Aratta und seine Beziehung zu Sumer und Ägypten
Eine Zufalls-Entdeckung im iranischen Hochland weist auf eine frühe Verbindung mit Ägypten hin
Einer der großartigsten Funde aus dem 4. Jahrtausend, der auch für die Frühgeschichte Ägyptens bedeutungsvoll ist, verdanken wir einem Zufall. Eine Überschwemmung des Flusses Halil Rud in der Nähe von Jiroft, in der südiranischen Provinz Kerman, legte im Jahr 2000 Spuren einer verschollenen, großen Frühzivilisation frei. Auf dem weltweiten Antikenschwarzmarkt tauchten plötzlich massenhaft neuartige Kunst-Artefakte auf, bevor der iranische Staat darauf aufmerksam wurde und eingriff.
Der iranische Archäologe Youssef Madjidzadeh hatte schon lange vermutet, dass im weitläufigen bergigen Gebiet des südwestiranischen Hochplateaus die mythische – aber noch nicht entdeckte – einst ausserordentlich wohlhabende Stadt Aratta lag. Er war überzeugt, dass es sich bei dem Fundort der am Halil Rud an die Oberfläche geschwemmt wurde, um Aratta handeln musste. Seinen Reichtum verdankte der Stadtstaat einst dem bedeutenden Vorkommen von Gold, Silber, Edel- und Halbedelsteinen und den vielen farbigen Steinarten, die vom westlichen Sumer bis nach Indien gefragt waren. Begünstigt durch seine Lage am weitverbreiteten Handelsnetz exportierte Aratta seine künstlerisch bearbeiteten Produkte in die ganze damalige Welt – und wie sich herausstellte – bis nach Ägypten.
Madjidzadeh, der die ersten Kunstwerke der auf dem Markt aufgetauchten Schmugglerware begutachtete, stellte erstaunt fest, dass es sich bei den gefundenen Objekten um einen ihm bestens vertrauten Stil von Kunstgegenständen handelte, die schon auf verschiedenen Grabungsstätten gefunden wurden, die jedoch mehrere Tausend Kilometer auseinander lagen. Er sagte:
Ich sah etwas, was in Mesopotamien nicht existierte. Etwas sehr viel Raffinierteres als die mesopotamische Kunst.
Die Kunst der SteinschneiderInnen Arattas brachte Tausende dekorierter Steingefäße und Paletten u.a. aus grünlich schwarzem Chlorit-Schiefer hervor, aus exakt dem gleichen Material, wie die diversen kunstvoll bearbeiteten Paletten, die zur Zeit der Eroberung in Ägypten auftauchen. Dazu fand man unzählige mit Szenen dekorierte Stempelsiegel. Motive und Formen sind von außergewöhnlicher Vielfalt und alles in höchster Vollendung ausgeführt. Die amerikanische Spezialistin der Steinschneidekunst, Holly Pittman von der University of Pennsylvania, sieht in der Kunst Arattas einen Beweis für die einzigartige Begabung, Kreativität und eine phänomenale Vorstellungskraft der KunsthandwerkerInnen, die fähig waren, Bilder von einer solchen Lebendigkeit und Vitalität zu schaffen. Sie erkennt Motive, denen sie noch nie zuvor begegnet ist. Es handle sich um einen hoch entwickelten Stil, eine ganz eigene Ikonografie und eigene Formen. Die Feinheit der Reliefs lässt den Schluss zu, dass es bei Anbruch des 3. Jahrtausends eine andere, ebenso entwickelte Kultur gab wie die Mesopotamiens, stellte Madjidzadeh fest, fügte jedoch an:
»Die Kultur von Aratta wurde lange vor der Mesopotamischen entwickelt und hat die letztere auf zahlreichen Gebieten beeinflusst.«
Dies bestätigt der Ägyptologe Dietrich Wildung, er schreibt: »Die archäologische Erforschung Vorderasiens und Europas hat Kulturen ans Licht gebracht, die Altägypten um Jahrtausende vorauseilen.« Wildung erwähnt u.a. die Hassunakultur Nordmesopotamiens und die Perfektion seiner Steinverarbeitung, »die in Ägypten erst 2000 Jahre später am Ende des 4. Jahrtausends erreicht wird.« (Wildung ›Ägypten vor den Pyramiden‹, 1981, S. 7 f.) Und diese Kunst der Steinbearbeitung entstand in der friedlichen Zeit des Matriarchats, als in Aratta die Große Göttin verehrt wurde. Doch dann wurde auch Aratta erobert.
