der gültigen Erklärungen für die Darstellung männlicher Nacktheit im alten Orient sind hierfür herangezogen worden: Gefangenschaft, Tod oder kultische Nacktheit.« (Gernot Wilhelm ›Der Mann im Netzrock und kultische Nacktheit‹ Beiträge zur vorderasiatischen Archäologie‹ 2001, S. 478 – 483) Es sieht so aus, als ob der Kult der nackten Göttin von den patriarchalen Herrschern und der Priesterkaste nach den Eroberungen der verschiedenen Länder übernommen bzw. imitiert wurde. Es ist kein Zufall, dass Männer und Götter in den griechischen Mythen und Bildern fast ausschließlich nackt, reale Frauen dagegen immer bekleidet dargestellt wurden. »Im alten Athen war die (halb-)öffentliche Nacktheit den Männern vorbehalten und galt nur bei Frauen als anstößig.« (Wikipedia)

image002Die Figur des bärtigen nackten Mannes aus Uruk gehört zeitlich wahrscheinlich in die erste Dynastie (ca. um 2770) oder kurz davor. Erstaunlich ist dabei: Keiner der Autoren erinnert an die unzähligen nackten weiblichen Statuetten aus dieser Gegend aus der gleichen und aus noch viel früherer Zeit. Auch will sich niemand an die frühesten Bilder des Auftretens des seltsamen Bärtigen mit dem Hut erinnern, den wir als aggressiven Invasoren kennen. (s. Wolf ›Die indoeuropäisch/arischen Eroberer aus dem Norden‹). Der nackte Bärtige wird mit dem göttlichen Herrschertitel als ›En‹ oder ›Priesterkönig‹ angesprochen, dessen Titel aber »immer in Verbindung mit der Hauptgöttin Inanna, ›Himmelsherrin‹, verwendet wird« (Wikipedia ›En‹), eine Allianz, die man aber gerne zu bemerken vermeidet.
Wie wir bei Gernot Wilhelm sehen, wird die Nacktheit des Bärtigen nicht wie bei den weiblichen Statuetten pornographisiert, sondern sofort als ›kultisch‹, also als religiös bezeichnet. Zu solchen Ehren sind die (verfemten) nackten weiblichen Darstellungen nur selten gekommen, obwohl die Gestaltung einer nackten Männlichkeit wahrscheinlich nur als das Nachäffen der weiblichen Figuren, die das Göttliche repräsentieren, verstanden werden kann. Darauf lässt vor allem die Armhaltung des Mannes schließen: während die Göttinnen ihre milchgebenden Brüste halten, bleibt diese zwar die gleiche, seine Hände aber sind ohne den nährenden weiblichen Körperteil leer.

Die verzweifelte Suche nach dem Phallus … treibt manchmal seltsame Blüten

Striedter Messak  Felsgravur aus Messak im Fezzan, 120 cm groß
(Karl Striedter ›Felsbilder der Sahara‹ 1984, Abb. 31)

Bei dieser Felsgravur auf dem Plateau des Messak in der Libyschen Wüste, die eine nackte weibliche Figur mit angewinkelten Beinen und einer tief ausgehöhlten Vulva zeigt, erkennt der Autor die Vulva nicht, er glaubt es handle sich dabei um einen Phallus. Eine ganz ähnliche Abbildung deutet er als: »Mensch mit gegrätschten Beinen mit hypertrophem Phallus« (Karl Heinz Striedter ›Felsbilder der Sahara‹ 1984, Abb. 152 + 153). Auch Punkte, Lochmuster und Schälchen, die bei den Vulven abgebildet sind, werden als ›männliche Symbole‹ oder als ›tief eingeritzter Phallus‹ interpretiert. Doch Lochmuster und weibliches Dreieck sind austauschbar und eindeutig weibliche Symbole (Gimbutas 1996, S. 297). »Es gibt keine logische Begründung dafür, das männliche Prinzip durch Punkte zu symbolisieren«, bestätigt Gerda Weiler. (›Der aufrechte Gang der Menschenfrau – Eine feministische Anthropologie‹ 1994, S. 159)
Zwei kleinformatige Bilder bei Peter J. Ucko und Andrée Rosenfeld illustrieren das hilflose Suchen nach dem männlichen Element! Sie sehen Phalli auch da, wo es sie gar nicht gibt und beschreiben ein Bild aus Le Portel, auf dem nicht das Mindeste zu erkennen ist: »In Le Portel ist ein grob wiedergegebener menschlicher Umriss, aus dem ein Stalagmit hervorragt, als phallische Darstellung interpretiert worden.