Die Funde von Jiroft machen eines deutlich:
Es waren nicht die ins Zweistromland eingedrungenen Sumerer, die irrtümlicherweise immer wieder als ›Kulturbringer‹ gerühmt werden, welche die frühesten Kunstwerke Mesopotamiens und Ägyptens schufen, sondern die KunsthandwerkerInnen des iranischen Aratta.
Arattas Reichtum und die Schönheit seiner Kunst weckten Neid und Begehrlichkeit der in Mesopotamien eingedrungenen Eroberer aus dem Norden und ihrer frühdynastischen Könige, die hier ihre Quelle für kostbare Güter sahen und sich die Stadt unterwerfen wollten. (s. D. Wolf 2009, S. 44f. Die frühsumerische Dichtung von Enmerkar und dem König (oder der Königin!) von Aratta)
Die Kunst von Aratta erscheint in der Frühzeit Ägyptens
Der erfahrene Archäologe Flinders Petrie war bekannt für seine Aufgeschlossenheit und er war, was interdisziplinäres Denken und Forschen anbetrifft, seiner Zeit weit voraus. So machte er schon 1900 auf die auffallenden, fremden Kunstgegenstände in Ägypten aufmerksam. (Petrie ›Royal Tombs of the 1st Dynastie‹ 1900 S. 18ff.). Ihm fiel unter anderen Objekten auch ein Körbchen aus grünschwarzem Schiefer auf, das in beeindruckend fortgeschrittener Steinarbeit gefertigt war. Die Steinschneidekunst war in Ägypten dieser frühen Zeit völlig unbekannt. Petrie vermutete schon damals, dass diese Kunst aus der weiteren Umgebung des südwestlichen Iran stamme müsse. Tatsächlich handelt es sich eindeutig um die Kunst von Aratta, doch davon wusste man zur Zeit Petries noch nichts, und nur wenige glaubten ihm. Es dauerte noch 80 Jahre, bis das Reich von Aratta entdeckt wurde.
Das in Ägypten gefundene Steinkörbchen in der Kunst Arattas, aus grünlich schwarzem
Chlorit-Schiefer (Petrie)
In Ägypten sind die für Aratta charakteristischen Kunstobjekte seit der frühdynastischen Zeit in großen Mengen vorhanden. Luxuriöses Geschirr, Schalen, Vasen, Siegelzylinder, Keulenköpfe und Paletten, geschaffen aus jeder Art von Weich- und Hartgestein, Rosenquarz oder Bergkristall, die mit außergewöhnlichem technischem Können hergestellt worden sind. In den unterirdischen Galerien der Stufenpyramide des Djoser/Djéser/Zeser/Cäsar, des ›Zaren‹ in Sakkara fand man Zehntausende Vasen, Schalen, Becher und Schüsseln. Sie zeugen von einem Formen- und Materialreichtum und einer Qualität der Ausführung ohnegleichen. (s. Jean-Philippe Lauer ›Die Königsgräber von Memphis‹ 1988)
Alabastergefäß aus dem Grab des indoeuropäisch-horitischen Eroberers Hor-Aha,
1. Dynastie um 3000. Fundort Sakkara (s. Jean-Philippe Lauer und Walter B. Emery ›ÄGYPTEN Geschichte und Kultur der Frühzeit‹ 1964, Tafel 24)
Emery schreibt: »Wie konnten sie eine so ungeheure Genauigkeit erzielen, dass keinerlei Abweichung von einem vollendeten Kreis festzustellen ist? … Wie haben sie es fertiggebracht, aus Bergkristall röhrenförmige Krüge herzustellen, deren Wände nicht dicker sind als einen Millimeter?« (1964, S. 235 f.). Leider ist bisher noch keine archaische Töpfer- oder Steinvasenmacher-Werkstatt entdeckt worden, die Aufschluss über die verwendeten Arbeitsmethoden geben könnte. Kein Stein war zu hart, um Verwendung zu finden, Schiefer, Marmor, Kalkstein, Porphyr, Jaspis, Bergkristalle u.a.m. wurden gebraucht.« Der Archäologe Emery bemerkte, alle Steinarbeiten aus der Zeit des Umbruchs und des Beginns der dynastischen Zeit Ägyptens seien »künstlerisch vollendete Produkte einer ausgereiften Handwerkskunst; ob es sich um Gefäße, Rollsiegel oder die Porträtkunst der Großplastiken handelte « (Emery ibd. 1964, S. 235 f.). Kunstwerke von dieser Qualität und solchem Reichtum können nur in den friedlichen Zeiten geschaffen worden sein; der Krieg zerstört die Kultur und verhindert das Kunstschaffen. Ohne Frage wurden diese Artefakte von den kriegerischen Indo-Europäern in Aratta geraubt und/oder ihre HerstellerInnen nach Mesopotamien und Ägypten entführt oder verschleppt. Vielleicht wurde Aratta von den Indo-Europäern verwüstet, nachdem die KünstlerInnen einen Teil ihrer Kunstschätze im Halil-Fluss versenkt und wie das Rheingold ›in Sicherheit‹ gebracht hatten.
Alabasterschale mit Blumenmuster aus Aratta (Emery 1964, Tafel 22.b)
»Die Steingefäße des archaischen Ägypten gehören zu den stärksten künstlerischen Ausdrucksmitteln; die Gegenstände sind von hoher Vollendung.« (Emery 1964, zu dieser Abbildung. Weitere Abbildungen u. a. bei Grimm und Schoske, ›Am Beginn der Zeit – Ägypten in der Vor- und Frühzeit‹, München 2000, Abb. 48 bis 51 und 133 bis 146).
Eine sieben Zentimer große Amethystvase von vollendeter Schönheit und Eleganz aus der Zeit um 3200 befindet sich heute im Ägyptischen Museum Berlin. (Abb. im Weissen Katalog, 4. Auflage 1989, S. 6, Foto Jürgen Liepe)
Auffallend ist eine der bedeutendsten und auffallendsten Neuerungen im ägyptischen Alten Reich: Die Steinbearbeitung, speziell in der Schaffung der Porträtkunst, in Groß-Skulpturen und in Rollsiegeln. Man glaubt, Siegelzylinder und Rollsiegel seien eine der Hauptexportwaren Sumers gewesen, »die über das Westdelta nach Ägypten kamen und dort besonders mit ihren Darstellungen die ägyptische Kunst beeinflussten«, schreibt der Ägyptologe Wolfgang Helck. »Diese Rollsiegel sumerischer Provenienz sind – sicher ihres hohen Wertes wegen – in Ägypten nachgeahmt worden. Damit sind auch Motive, die sich auf den Siegeln fanden, in den ägyptischen Motivschatz aufgenommen worden. Das könnte beispielsweise gelten für das Bild des zwei Tiere bändigenden ›Helden‹, da diese Gruppe auf Siegeln der Djemdet Nasr-Periode häufig vorkommt« (Helck 1971, S. 8). Doch diese Rollsiegel waren ursprünglich nicht sumerischer Herkunft – Sumerer waren keine Kunstschöpfer, sondern Kunsträuber und Kulturzerstörer.