Suche-nd-Phallus Suche-nach-dPhallus2

Links »Malerei in Rot mit dem Umriss einer anthropomorphen Darstellung aus Le Portel; ein kleiner Stalagmit wird allgemein als Phallus interpretiert.« (›Felsbildkunst im Paläolithikum‹ 1967, S. 61, Abb. 33) Rechts: »Modellierte ›Lehmwürste‹ auf dem Boden eines niedrigen Raums in Le Tuc d’Audoubert; man hat sie als Phallen interpretiert«. (ibd. Ucko/Rosenfeld 1967, Abb. 39, S. 65)

Ucko und Rosenfeld  behaupten, dass »bei der Mehrzahl der sogenannten Menschendarstellungen eine deutliche Wiedergabe der Geschlechtsmerkmale nicht erkennbar« sei  (1967, S. 99). Erstaunlich, dass die Autoren bei den beiden kuriosen Abbildungen das Geschlecht erkennen wollen.
Es gibt auch Wissenschaftler, die in den altsteinzeitlichen Figuren mit dem ausgeprägten Venus-Dreieck und den schweren, hängenden Brüsten androgyne Darstellungen sehen wollen: Das weibliche Dreieck unten und oben, die schweren Brüste als Hoden. Bei der vielbrüstigen Artemis von Ephesos wurde die gleiche Vermutung geäußert, Stierhoden sollen es hier sein.

image002Den Göttern sei es gedankt! Das gute Stück wurde gefunden

Und es ist den Männern zu gönnen. Im Rahmen der Sonderschau ›Eiszeitkunst – eindeutig männlich‹ im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren wurde der ›bedeutende‹ Fund eines Stabes, der auch ein Werkzeug in Form eines Phallus aus der Eiszeit gewesen sei, der Öffentlichkeit präsentiert. »Das anthrazitfarbene männliche Glied aus Siltstein, das in der Höhle ›Hohle Fels‹ gefunden wurde, ist 19,2 Zentimeter lang, 3,6 Zentimeter breit, 2,8 Zentimeter dick und 287 Gramm schwer. Es ist rund 28 000 Jahre alt. Der Archäologe Nicholas Conard sagte, es handle sich dabei um einen außerordentlich seltenen Fund: Europaweit existierten nicht einmal zehn vorgeschichtliche Phalli, ein derart altes Objekt sei sogar einzigartig. Die insgesamt 14 Einzelteile, die inzwischen zusammengefügt wurden, lagen über eine Fläche von etwa einem Quadratmeter verstreut und wurden innerhalb von acht Jahren ausgegraben.« (›Harte Tatsachen aus der Steinzeit‹ Stern

»Die Chronologie ist und bleibt das Rückgrat der Geschichtsschreibung.«
(Dietz Otto Edzard)

Dies betrifft auch die Darstellung des nackten Männlichen. Der Ägyptologe Wolfgang Helck betont, gerade bei den Figurinen sei die Wichtigkeit der Chronologie zu beachten. Es sei notwendig, »die einzelnen historischen Schichten in der Entwicklung genau zu prüfen und zu untersuchen, was alt und was neue Interpretation ist, um nicht Gedanken, die erst in hellenistischer Zeit gedacht worden sind, an den Anfang der Entwicklung zu stellen.« (Helck (›Betrachtungen zur Großen Göttin und den ihr verbundenen Gottheiten‹ 1971, S. 292) Helcks Mahnung ist begründet, wurde jedoch kaum je beachtet!
Die Existenz von nackten Göttinnen kann ab den sogenannten ›Hochkulturen‹ der Bronzezeit, dank ihrer prominenten, schriftlich, bildlich und namentlich bezeugten Anwesenheit nicht mehr ignoriert werden.  Sie waren jedoch schon viel früher da. Dies führte aber nicht zur Rehabilitierung und Anerkennung der schon Zehntausende Jahre älteren nackten Statuetten als Göttinnen. Auch Helck erklärt nicht, warum ihnen der gebührende Status versagt bleibt. Alles weist darauf hin, dass WissenschaftlerInnen bewusst oder unbewusst von einer der heute herrschenden, monotheistischen Vater-Gott-Religionen beeinflusst sind. Wir sind alle Opfer der seit Jahrtausenden andauernden Gehirnwäsche patriarchaler Propaganda.

Doch was geschah eigentlich später, viel später mit den Göttern des Patriarchats? Mit Amen, Zeus, Jupiter und Mars und allen andern? Alle verschwanden sang- und klanglos, jedoch die Anhänger der drei monotheistischen Religionen beenden ihre Gebete noch immer mit der Anrufung des altägyptischen Gottes AMEN (Amon/Amun); sie haben also selbst noch ein bisschen des von ihnen verachteten ›Heidentums‹ und der ›Götzenanbeterei‹ beibehalten.

Der Kampf des Patriarchats gegen die vor-patriarchale Religion und die Verehrung der Göttin dauert an. Unzählige Glaubenskriege, die seit der Erfindung männlicher Götter über die Weltbühne gegangen sind, haben den Menschen unsägliches Leid angetan. Wenn der Chor im vierten Satz der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven Schillers Ode an die Freude jubelt, denke ich mir:

 Es würde genügen, wenn erst mal alle Männer Brüder würden, dann könnten alle Menschen in Freude leben!

 

 


Print page