Die Erfindung und Kunst der Siegelherstellung stammt wie die damalige Steinschneidekunst aus Aratta. Diese Steinschneidekunst kannte man in Ägypten vor dem Umbruch, d.h. vor der Eroberung durch indoeuropäische Männerhorden nicht einmal ansatzweise. Sie trat auf einmal, schlagartig, ohne jede Vorstufe, künstlerisch voll ausgereift, in Erscheinung. Es ist nicht möglich, dass sie sich während der Periode der Eroberung, der Unruhen und Kriege, entwickelt haben könnte. Dies trifft genau so auch für die Entwicklung der Hieroglyphenschrift zu. Kriege haben noch nie Kunstwerke hervorgebracht, sondern sie zerstört.
Emery schreibt über die auffallenden künstlerischen Veränderungen in der frühesten Geschichte Ägyptens: »Genauso wie die Baukunst machten auch die Bildhauerei, die Malerei und die Dekorationskunst mit der Ankunft der dynastischen Rasse radikale Wandlungen durch. Eine neue Kunst kam nach Ägypten, und obwohl viele Autoritäten sie als eine geradlinige Weiterentwicklung der prähistorischen Kunst betrachten, sind meiner Meinung nach überzeugende Beweise dafür vorhanden, dass in der Periode unmittelbar vor der Einigung etwas völlig Neues ins Niltal eingedrungen ist« (Walter B. Emery ibd. 1964, S. 172, Hvhb. DW). Emery hielt fest: »In allem Wesentlichen handelte es sich um die Frucht einer neuen Kultur, hinter der eine recht lange Entwicklungsperiode stecken muss.« (ibd. S. 173)
Eine solche Entwicklung findet sich weder in Mesopotamien noch in Ägypten. Ägypten hatte damals noch keine Erfahrung, noch keine Tradition der Steinbearbeitung. Das Land fand erst später zu einem selbstständigen Kunststil, der dann fast 3000 Jahre – entsprechend der rigiden Staatsführung – unverändert bestehen blieb.
Bis Aratta im Jahre 2000 entdeckt wurde, konnte der ›Quantensprung‹ der in Ägypten gefundenen Kunst der Steinbearbeitung aus der Umbruchszeit und der 1. und 2. Dynastie nicht erklärt werden, liess aber viel Raum für Spekulationen. Heute wissen wir, diese Kunst kam wohl zuerst über die weitreichenden Handelswege; dann brachten Eroberer die Kunst oder ihre Hersteller, die hoch qualifizierten KünstlerInnen der Steinmetzgilde, die GoldschmiedInnen und SiegelschneiderInnen aus der südiranischen Gegend von Aratta mit.
Die Narmer-Palette bezeugt die Kunst von Aratta
Die vielen meisterhaft gearbeiteten Paletten, wie jene von Narmer, die aus der frühen dynastischen Zeit in Ägypten gefunden wurden, sind aus dem gleichen Material, dem grünlich schwarzen Chlorit-Schiefer hergestellt, wie viele andere Kunstwerke aus Aratta. Die KünstlerInnen der Steinschneidekunst aus Aratta dürften auch die LehrmeisterInnen für die wunderbaren, künstlerisch unübertrefflichen Reliefs der Noblengräber des Alten Reiches in Sakkara und den kunstvollen in Stein gemeißelten frühesten Hieroglyphen sein. Iranische KünstlerInnen schufen noch 3000 Jahre später großartige Kunstwerke. Im Kunstatelier von König Darius in Persepolis waren unter der Leitung einer Frau 1348 KunsthandwerkerInnen beschäftigt.
Wie alles begann, und wie es weitergeht nachlesen im 2. Kapitel des 2. Buches der Autorin ›Der Kampf gegen Weisheit und Macht der matriarchalen Urkultur Ägyptens‹ (2009, S. 44 ff. )
- Enmerkar und der König von Aratta
- Man müsste sich dem Vergleich mit den Kulturen Vorder- und Zentralasiens stellen
- Die ägyptische Vorgeschichtsforschung war und ist nicht populär
- Brauchen wir eine Urgeschichtsforschung?
(Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht am: 6. April 2010 und zuletzt am 25.8.20 aktualisiert.)